Wer führt die Kirche in welche Zukunft? Zehn Kandidaten werden für den Heiligen Stuhl hoch gehandelt – Jeder braucht aber eine Zweidrittelmehrheit

Urbi et orbi“ heißt der berühmte Segen des Papstes. Nun spekulieren die Stadt Rom und der Erdkreis über den Nachfolger von Benedikt XVI. Vor allem in Lateinamerika und Afrika wächst die Hoffnung. Am Tag nach der überraschenden Ankündigung Joseph Ratzingers (85), seine Bürde als Papst abzulegen, füllen Porträts möglicher Kandidaten ganze Seiten in den italienischen Blättern. Dabei wird sich das Karussell der Kardinäle bis zu der Papstwahl im März noch Wochen drehen – mit womöglich wechselnden Favoriten.

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Falls überhaupt wieder ein Europäer Chancen haben sollte, gilt neben anderen der Wiener Erzbischof und Theologe Christoph Schönborn (68) als möglicher Nachfolger. Er studierte bei Ratzinger in Regensburg, gilt als Mann des Ausgleichs: Er unterstützt zwar erzkonservative Bewegungen wie das Opus Dei, bekennt sich aber auch zu den Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ein besonderes Anliegen ist Schönborn die Beziehung zur Ostkirche.

Gut informierte Kreise hinter den Vatikanmauern sprächen davon, „dass schon vor Wochen die verschiedenen Fronten begonnen haben, sich zu positionieren“, schreiben die Vaticanisti der römischen Zeitung „La Repubblica“. Ahnten sie etwas? Wenn die italienischen Medien von „Fronten“ sprechen, dann meint das: „Die Partie wird zwischen den Kardinälen Italiens und den anderen gespielt.“

Peter Turkson (Ghana)

Timothy Dolan (New York)

Leonardo Sandri (Argentinien)

Odilo Pedro Scherer (Brasilien) Christoph Schönborn

Christoph Schönborn (Wien)

Marc Ouellet (Kanada)

Angelo Scola (Mailand)

Francis Arinze (Nigeria)

Tarcisio Bertone (Vatikan)

Luis Antonio Tagle (Philippinen)

Der Topfavorit unter den Italienern, die eine Phalanx von immerhin 28 Kardinälen stellen, ist wohl der Mailänder Erzbischof Angelo Scola (71). Auch Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, der Mann mit der größten politischen Macht im Vatikan, dürfte sich Hoffnungen machen – er ist der Zweithöchste in der katholischen Kirchenhierarchie.

Mit der Wahl setzen die 117 Kardinäle in jedem Fall auch inhaltliche Akzente – liegt ihnen mehr eine Reform der Kurie am Herzen oder eine stärkere Öffnung der weltumspannenden Kirche hin zu anderen Kontinenten? Auch Joseph Ratzinger kann nach seinem Rücktritt als Papst noch Einfluss ausüben. Zuletzt hat er der Deutschen Bischofskonferenz ein aktuelles Vermächtnis hinterlassen: Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner hat nach eigenen Angaben se

inen Kurswechsel bei der „Pille danach“ für Vergewaltigungsopfer mit dem Vatikan abgesprochen. Der Sekretär des Papstes, Erzbischof Gänswein, habe ihm gesagt: „Der Papst weiß Bescheid. Es ist alles in Ordnung.“ Die Pille sei dann zulässig, wenn das Medikament die Befruchtung verhindere.

Das Bewerberprofil laufe auf einen starken und wohl auch jüngeren Papst hinaus, orakeln die Experten von „La Repubblica“. Doch „im Moment sticht allerdings noch niemand entscheidend hervor“, halten die Vatikankenner der Turiner „La Stampa“ fest.

Auch wenn die Europäer in dem Kollegium der wahlberechtigten Kardinäle noch die Mehrheit haben, würde ein afrikanischer, lateinamerikanischer oder asiatischer Pontifex niemanden überraschen. Schlägt die Stunde Asiens nun in der Weltkirche, dann könnte der relativ junge und von Benedikt geschätzte Luis Antonio Tagle (55), Erzbischof von Manila, der Kandidat sein. Die Katholiken außerhalb Europas machen sich große Hoffnung. Denn sie werden gemeinhin als Zukunft der Kirche bezeichnet, weil bei ihnen die Zahl der Gläubigen im Gegensatz zu Europa wächst. Allein aus Afrika gelten gleich mehrere Kandidaten als „papabile“.

Gute Chancen werden dem nigerianischen Kardinal Francis Arinze eingeräumt, obwohl er schon 80 Jahre alt ist. Wesentlich jünger ist Kurienkardinal Peter Turkson (64) aus Ghana. 2009 ernannte Papst Benedikt XVI. Turkson zum Präsidenten des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden. Benedikt selbst hatte es früher bereits für eine interessante Idee gehalten, erstmals einen „dunkelhäutigen Papst“ auf dem Heiligen Stuhl zu haben.

Die Lateinamerikaner hoffen auf den Brasilianer Pedro Odilo Scherer (63) mit Vorfahren aus dem Saarland. Die Menschen nennen ihn Dom Odilo. Er setzt sich vor allem für die Rechte der Armen ein. Ebenfalls hoch gehandelt wird unter den Beobachtern im Vatikan der argentinische Kurienkardinal Leonardo Sandri.

Viele Nordamerikaner hoffen auf den Quebec-Kanadier Marc Ouellet (68). Der mit Ratzinger befreundete Theologe leitete Anfang 2012 in Rom einen Bußgottesdienst zur Missbrauchsproblematik und bat stellvertretend um Vergebung.

Der Erzbischof von New York, Timothy Dolan, gehört mit seinen 62 Jahren zu den jüngeren Kandidaten. Der neue Papst braucht in jedem Fall eine deutliche Mehrheit. Zum einen geht es um die Einheit der Kirche, die Benedikt in Gefahr sah. Zum anderen war es Benedikt selbst, der 2007 für die Papstwahl künftig eine Zweidrittelmehrheit der Stimmen festlegte. Es gilt daher als wahrscheinlich, dass es dauern wird, bis weißer Rauch aufsteigt.

Hanns-Jochen Kaffsack