RZ-Kommentar: Das Deutschlandbild ist stark angekratzt

Ja, wir wissen es: Die Justiz ist unabhängig. So ist es deutschen Gerichten in unserer Verfassung garantiert. Und das ist nach leidlichen Erfahrungen in Diktaturen und gelenkten Demokratien eine Errungenschaft, die niemals angetastet werden darf. Deutsche Gerichte müssen unabhängig sein. Aber das bedeutet nicht, dass sie auch unsensibel sein müssen.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Ganz besonders gilt das für den in Kürze in München beginnenden Prozess gegen Beate Zschäpe wegen der rechtsterroristischen NSUMordserie. In München geht es nicht nur um das Ausmaß von Schuld und Unschuld der Angeklagten. Es geht auch um das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat. Das hat massiv gelitten. Im Inland wie im Ausland. Und deshalb hätte das Gericht gut daran getan, sich von vornherein ein paar Tipps zu holen, wie man im Saal eine Öffentlichkeit herstellt, die nicht nur den Formalien eingespielter regionaler Gerichtsroutine gerecht wird.

Das Erschrecken über die fast ein Jahrzehnt lang beharrlich übersehenen Zusammenhänge zwischen den Morden an Migranten hat im Ausland das Misstrauen wachsen lassen: Greifen die Deutschen auch 80 Jahre nach dem von Rassenwahn getragenen Beginn der NS-Schreckensherrschaft tatsächlich lieber erst zu kriminellen Klischees über Ausländer, statt die Mörder unter abgetauchten Neonazis zu suchen? Die Antwort kann nur in schonungsloser Aufklärung und größtmöglicher Transparenz bestehen. Reservierte Plätze für internationale Prozessbeobachter wären eine gute Botschaft gewesen.

So wie es der NSU-Untersuchungsausschuss im Gespräch mit türkischen Offiziellen angesprochen hatte. Und eine Kontingentlösung für regionale, nationale und internationale Medien für die Presseplätze hätte dem Gericht auch gut angestanden. Wie Justitia mit verbundenen Augen darauf zu hoffen, dass sich alles schon von selbst fügt, ist in diesem Fall zu wenig.

Die böswillig-verletzenden Beleidigungen Angela Merkels auf Plakaten mit Hitler-Schnurrbart und Hakenkreuzen auf den Straßen der Euro- Krisenländer haben nichts mit dem Prozess in München zu tun. Sie stellen ideenarme Polemik und bequeme Schuldzuweisungen dar: Es ist einfacher, den Grund für die eigene Misere in einem „typisch deutschen“ Unterdrückungs- und Eroberungsfeldzug in der Tradition des nationalsozialistischen Deutschland zu sehen, statt in hausgemachten Fehlentwicklungen.

Vermutlich ist vielen Demonstranten nicht einmal bewusst, wie weit sie mit ihrer Gleichsetzung von Euro-Stabilitätskurs und verbrecherischem Angriffskrieg über ihr eigentliches Anliegen hinausschießen. Im Kern des inzwischen beliebt gewordenen „Germany Bashing“ geht es um zwei benachbarte Gefühle. Das eine ist der Neid auf Deutschland, das tatsächlich als eines von ganz wenigen Ländern gestärkt aus der Krise herauszukommen scheint und im Verhältnis dann noch viel stärker als die ohnehin schon schwächeren anderen EU-Staaten sein dürfte.

Das andere ist die Wut auf Deutschland, das allen süßen Versuchungen einer Linderung durch Euro- Bonds im Weg steht. Man kann in der Tat aus der Perspektive kränkelnder Euro-Staaten Deutschland für unsolidarisch halten, wenn es den Zugang zu billigem Geld durch vergemeinschaftete Schulden verwehrt. Und wenn dann noch klar wird, wer unter diesem Kurs derzeit am meisten leidet (die Schwachen in Europa) und wer am meisten davon profitiert (Deutschland), dann ist es gar nicht mehr weit bis zu Protest mit Polemik.

Diese Polemik, so ungerecht sie auch sein mag, zeigt zugleich, wie schnell und wie leicht sich dumpfe Ressentiments gegen Deutschland beleben lassen. Mögen sie auch viele Jahrzehnte von der Realität entfernt sein.

E-Mail: gregor.mayntz@rhein-zeitung.net