Sa Torre

Trainingslager-Tagebuch (4): Freizeit in der Einöde

Am Montag haben die Profis des FSV Mainz 05 also mal frei im Wintertrainingslager auf Mallorca. Ausgang bis 0 Uhr.

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Und das nächste Training findet erst wieder am Dienstagnachmittag statt. Viel bietet sich hier in Sa Torre nicht an als Freizeitvergnügen. Vielleicht Eidechsen und Vögel beobachten, mehr bleibt da nicht in dieser Einöde fern der mallorquinischen Toruristenzentren. Sicher, der berühmte Ballermann in El Arenal ist nur 12 Kilometer entfernt. Doch in der Schinkenstraße bei „Kurt und Heidi“ beläuft sich das Durchschnittsalter der Besucher aus Deutschland und Großbritannien Anfang Januar bei 68,4. Das berichtet zumindest der umtriebige 05-Vorstandssekretär Werner Wehner, ein ausgewiesener Spanienkenner.

Im nur acht Kilometer entfernten Städtchen Llucmajor, alles andere als ein Touristenmagnet, herrscht in diesen Tagen eine Atmosphäre wie in Dodge City nach dem Abzug der Eisenbahnarbeiter und Cowboys. Stille, Ruhe, kaum ein Mensch auf den Straßen. In denen der Wind das trockene Laub über den Platz vor dem Kirchplatz weht. Um die Mittagszeit hat dort ein Café geöffnet. Da sitzen Radtouristen, deren Leibesfülle so gar nicht passen will zur professionellen Ausstattung, zu der grellbunt lackierte Carbonrennräder gehören, die sicher zwischen 3000 und 5000 Euro kosten.

Die spanischen, deutschen und britischen Senioren lassen es sich in der Sonne besonders gut gehen. Da wird zur Tasse Café immer noch gleich eine Flasche Whiskey oder Brandy geordert – und dann rein damit in die Tasse, was das Kaffeevolumen noch hergibt. Dieser Zeitverteib ist aber auch nichts für die heutige Profifußballergeneration. Diese Jungs leben asketisch. Da braucht es auch keine Kontrolle durch den Klub mehr.

Das war früher ganz anders. Mitte der 90er-Jahre campierten die 05er zweimal im Winter auf Mallorca. In Cala Millor, im „Club Simo“, eine Heimstätte, die eher an eine Jugendherberge erinnerte. Da waren ausbüchsen, sich mit Alkohol volllaufen lassen, Mädels aufreißen in der nächsten Disco und sich dabei nicht erwischen lassen die Topthemen. Dafür gab es damals Spezialisten wie Guido Schäfer, Thomas Zampach oder Ansgar „der letzte Rebell“ Brinkmann. Lebenslustige Profis, für die der Beruf Fußball mehr noch eine feucht-fröhliche Vergnügungsbühne war.

Fußballer mit dieser Mentalität gab es damals in fast allen Profimannschaften. Mit den 05ern wohnte auch mal der Zweitligakonkurrent Tennis Borussia Berlin im „Club Simo“. Da schoben Berliner Spieler vom nahen Supermarkt aus den mit Spirituosen voll beladenen Einkaufswagen direkt in die Herberge. An der Hotelbar patroullierte allabendlich Trainer Wolfgang Sidka, bewaffnet mit einem Strohhalm, den er in die Gläser der Spieler steckte und daran zog, um zu überprüfen, ob Kakao oder Bluna Spuren von Alkohol enthielten: Dabei dröhnten sich die Spieler zu hämmernder Musik auf ihren Zimmern die Birne zu…

Das erste Rückrundenspiel führte Tennis Borussia damals an den Bruchweg. Die Berliner gewannen mit 4:1. Ansgar Brinkmann, damals der beste 05-Stürmer, fehlte in dieser Partie. Der „weiße Brasilianer“ war im „Club Simo“ beim Entnüchterungsduschen in der Badewanne zu vorgerückter nächtlicher Stunde im Vollrausch ausgerutscht; dabei stand ein Bein in der Wanne, das andere außerhalb. Brinkmann musste sich umgehend einer Operation unterziehen. Er hieß fortan „der letzte eineiige Rebell“.

Josip Kuze saß damals oft in der Herbergslobby, dort spielte er bei ein paar Gläslein Wein gerne Schach mit Guido Schäfer. Eines späten Abends fuhr Thomas Zampach vor. Weit nach der vom damaligen 05-Trainer angesetzten Sperrstunde. Er habe zwei Mädels im Auto, ob er länger ausbleiben dürfe, fragte der mächtig angeheiterte Verteidiger. Josip Kuze winkte nur lässig ab. „Okay“, brummte der spielfreudige Kroate. „Viel Spaß!“ Guido Schäfer sprang auf vom Schachbrett und schloss sich seinem Kumpel Zampach umgehend an.

Vorgänge, wie sie heute undenkbar sind. Selbst in unmittelbarer Nähe des Ballermanns. Reinhard Rehberg