Wechselwähler entscheiden spät: Verbot, Umfragen in der Woche vor der Wahl zu veröffentlichen, verdeckt möglichen Umschwung
Warum entscheiden sich immer mehr Wähler immer später, warum bekommen die Wahlforscher dies nicht richtig mit, und warum werden die Zahlen für Unentschlossene erst kurz vor den Wahlterminen veröffentlicht?
Dass sich immer mehr Wähler immer später entscheiden, ist die Folge der gestiegenen Volatilität (Schwankung) des Wahlverhaltens. Immer weniger Wähler sind fest an eine Partei gebunden. Gleichzeitig sind sich die Parteien ähnlicher geworden, ihre inhaltlichen Positionen sind nicht mehr so stark mit ideologischen Systemen belastet.
Das erleichtert den Wechsel von einer Partei zur anderen. Allerdings sind diese relativ kurzfristigen Wechsel in der Wahlabsicht nicht völlig frei. Viele Wähler bleiben in ihrem jeweiligen politischen Lager: Sie wechseln zwischen Union und FDP oder zwischen SPD und Grünen. Dabei entscheiden sie sich primär koalitionstaktisch.
Die Mehrheiten für bestimmte Koalitionsregierungen werden davon aber kaum berührt. Diese Wechsel finden zumeist Mittwoch bis Freitag vor einer Wahl statt. Dann legen sich die meisten Wähler endgültig fest. Dies können wir auch sehr zutreffend messen. Bisher dürfen wir jedoch aufgrund einer lange zurückliegenden Absprache von ARD und ZDF die Umfragen, die wir in der Woche vor der Wahl durchführen, nicht veröffentlichen.
So hat sich der Eindruck festgesetzt, dass solche Bewegungen nicht erfassbar seien. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass dieses Verbot aufgehoben wird. Denn nur aktuelle Umfragen können richtige Umfragen sein.
Müssen die Methoden entsprechend geändert werden, weg vom Telefon?
Nein, wir haben mit den telefonischen repräsentativen Befragungen ein wirksames Instrument, um zeitnah die aktuelle Stimmungslage in der Bevölkerung zu erfassen. Bekannte Defizite, wie zum Beispiel Dunkelziffern für radikale Parteien, können dabei durch Gewichtungen korrigiert werden.
Wie teuer ist eine repräsentative Telefonumfrage, und kann man allein mit politischen Umfragen ein Geschäft machen?
Der Preis einer Umfrage hängt stark von deren Umfang und der analytischen Detailliertheit ab. Es ist ja nicht damit getan, nur die Sonntagsfrage zu stellen. Schon die Modellrechnung für die Gewichtung der Sonntagsfrage (Projektion) erfordert viele weitere Fragen, und dann ist noch kein einziger Versuch unternommen, Wahlverhalten und verändertes Wahlverhalten auf inhaltliche Gründe zurückzuführen.
Und das ist ja die eigentliche Aufgabe wahlsoziologisch motivierter Umfrageforschung. Als Forschungsgruppe Wahlen beschäftigen wir uns ja fast ausschließlich mit politischen Umfragen. Wenn wir damit nur Defizite machen würden, hätten wir keine vier Jahrzehnte überlebt. Aber mit solchen Themen beschäftigt man sich ja nicht primär, um ein „Geschäft“ zu machen, so wenig, wie die meisten Journalisten ihren Job nur deshalb machen, um möglichst viel Profit zu erzielen.