Offroader mit Ausdauer – Test: Bionicon Jesse FS 750 2
SP-X/München. Entspannt über Asphaltstraßen cruisen oder problemlos in grobem Gelände über kindskopfgroße Steine brettern – und alles dazwischen. So kann man kurz gefasst das Einsatzspektrum des Bionicon Jesse FS 750 2 beschreiben. Das Fully ist preislich und bei der Komponenten-Auswahl in der E-MTB-Mittelklasse angesiedelt. Das bedeutet, dass man für die 2024er-Versionen zwischen 4.300 und 4.500 Euro ausgeben muss. Ist das in Bayern entwickelte und montierte Gefährt dieses Geld auch wert? Das ist die Frage zu Testbeginn.
Das Jesse wird in drei Rahmengrößen angeboten und mit Reifen im 27,5- und 29-Zoll-Format. Damit die jeweilige Kombination zu Fahrerin oder Fahrer und zum angepeilten Einsatzzweck passt, sind Probefahrten vor dem Kauf unverzichtbar. Und die Frage nach dem Haupteinsatzzweck muss ebenso intensiv beleuchtet werden. Wer oft längere Strecken zurücklegt und auch eher grobe Brocken unter die dicken Nobby Nic-Reifen von Schwalbe nehmen will, ist mit der 29er-Variante besser bedient. Die kleinere Version wiederum steht für einen Tick mehr Agilität in jeder Lebenslage. Wir hatten jedenfalls am Testrad die größeren Reifen montiert und waren damit rundum zufrieden – auch was die Traktion in Geröllpassagen, den Grip auf Nässe oder das Abrollgeräusch auf Asphalt angeht. Ein wichtiges Thema ist auch das Gewicht, das Bionicon in seinen technischen Daten konsequent unterschlägt. 28 Kilo sind es laut unserer ungeeichten Personenwaage. Damit muss Mann oder Frau erst mal umgehen können.
Für eine komfortable und sichere Fortbewegung setzt das vom in Weiden/Oberpfalz ansässigen Rad- und Roller-Spezialisten MSA (u. a. Kymco, Voge, Mondial, Trenoli) vertriebene Bionicon auf bewährte Komponenten. Neben dem ebenso stabilen wie cool aussehenden Rahmen sind dafür vorne die SR Suntour XCR34 Boost-Federgabel und hinten das RockShox Deluxe Select-Federbein zuständig, dazu nimmt eine um 15 Zentimeter absenkbare Sattelstütze allzu steilen Abfahrten ihren Schrecken. Die Tektro HD-M735-Bremsen mit 203 und 180 Millimeter großen Scheiben lassen sich mit wenig Kraftaufwand punktgenau bedienen. Und auch die Shimano Cues-Schaltung mit ihren zehn Gängen macht das, was sie soll. Ihre Übersetzung reicht von sehr kurz bis ziemlich lang, wer noch zwei Gänge mehr haben will, muss das um 200 Euro teurere Modell FS 1 mit SRAM SX Eagle-Schaltung wählen.
Beim Antrieb setzt Bionicon auf das komplette Bosch-Paket vom Performance Line CX-Antrieb mit 85 Nm über den entnehmbaren 750-Wh-Akku im Rahmenrohr bis zum Kiox-Display samt der dazu passenden Lenker-Remote. Das Ganze ist natürlich smart und vernetzt, man kann damit aber auch einfach von A nach B fahren, und das mit möglichst vielen Höhenmetern dazwischen. Dank des dicken Powertube-Akkus ist Reichweitenangst kein Thema, die Touren können ziemlich lang ausfallen. Unsere um die 70 Kilometer langen Trips leerten die Batterie jedenfalls nur rund zur Hälfte.
Als unersetzlicher Begleiter in jeder Lebenslage stellte sich im bayerischen Voralpenland der E-MTB-Modus heraus. Der reguliert die Unterstützung sehr feinfühlig nach Bedarf und Tret-Input des Piloten. Das macht ständiges Wechseln der Unterstützungsstufen überflüssig und begünstigt den Flow am Berg – eine echte Stärke des Bosch-Antriebs, der in seiner nächsten Generation aber gerne einen Tick leiser ausfallen dürfte.
Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Das Bionicon Jesse FS 750 2 ist ein in sich stimmiges Gesamtpaket. Es scheut keinen noch so steilen Berg und keinen groben Untergrund, macht auf der Asphaltstraße eine gute Figur und quält Reiterin oder Reiter nicht mit einer allzu sportlichen Sitzposition. Der Preis ist vor allem wegen des ebenso hochwertigen wie ansehnlichen Rahmens gerechtfertigt. Bei der Qualität der Komponenten wäre aber zum Teil durchaus noch ein wenig Luft nach oben.