RZ-KOMMENTAR: Der Rücktritt Benedikts XVI. nährt die Hoffnung auf eine neue Kirche

Was für eine Nachricht, und was für eine Botschaft: Papst Benedikt XVI. tritt zurück. Schon die historische Dimension zeigt, wie außerordentlich dieser Schritt ist: Der letzte freiwillige Rücktritt des Oberhauptes der katholischen Kirche liegt mehr als 700 Jahre zurück. Auch viele Menschen, denen „die Kirche“ und der Papst fremd – oder fremd geworden – sind, spürten die damit verbundene Tragweite.

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Das Aufgeben eines Amtes – das war etwas Weltliches, sinnbildlich für Zerbrechlichkeit von Macht, für die Begrenztheit von Einfluss. Wie anders mutete uns demgegenüber die katholische Kirche an ihrer Spitze an: Der Papst – das war eine Instanz auch durch seine Amtsdauer, die stets bis zu seinem Tode währte.

Benedikt XVI. hat uns erleben lassen, dass dieses scheinbar eherne Gesetz doch nicht unumstößlich ist. Er war ein Papst, der sich bei vielen Themen des Glaubens und der gelebten Kirchenpraxis eher in der Tradition und damit auch in den Grenzen seiner Kirche bewegte. Er war ein Kirchenführer, der den massigen Tanker der katholischen Kirche eher stramm auf gewohntem Kurs hielt, statt ihn zu neuen Ufern zu steuern. Ausgerechnet er nun zeigt mit einer großen Geste, dass auch in der Kirche Petri nicht alles so bleiben muss, wie Priester und Laien, Gläubige und Kritiker es bislang annehmen mussten.

Es spricht für den großen Geist des 85-jährigen Wissenschaftlers, dass er die Kraft hatte, durch seinen freiwilligen Rücktritt mit der erdrückend langen Tradition seiner Amtsvorgänger zu brechen und nicht bis zum Ende seines Lebens Papst sein zu wollen – oder zu müssen. Der erste deutsche Papst seit 482 Jahren hat sich dabei ganz sicher nicht nur vom Schicksal seines Vorgängers Johannes Paul II. leiten lassen, dessen Kräfte in den letzten Jahren seiner Amtszeit für alle Welt sichtbar verfielen. Die kluge Erklärung von Benedikt XVI. zeigt, dass es ihm bei seinem Abgang nicht um sich, sondern um seine Kirche geht.

Offen gesteht er ein, dass die Welt sich schneller als früher verändert. Zutreffend beschreibt er, dass die Welt „hin und her geworfen“ wird. Und ohne Schonung seiner selbst konstatiert der Mann, der seit 62 Jahren Priester ist, dass ihm mittlerweile in Körper wie Geist die nötige Kraft fehlt, das „Schifflein Petri“ weiter gut zu führen. Bei allem inhaltlichen Dissens vieler mit diesem Papst: Dieses Infragestellen seiner selbst, dieses Zurückstellen der Person hinter die Aufgabe hat Größe. Und ist beileibe nicht in allen Lebensbereichen selbstverständlich.

Mehr noch. Es scheint, als ob Benedikt XVI. zwischen den Zeilen seiner Rücktrittserklärung seinen Kardinälen, Bischöfen und Priestern sowie den weltweit rund 1,2 Milliarden Katholiken signalisiert: Diese Zeiten verlangen nach einem Aufbruch in der Kirche – und nach einem neuen Typus von Papst. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass dem bisherigen Papst zum Schluss seiner Amtszeit klarer war als zu Beginn: Die katholische Kirche entfernt sich derzeit eher von den Menschen, als dass sie sich ihnen nähert.

Der überraschende Amtsverzicht des Papstes nährt nun weltweit die Hoffnung nach einem Neubeginn im Vatikan und nach einer der Zukunft zugewandten Führungspersönlichkeit an der Spitze dieser Weltkirche. Dazu gehört zentral, die weiß Gott nicht mehr zeitgemäßen Klüfte zwischen der katholischen Kirche und den protestantischen Kirchen zu überbrücken. Benedikt XVI. hat hier faktisch für Rückschritte gesorgt. Gleiches gilt für eine wünschenswerte Milde der Amtskirche im Verhältnis zu Menschen, die bisher oft berechtigte Gründe haben, sich von einer dogmatisch wirkenden Kirche vor den Kopf gestoßen zu fühlen. Frauen, Laien, Geschiedene, Wiederverheiratete, gleichgeschlechtlich Liebende, Menschen in Konfliktsituationen – zwischen der Kirche und zu vielen Menschen gibt es so viele unnötige Spannungen und Brüche, die ihren Grund wahrlich nicht im Kern des Glaubens haben. Gelingen dem Nachfolger Benedikts XVI. hier die nötigen Schritte, hat gerade die katholische Kirche alle Chancen, das Werte-Vakuum mit füllen zu helfen, das Materialismus, das wachstumsfixierte Plündern der Schätze dieser Welt sowie die Finanzkrise so ernüchternd deutlich gemacht haben. Der Papst hat mit seiner wiederholten Kritik an Fortschrittsglauben und materialistischen Weltanschauungen glaubhaft deutlich gemacht, dass es mehr geben muss als Gewinnstreben und das vermeintliche Recht der Stärkeren.

Ganz in diesem Sinne wäre die Zeit höchst reif für einen Papst aus Afrika oder Lateinamerika. Er könnte den immer noch sehr westlich geprägten Fokus der katholischen Kirche nachhaltig ändern. Gut möglich, dass Benedikt XVI. mit seinem Rücktritt die Tür genau dafür geöffnet hat.

E-Mail: christian.lindner@rhein-zeitung.net