Mainz

White Christmas

Wenn Sie jetzt schon über die Hitze stöhnen, hilft vielleicht eine mentale Klimaanlage: Am 29. Mai 1942, also heute vor 70 Jahren hat Bing Crosby „White Christmas“ aufgenommen.

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In New York und das liegt ungefähr auf dem gleichen Breitengrad wie Neapel. Schon auf dem Weg zum Aufnahmetermin hat Crosby das erste Hemd durchgeschwitzt und auch das zweite ist nicht mehr trocken, als er in dem stickigen und verqualmten Tonstudio vorm Mikrofon steht. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, schließt einen Moment die Augen und dann, der Tontechniker gibt ihm ein Zeichen, legt er los. Mit Inbrunst und feinsandigem Schmelz träumt er von weißer Weihnacht und von glitzernden Baumspitzen. Dreikommanulleins Minuten lang gräbt sich die Prägenadel in den Rohling, dann ist das Hemd klitschnass und die Platte fertig, die zu einer der erfolgreichsten der Welt wird. Man sieht: Geht doch! Wenn’s also zu heiß wird, denken Sie einfach: Was Bing Crosby kann, kann ich auch.

Marketing der Zuckerlauge

Um die Kraft der Gedanken ging es gestern auch im Mainzer Zollhafen, als sich allerlei wagemutige Erfinder mit ihren schrägen Gefährten ins Hafenbecken stürzten. Der Veranstalter Red Bull ist selbst ein hervorragendes Beispiel für diese Kraft. Da muss man erst mal drauf kommen: Man nehme einen Eimer Wasser, kippe zwei Kilo Zucker rein, noch was Koffein und Taurin, künstliche Vitamine, Farb- und Aromastoffe und fertig ist die Lauge.

Jetzt kommt der Zaubertrick der Mentalkünstler, die man neudeutsch auch Marketingstrategen nennt. Sie verhüllen den Eimer mit einem Seidentuch, tippen dreimal mit ihrem Zauberstab dagegen und dann ziehen sie mit elegantem Schwung das Tuch zur Seite. Wo eben noch ein Eimer klebriger Brühe stand, deren Geruch frappierend an Mobiltoiletten erinnert (zum Glück bei Lieferung und nicht bei Abholung), türmt sich jetzt eine Pyramide schlanker Dosen und die werden gekauft wie blöd. Denn, so das Abrakadaba, sie „verleihen Flügel“.

„Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, war Karl Marx überzeugt. Wahrscheinlich hat er sich auch hier geirrt.

Büb Käzmann alias Markus Höffer-Mehlmer ist Kabarettist und lebt gerne in Mainz (www.bueb-kaezmann.de)