Schneller Stromer – Fahrbericht: Niu MQi GT 100
SP-X/Köln. Niu hat als elektrischer Rollerpionier hierzulande eine wechselhafte Geschichte vorzuweisen: Nach einem höchst erfolgreichen Start litt der chinesische Hersteller unter der Insolvenz des Euro-Vertriebspartners KSR. Jetzt haben die Asiaten eine eigene Niederlassung gegründet, rechtzeitig zur Markteinführung des neuen MQi GT 100.
Dieser zeigt das Niu-typische Aussehen mit dem markanten Scheinwerfer, der seinen Projektionsscheinwerfer in ein rundes LED-Tagfahrlicht einbettet. Doch nicht nur die Front, auch der Rest spricht die bekannte Formensprache mit kompakten Abmessungen, einer fast geraden Sitzbank samt üppigem Kunststoff darunter. Entsprechend fällt die Ergonomie aus: Die Stiefel finden auf dem flachen Trittbrett eine angenehme Auflage, der akzeptabel große Abstand zur Sitzfläche entspannt die Knie und macht den recht knappen Freiraum nach vorn vergessen. Bei aufrechtem Oberkörper liegt der schmale Lenker vielleicht einen Tick zu niedrig. eine gute Fahrzeugkontrolle ist aber gegeben.
Ein Druck auf die mittige Taste am Transponder macht den Neuling scharf, via „Ready”-Taste dort, wo das Startknöpfchen an anderen Rollern sitzt, wird er aktiviert. Über die darüberliegende Moduswippe wählt der Fahrerdaumen aus drei Fahrmodi aus, je nachdem wie eilig er es hat. Nach jeder Aktivierungsprozedur ist automatisch der E-Save-Modus eingelegt, der sehr zurückhaltend ans Werk geht und maximal 45 km/h erreicht. Spürbar ambitionierter geht’s in Dynamic zur Sache, dann fährt der Niu bis zu 75 km/h bei immer noch sehr sanftem Antritt.
Die volle Brause sprudelt im Fahrmodus Sport, da spurtet der Chinese beim Ampelstart anderen Verkehrsteilnehmern locker davon. Auch aus dem Rollen ist der Durchzug beeindruckend und dazu noch laut- und vibrationslos – wie überhaupt die Manieren höchsten Ansprüchen genügen: Wunderbar gleichmäßig ohne Lastwechsel oder Schubpausen endet der Stromspaß erst bei echten 100 km/h, damit zählt der MQi GT zu den schnellsten Elektrorollern überhaupt.
Dafür verlangt der Antrieb naturgemäß nach höherem Strombedarf – je mehr der Radnabenmotor powert, um so mehr Energie benötigt er. In der Spitze ist der E-Motor für 8,2 PS gut, als Dauerleistung gibt Niu immer noch 6,8 PS an. Seine Energie bezieht er aus zwei Li-Ionen-Akkus mit je 1,87 kWh unterm Sitz, die fahrdynamisch anspruchsvoll bewegt eine realistische Reichweite von 80 Kilometern ermöglichen. Wer weniger als das beim Test erzielte Durchschnittstempo von sehr beachtlichen 79 km/h benötigt, dürfte vermutlich dreistellige Regionen erreichen.
Nicht verschweigen darf man allerdings, dass die Fahrdynamik ab rund 45 Prozent Akkukapazität sukzessive eingedampft wird. Das spürt man aber erst ab 30 Prozent Restkapazität, wenn Höchstgeschwindigkeit, Steigfähigkeit und Antritt langsam abnehmen. Bei nur noch 15 Prozent Ladung gibt’s einen elektronischen Rückfall in den E-Save-Modus – die Autobahn sollte dann hinter einem liegen. Bestenfalls kommen die Batterien vorher an eine Stromtankstelle. Eingebaut oder herausgenommen dauert es bei einer Restkapazität von zwanzig Prozent rund vier Stunden bis zur erneuten Vollladung, was angesichts eines durchschnittlichen Bürotags von siebeneinhalb Stunden auch auf der Arbeit geschehen kann.
Während sich frühe Elektroroller lediglich über ihren lokal emissionsfreien Antrieb definierten, kommt es heute auch auf Komfort, Fahrspaß und Sicherheit an. Entsprechend hat der neue MQi GT 100 in dieser Hinsicht zugelegt, auch wenn er sich beim Tanz durch die Stadt ein wenig steif um den Lenkkopf gibt. Nichtsdestotrotz flitzt er behände und mühelos um die üblichen Hindernisse wie plötzlich geöffnete Fahrertüren. Auf den üblicherweise ungnädigen bis verwahrlosten Untergründen unserer Städte kann das 14-Zoll-Fahrwerk trotz der sehr ungleichen Gewichtsverteilung zugunsten des Heckantriebs durchaus gefallen: Die Federelemente funktionieren manierlich und filtern allzu Grobes heraus, die CST-Pneus rollen recht neutral und einigermaßen zielgenau ab.
Allerdings sollte einem 100-km/h-Roller grundsätzlich ein ABS vergönnt sein, auch wenn es nicht vorgeschrieben ist und die beim NIU montierte Kombibremse durchaus griffig und effizient agiert. Beim eingeschränkten Stauraum zahlt der MQi den Tribut an die Elektrifizierung, denn dass das Ladegerät nicht unter die Sitzbank passt, ist einfach nur ärgerlich. Keine Blöße gibt sich der Chinese hingegen bei der Verarbeitung, die ebenso edle wie exklusive Leichtmetallschwinge erhöht den Besitzerstolz. Wer dieses genießen und im dreistelligen Tempo emissionslos unterwegs sein möchte, ist mit knapp 5.000 Euro nicht überteuert dabei.
Text: Thilo Kozik
Fotos: RKM
Technische Daten Niu MQi GT 100
Motor: luftgekühlter bürstenloser Gleichstrommotor, Nennleistung 5 kW (6,8 PS), Spitzenleistung 6 kW (8,2 PS), Drehmoment 200 Nm; zwei Lithium-Ionen-Akkus, je 1,87 kWh Maximalkapazität, Betriebsspannung 72 V; Radnaben-Direktantrieb.
Fahrwerk: Stahlrohrrahmen; Telegabel, Leichtmetall-Zweiarmschwinge hinten, zwei Federbeine (Federbasis fünffach einstellbar); Leichtmetallgussräder; Reifen 90/90-14 (vorne) und 110/80-14 (hinten). 22 cm Einscheibenbremse vorne, 18 cm Einscheibenbremse hinten
Assistenzsysteme: CBS
Maße und Gewichte: Radstand 1,38 m, Sitzhöhe 82 cm, Gewicht fahrfertig 130 kg, Zuladung 139 kg
Fahrleistungen und Verbrauch (Testangaben): Höchstgeschwindigkeit 100 km/h, theoretische Reichweite 80 km, Ladezeit (20% bis 100%) vier Stunden
Preis: 5.000 Euro