RZ-KOMMENTAR: Einigung ist sozialer Sprengstoff, der nur Enttäuschte hinterlässt

Christian Kunst zur Hartz IV-Einigung

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Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, dass Politik zu einem Basar der Interessen verkommen ist, dann hat ihn die Einigung zur Hartz-IV-Reform geliefert.

Dieser Kompromiss geht zulasten von Millionen Steuer- und Abgabenzahlern, zulasten einer soliden Haushaltspolitik und damit künftiger Generationen. Er steht verfassungsrechtlich auf tönernen Füßen und wird für den deutschen Sozialstaat zum bösen Fluch werden. Denn künftig wird der Hartz-IV-Satz nach Einschätzung von Experten stärker steigen als die Renten.

Das ist sozialer Sprengstoff, vor dem sich besonders die CDU mit einer starken Rentnerklientel unter ihren Stammwählern fürchten muss.

Doch vergessen wir zunächst nicht das Positive an diesem Kompromiss: das 1,6 Milliarden Euro teure Bildungspaket, das insbesondere Kindern aus Hartz-IV-Familien zugutekommen soll. Es wird sich zwar erst noch zeigen müssen, ob die Kinder durch die Zuschüsse für ein warmes Mittagessen oder Freizeitaktivitäten tatsächlich in ausreichendem Maße profitieren werden. Doch an eines sollte man sich bei all dem Geschachere um die Erhöhung der Hartz-Regelsätze erinnern: Es ging in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in erster Linie um die Teilhabe der Kinder am gesellschaftlichen Leben. Wenn Deutschland ein Sozialstaat ist, dann muss dieses Land verhindern, dass sich Hartz-IV-Karrieren über Generationen fortpflanzen. In kaum einem anderen Industrieland bestimmt die Herkunft so sehr über die Bildungschancen wie in Deutschland. Das ist eine Schande. Und selbstverständlich reichen 1,6 Milliarden Euro allein nicht aus, um diesen Trend zu brechen. Doch es ist ein wichtiges Signal, das sich sehen lassen kann.

Leider geht dieser positive Impuls der Hartz-Reform im Kontext der anderen Kompromisse völlig unter. Dies liegt daran, dass es am Ende der Verhandlungen nur noch um die Regelsatzerhöhung ging. Diese war keine Forderung des Verfassungsgerichts, sondern eine der Opposition. Die Richter hatten lediglich gefordert, dass der Regelsatz künftig nachvollziehbar berechnet wird. Warum dies durch die jetzt für 2012 ausgehandelten zusätzlichen 3 Euro mehr eher erfüllt sein sollte als durch die bereits von der Regierung zugesagten 5 Euro, wird ein Rätsel bleiben. Letztendlich handelt es sich um einen politischen Regelsatz, mit dem die in Hamburg wiedererstarkte SPD bei den weiteren Urnengängen in diesem Jahr punkten will.

Doch für die Sozialdemokraten könnte dieser vermeintliche Punktsieg noch zu einem Bumerang werden. Denn der Kompromiss lässt fast nur Unzufriedene zurück: Viele Hartz-IV-Empfänger werden, unterstützt von Gewerkschaften und Sozialverbänden, gegen die Einigung auf die Straße und vor das Verfassungsgericht ziehen. Und auch die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung wird nur wenig Applaus spenden, wenn sie begreift, dass sie für den Kompromiss zur Kasse gebeten wird.

E-Mail: christian.kunst@rhein-zeitung.net