Zürich/Stuttgart (dpa) – Als die Neulinge Cora Zicai und Alara Sehitler etwas verlegen auf den Rasen laufen, um sich doch noch den Fotografen beim Training der deutschen Fußballerinnen zu zeigen, da muss Ex-Weltmeisterin Nia Künzer grinsen. «Die beiden wissen gar nicht, wie ihnen geschieht», sagt die DFB-Sportdirektorin. Bundestrainer Christian Wück setzt in den beiden letzten Länderspielen des Jahres ein Zeichen für den Nachwuchs – bemängelt aber gleichzeitig das Fehlen von Spitzentalente.
Die 19 Jahre alte Stürmerin Zicai vom SC Freiburg und Mittelfeldspielerin Sehitler vom FC Bayern, die im Kreise des Nationalteams am Mittwoch ihren 18. Geburtstag feierte, stehen auch für den Umbruch beim Olympia-Dritten nach Rücktritten von langjährigen Stammkräften wie Alexandra Popp und Marina Hegering.
Und Sophia Winkler: Die 21 Jahre alte Torhüterin von der SGS Essen wird gegen die Schweiz an diesem Freitag (20.00 Uhr/ZDF-Livestream) im Züricher Letzigrund ihr Debüt geben. «Ich persönlich schätze ihr Auftreten auf dem Platz, voller Energie mit sehr viel Sicherheit ausstrahlend im Sechzehner. Sie wirkt sehr, sehr souverän, auch wenn sie sehr jung ist», sagt Wück. Olympia-Heldin Ann-Katrin Berger vom US-Club NJ/NY Gotham FC pausiert derzeit, sei aber bei den ersten Nations-League-Spielen 2025 definitiv dabei, so Wück.
Wück hofft auf Pool von 30, 40 Spielerinnen
Vor den Testspielen gegen die Schweiz und am Montag (20.30 Uhr/ARD) in Bochum gegen Italien klagt Wück: «Ich habe davon gesprochen, dass ich im besten Falle einen Pool von 30, 40 Spielerinnen haben möchte, aus denen ich greifen kann. Von dieser Anzahl an Spielerinnen sind wir aber leider noch ganz weit weg.»
Der 51-Jährige will die nächsten Spiele vor der EM im Juli 2025 in der Schweiz nutzen, «um eben annähernd auf diese Zahl zu kommen». Dass Wück ein super Händchen für den Nachwuchs hat, bewies er als Chefcoach der männlichen U17 des DFB, mit der er 2023 Europa- und Weltmeister geworden war.
Bei den Frauen hat der Nachfolger von Horst Hrubesch schon einige neue Gesichter präsentiert – etwa die Frankfurterin Lisanne Gräwe (21), die Leipzigerin Giovanna Hoffmann (26) oder eben Zicai und Sehitler. Routiniers wie Sara Däbritz, Lina Magull oder Lena Lattwein hingegen sind nur auf Abruf nominiert.
«Ich habe am ganzen Körper gezittert, war gleichzeitig aber auch total glücklich», sagt Sehitler über ihre Reaktion nach Wücks Anruf. Auch Zicai ist «aus allen Wolken gefallen, weil es völlig unerwartet kam. Es sind ziemlich verrückte Tage gerade.» Bei der ersten Trainingseinheit in Stuttgart einen Tag nach dem DFB-Pokalspiel zwischen Freiburg und München trainierten die beiden nur im Kraftraum – ließen sich dann aber doch noch sehen.
Wück glaubt an «Akzente» der jungen Spielerinnen
«Wir wollen unseren Kandidatinnen-Kreis erweitern. Beide Spielerinnen haben es verdient. Sie setzen trotz ihres jungen Alters Akzente», sagt Wück. «Wir müssen auch von diesem Denken wegkommen, dass junge Spielerinnen nicht in der Lage sind, Spiele zu gewinnen, Spiele entscheiden zu können.» Der frühere Bundesliga-Stürmer ist davon überzeugt, dass junge Spielerinnen sein Vertrauen mit Leistung zurückzahlen.
«Nadelöhr in der Defensive»
«Mir fehlt so ein bisschen die Anzahl an Talenten», sagt Wück aber auch und spricht von einem «Nadelöhr in der Defensive». Da tut sich hinter den arrivierten Giulia Gwinn, Kathrin Hendrich, Felicitas Rauch und Sara Doorsoun eine große Lücke auf, in die zuletzt nur die Wolfsburgerin Sarai Linder energisch stoßen konnte.
Der Bundestrainer verweist aber ebenso wie Künzer auch auf die neu gegründete U23-Frauen-Auswahl. «Sicherlich profitieren wir jetzt auch von der U23, da ist die Verknüpfung sehr eng. Das wollen wir auch ausnutzen und immer mehr junge Spielerinnen bei uns testen», so die Sportdirektorin und spricht von einem «super spannenden Kader». Die Chance für den Nachwuchs sieht Künzer auch als «ein bisschen erzwungen, weil einige Spielerinnen – Leistungsträgerinnen – aufgehört haben. Aber sicherlich gehört auch ein bisschen Mut dazu.»
© dpa-infocom, dpa:241128-930-302050/1