Einsiedel

Serie zur Fremdenfeindlichkeit in Sachsen: Die Neinsiedler

1500 Menschen gingen im 3600-Einwohner-Ort Einsiedel im Herbst auf die Straße. Doch es gibt auch Anwohner, die den 108 Flüchtlingen helfen und nicht „Nein zum Heim“ sagen.
1500 Menschen gingen im 3600-Einwohner-Ort Einsiedel im Herbst auf die Straße. Doch es gibt auch Anwohner, die den 108 Flüchtlingen helfen und nicht „Nein zum Heim“ sagen. Foto: Andreas Seidel

Ein Erzgebirgsort bei Chemnitz. Hier gerät der Protest gegen eine Flüchtlingsunterkunft außer Kontrolle, der Ort ist tief gespalten. Während die Asylgegner zunehmend von rechten Strömungen instrumentalisiert werden, versuchen einige Einsiedeler, den neuen Bewohnern zu helfen – und werden dafür unter Druck gesetzt.

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Wie fremdenfeindlich sind die Sachsen? Und warum gerät das wirtschaftliche Vorzeigeland der neuen Bundesländer immer wieder wegen ausländerfeindlichen Vorfällen in die Schlagzeilen? Unser Autor Stefan Hantzschmann ist in Sachsen aufgewachsen und hat in seiner Heimat nach Antworten gesucht. Im ersten Teil der vierteiligen Serie lesen Sie, wie Asylgegner einen ganzen Ort vereinnahmen.

Manchmal lauscht Steffi Barthold den Rednern vor dem Rathaus in Einsiedel. Dann öffnet sie das Fenster ihres Büros, unbemerkt von den „besorgten Bürgern“ draußen, die zu Hunderten in der Kälte demonstrieren, und hört genau hin, was die angereisten Pegida-Referenten zu sagen haben – von weißen Rittern, die die Einsiedler seien, und von Führern, die es bald geben werde. Dann fragt sie sich, wie es so weit kommen konnte, ausgerechnet in Einsiedel, einem Chemnitzer Vorort mit niedriger Arbeitslosenquote, funktionierendem Vereinsleben und „einem immer guten Miteinander“, wie sie sagt.

Seit mehr als einem halben Jahr ist das „gute Miteinander“ in Einsiedel vorbei. Wie Dutzende andere Dörfer und Städte in Sachsen ist der Erzgebirgsort tief gespalten. Mehr als 1500 Demonstranten gingen hier im Herbst jeden Mittwoch gegen Asylbewerber auf die Straße, dabei wohnen in Einsiedel nur 3600 Menschen. Der Protest wurde immer beängstigender. Eines Tages zündeten Vermummte vor dem Flüchtlingsheim Feuerwerkskörper und bengalische Feuer und Anwohner begannen, ihre Wohnungen abzudunkeln, um den Eindruck zu erwecken, es sei niemand zu Hause. Denn wer in Einsiedel nicht bei den Demos ist, ist für die Asylunterkunft und muss Nachteile fürchten.

So wie Steffi Barthold. Die 51-Jährige ist eine von etwa 100 Flüchtlingshelfern in Einsiedel, rund 80 von ihnen leben in dem Ort. Zusammen haben sie für die syrischen Familien ein Willkommensfest organisiert. Danach kamen Asylgegner mit Fackeln und Pyrotechnik zum Heim und machten Stimmung gegen die Flüchtlinge.

