Schwesig: Prämie hält Kinder von frühkindlicher Bildung und Frauen von Chancen fern

Von Manuela Schwesig

Lesezeit: 4 Minuten
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Hinter dem warmherzigen Begriff Betreuungsgeld steckt in Wirklichkeit eine kalte Fernhalteprämie. Sie hält Kinder von frühkindlicher Bildung und Frauen von ihren Chancen auf dem Arbeitsmarkt fern. Das ist der absolut falsche Weg. Die rund 2 Milliarden Euro, die diese Fernhalteprämie jährlich kosten würde, müssen stattdessen dringend in den weiteren Ausbau von guten Kitaplätzen investiert werden.

Kitas sind wichtige Bildungseinrichtungen für Kinder. Hier sind sie mit anderen Kindern zusammen, lernen spielerisch viele neue Dinge kennen, und ihre Sprachentwicklung wird gefördert. Erst vor einigen Tagen ist eine große Studie der Freien Universität in Berlin veröffentlicht worden. Sie belegt aufs Neue, dass Kinder, die eine Kita besuchen, später bessere Chancen in der Schule haben. Ich selbst habe einen Sohn, der in eine städtische Kita geht. Er erhält dort von kompetenten und liebevollen Erzieherinnen und Erziehern wichtige Impulse für seine Entwicklung.

Deswegen ist es unverantwortlich, wenn konservative Stimmen mit ihrer unsäglichen Debatte über die Fernhalteprämie versuchen, Kita-Eltern ein schlechtes Gewissen einzureden. Erziehung und Geborgenheit im Elternhaus und frühkindliche Bildung in einer Kita schließen sich nicht aus, sondern ergänzen einander. Auch Eltern, die arbeiten gehen, tragen 24 Stunden am Tag Verantwortung und sorgen viele Stunden täglich für ihre Kinder. Wenn Frau Merkel und Herr Seehofer glauben, dass Erziehungsarbeit nur wochentags zwischen 8 und 15 Uhr stattfindet, dann wissen sie nicht, wovon sie reden.

Gute Kinderbetreuung ist nicht nur zum Wohl des Kindes. Sie ist auch wichtig dafür, dass Eltern Beruf und Familie besser vereinbaren können. Wer keinen Kitaplatz für sein Kind findet, kann auch nicht berufstätig sein. Deshalb haben sich auch führende Wirtschaftsvertreter wie der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, sehr deutlich gegen die Fernhalteprämie ausgesprochen. Angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels ist die Wirtschaft in Zukunft auch auf all die gut ausgebildeten Frauen angewiesen. Aber wie soll denn eine alleinerziehende Mutter ihren Lebensunterhalt verdienen, wenn sie keinen Kitaplatz in der Nähe findet?

Viele junge Paare wollen sich die Verantwortung in Beruf und Familie partnerschaftlich aufteilen. Für sie alle will die SPD Rahmenbedingungen schaffen, damit sie ihr Familienleben so einrichten können, wie es für sie am besten passt. Echte Wahlfreiheit kann es nämlich erst geben, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Wenn alle Eltern, die dies wünschen, einen guten Kitaplatz für ihren Knirps in der Nähe finden und wenn wirklich Chancengleichheit für Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt besteht. Davon sind wir leider noch weit entfernt. Deshalb muss es oberste Priorität haben, überall genügend Ganztags-Kitaplätze zu schaffen. Die SPD hat einen konkreten Stufenplan beschlossen, mit dem bis 2020 Ganztagskitas und -schulen flächendeckend ausgebaut werden. Das kostet zusätzlich 20 Milliarden Euro.

Darüber hinaus muss es uns auch um eine bessere Qualität der Kinderbetreuung gehen. Wir brauchen genügend gut ausgebildete Erzieherinnen und Erziehern, die für ihre wichtige Tätigkeit auch besser bezahlt werden. Wir brauchen kleinere Gruppen in den Kitas. Und es muss das Ziel sein, die Bildungseinrichtung Kita genau wie die Schule kostenfrei zu gestalten.

All das erfordert eine enorme Kraftanstrengung, die aber dringend erforderlich ist, denn Deutschland hinkt im internationalen Vergleich bei der frühkindlichen Bildung stark hinterher. Doch die Bundesregierung tut das Gegenteil: Mit der Fernhalteprämie gefährdet sie die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz ab dem ersten Lebensjahr, der ab August 2012 gilt. In vielen Regionen schlagen die Kommunen Alarm, weil sie Sorge haben, dass sie den bedarfsgerechten Ausbau bis dahin nicht schaffen. Gerade in Ballungszentren ist die Nachfrage nach Krippenplätzen höher als ursprünglich mit 35 Prozent angenommen. Doch anstatt aktiv Unterstützung zu leisten, will Bundesfamilienministerin Kristina Schröder sich mit der Fernhalteprämie billig aus der Verantwortung herauskaufen. Statt 1000 Euro pro Kitaplatz will sie Eltern 100 Euro dafür bezahlen, dass sie für ihr Kind keinen Kitaplatz in Anspruch nehmen. Für die dafür nötigen rund 2 Milliarden Euro könnten bundesweit 166 000 Kitaplätze finanziert werden.

Es geht der Kanzlerin schon lange nicht um das Wohl der Kinder, sondern um den lieben Frieden in der Koalition. „Ein Gebot der Fairness“ hat sie die Fernhalteprämie genannt, und gleichzeitig wurde beschlossen, dass Kinder aus Hartz- IV-Familien leer ausgehen sollen. Schwarz-Gelb führt damit also die Dreiklassen-Familie ein: Die Familie, die ihre Kinder zu Hause betreut ist gut – aber nur, wenn der Mann einen guten Job hat und genug Geld mit nach Hause bringt. Die Familie, die ihre Kinder in die Kita bringt, ist schlecht und geht leer aus. Und die alleinerziehende Frau, die gar keinen Partner hat und die von Hartz IV lebt, wird abgestempelt als jemand, die gar keine Erziehungsleistung bringt. Das ist infam und lässt all diejenigen Eltern völlig außer Acht, die für einen Niedriglohn arbeiten und mit Hartz IV aufstocken müssen.