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Barthold neigt nicht zu großen emotionalen Gesten, erst recht nicht zum Jammern. Wenn sie davon erzählt, dass Unterschriftenlisten in Einsiedler Geschäften gegen sie auslagen und viele im Ort ihren Rückzug aus dem Ortschaftsrat forderte, mischt sich in das Singsang ihres erzgebirgischen Dialekts Gleichgültigkeit gegenüber den Anfeindungen gegen sie. „Ich frage mich, wie die Leute darauf kommen, für den ganzen Ort zu sprechen“, sagt sie, „ich bin seit mehr als 30 Jahren Einsiedlerin und ich sage nicht ‚Nein zum Heim‘.“

Für diese konsequente Einstellung bekam das SPD-Mitglied von Parteichef Sigmar Gabriel einen Blumenstrauß überreicht, weil sie „gegen die Rechtsradikalen“ kämpfe. Die Empörung der Einsiedler, von Gabriel als Rechtsradikale bezeichnet zu werden, war groß. Zu spüren bekam das Steffi Barthold. „Die erste Zeit nach dem Auftritt in Berlin bin ich nicht mehr durch den Ort gegangen und habe meine Besorgungen in Chemnitz erledigt“, erzählt sie. Bevor die Zwietracht Einsiedel heimsuchte, wurde Barthold mit den meisten Stimmen in den Ortschaftsrat gewählt, nach dem Auftritt mit Gabriel wurde sie vor Hunderten Menschen bei den Demos vorm Rathaus diffamiert. Auf einer Leinwand zeigten sie das Video mit Gabriel und zogen dann über sie her.

Noch drei Monate später spricht man in Einsiedel entrüstet über das Ereignis in Berlin, auch wenn sich die Redner bei den Kundgebungen wieder ihrem Kernthema zuwenden: Die Flüchtlinge sollen aus Einsiedel verschwinden. Bei klirrender Kälte haben sich an einem Mittwochabend etwa 300 Menschen versammelt, um gegen die Asylbewerber zu demonstrieren. Die Hauptstraße des Ortes ist von der Polizei abgeriegelt, Blaulicht wird von den Wänden des Rathauses reflektiert, aus plärrenden Lautsprechern klingt das Lied der Deutschen.

Eine 55-Jährige, die aus Chemnitz angereist ist, sagt, dass sie ihre Freunde in Einsiedel unterstützen will, und dass sie gegen Merkels Flüchtlingspolitik ist. Eine 18-Jährige sagt, dass es „so schön ruhig“ in Einsiedel war, bevor die Flüchtlinge kamen. Bisher sei noch nichts passiert, aber das sei nur eine Frage der Zeit. Wohl keiner hier bestreitet, dass es bislang keine Probleme mit den Flüchtlingen gibt, beim „Nein zum Heim“ bleiben sie trotzdem. Ein älterer Herr erklärt, dass er keine Gründe brauche, um gegen die Flüchtlinge in Einsiedel zu sein. „Ich will einfach nicht, dass die hier sind.“ Die Organisatoren der Demo wollen nicht mit der Presse reden.

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Später am Abend kommt Peggy von der Initiative „Heimat und Tradition“ nach vorn ans Mikrofon und wettert gegen die Lokalzeitung. Längst sind in Einsiedel die Grenzen zwischen bürgerlichem Protest und rechter Ideologie verwischt – wie bei so vielen Pegida-Ablegern. Bei Kundgebungen von „Heimat und Tradition“ sprechen auch NPD-Stadträte, auf YouTube gibt es Videos über Einsiedel von der „Ein-Prozent“-Bewegung, hinter der die rechten Ideologen Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer stecken (siehe unten). Kubitschek hat die Kameraden von Einsiedel sogar mal besucht. Auch Vertreter der Neonazi-Partei III. Weg unterstützen die „besorgten“ Einsiedler.

Angefangen hatte es in Einsiedel mit purer Ratlosigkeit. Während einer Einwohnerversammlung im Herbst vergangenen Jahres wollten die Bürger wissen, was das für Menschen sind, die in die Asylunterkunft kommen, welche Firma die Flüchtlinge mit Essen versorgen wird und wer für die Sicherheit im Ort sorgen soll – Fragen, auf die es damals noch keine Antworten gab. Dann begannen die Proteste, und die Aktionen der Initiatiative „Einsiedel sagt Nein“ wurden immer besorgniserregender. Die Asylgegner stellten einen Infostand auf, gegenüber der Gaststätte, wo es immer frisch Gezapftes gab.

Der Stand war täglich 24 Stunden lang besetzt. Wer hoch zur Asylunterkunft wollte, musste an den „besorgten Bürgern“ von Einsiedel vorbei – nur eine Straße führt zu dem ehemaligen DDR-Pionierlager und die hatte die Initiative „Einsiedel sagt Nein zum Heim“ unter ihre Kontrolle gebracht. Sie fotografierten Autofahrer und Nummernschilder, fragten, ob sich Flüchtlinge im Auto befinden. Als das Ordnungsamt den Stand auflöste, zogen die Asylgegner auf ein Privatgrundstück in der Nähe, stellten ein Heizgerät in den Pavillon und installierten Kameras, die Bereiche der Zufahrtsstraße abfilmten. Irgendjemand organisierte eine mobile Sauna für die Asylgegner – im Erzgebirge kann es im Winter bitterkalt werden. Die Polizei stoppte die Überwachung, als sie davon erfuhr. Den Infostand gibt es aber noch.

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Zehn Kilometer von Einsiedel entfernt sitzt Jens Paßlack vom Kulturbüro Sachsen in einem Chemnitzer Café und spricht von einer flächendeckenden rassistischen Mobilisierung, die Sachsen erlebe. „Es hat sich alles verschoben“, sagt er. Paßlack und seine Kollegen beraten Bürgerinitiativen, die sich gegen neonazistische Aktivitäten in ihren Städten und Gemeinden engagieren. „Nach der Wende konnten in Sachsen sehr früh Neonaziparteien Fuß fassen.

Die NPD ging mit ihrem Deutsche-Stimme-Verlag nach Riesa, in Chemnitz etablierte sich das rechtsextreme Blood-and-Honour-Netzwerk, und in vielen weiteren sächsischen Städten konnten sich Neonazistrukturen festigen und Einfluss auf die Diskurse nehmen“, erklärt Paßlack. Parteien und Organisationen wie die NPD verlieren zwar an Einfluss, ihre Anhängerschaft ist aber in den neuen fremdenfeindlichen Bewegungen sehr aktiv. „Die heutigen Neonazis vermitteln den Menschen den Eindruck für alle Bürger zu sprechen und fühlen sich von den Bürgern legitimiert, dies zu tun.“

Steffi Barthold will das weiterhin nicht hinnehmen, nicht akzeptieren, dass die Asylgegner die Meinungshoheit in Einsiedel beanspruchen. Und sie hat auch die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass in Einsiedel wieder Frieden einkehrt. „Einige im Ort, die erst bei den Demonstrationen mitliefen, wollen sich nun in der Flüchtlingshilfe engagieren“, sagt sie. Die Teilnehmerzahl bei den Kundgebungen ist bereits deutlich gesunken.

Wissenswertes

Die neue Rechte Sachsens: Langsame, getragene Gitarrenmusik, schwarz-weiß-Bilder, besorgte Bürger im Kerzenschein, Nahaufnahmen der Initiatoren von „Einsiedel sagt Nein zum Heim“: Im Internet gibt es mehrere Videos über den 3600-Einwohner-Ort bei Chemnitz. Erstellt wurden die Clips von der „Ein-Prozent-Bewegung“, einer Initiative der Rechtspopulisten Jürgen Elsässer und Götz Kubitschek.

Die „Ein-Prozent-Bewegung“ versucht seit Monaten die vielen kleinen Pegida-nahen Bewegungen in Deutschland zu vernetzen. „Merkel muss weg!“ steht auf der Startseite der Internetseite der Bewegung. Ihre Idee: 1 Prozent der Bevölkerung Deutschlands sollen sich gegen die Kanzlerin und deren Asylpolitik auflehnen. Jürgen Elsässer ist Chefredakteur des „Compact“-Magazins, das auch als Plattform für rechte Verschwörungstheoretiker gilt.

Lesen Sie in der nächsten Folge, wie sich die Bewohner eines sächsischen Dorfes an die Neonazikonzerte in ihrem Ort gewöhnt haben.