Moskau

Russland: Wohnsorgen stören die Nachwuchsplanung

Russlands Bevölkerung schrumpft. Viele Eltern nutzen das Kindergeld, um Hypotheken zurückzuzahlen.

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Das Plakat in der Moskauer Metro zeigt eine strahlende Mutter mit drei Babys auf dem Arm. „Das Land braucht Ihre Rekorde“, steht darunter. Das Poster ist Teil einer seit Jahren betriebenen Kampagne der Regierung, die mit vielen Versprechungen und tatsächlichen finanziellen Anreizen versucht, die Geburtenrate in die Höhe zu treiben.

Nur wenige Stunden nach seiner dritten Amtseinführung als Präsident unterzeichnete Wladimir Putin im Mai einen Erlass: Die Fertilitätsrate müsse bis zum Jahr 2018 auf 1,75 Kinder pro Frau gesteigert werden. Wie das umgesetzt werden soll, weiß niemand.

Weniger Geburten, geringere Lebenserwartung

Die Volkszählung von 2010 hat es gezeigt: Russland befindet sich in einer schweren demografischen Krise. Seit 1989 ist die Bevölkerung um mehr als vier Millionen Menschen zurückgegangen. Auf einem Gebiet, das mehr als doppelt so groß ist wie China (1,3 Milliarden Einwohner), leben 142,9 Millionen Menschen. Nach den Hochrechnungen der Vereinten Nationen wird die Bevölkerungszahl bis 2025 möglicherweise auf 120 Millionen schrumpfen. Die Gründe: eine zurückgehende Geburtenrate bei gleichzeitig geringer Lebenserwartung. Bekamen russische Frauen zu Sowjetzeiten im Durchschnitt 2,02 Kinder, so liegt die Fertilitätsrate mittlerweile bei 1,47. Die Lebenserwartung beträgt für Frauen 76 Jahre, für Männer hingegen 64 Jahre – das sind 15 Jahre weniger als in Deutschland. Alkoholismus, gefährlicher Lebenswandel und schlechte Gesundheitsversorgung sind dafür verantwortlich, dass viele russische Männer nicht alt werden.

„Mutterschaftskapital“ nennt sich ein 2007 eingeführtes Programm, mit dem der russische Staat die Bürger animieren will, wieder mehr Kinder zu kriegen. Das „Matkapital“ ist eine Subvention, die Mütter drei Jahre nach der Geburt ihres zweiten und jedes weiteren Kindes erhalten. Der Betrag von 340 000 Rubel (8600 Euro) kann ausschließlich für drei Zwecke ausgegeben werden: zur Verbesserung der Wohnsituation, zur Ausbildung des Kindes oder als Ansparung für die Rente der Mutter. Seit 2009 können Eltern das Geld zudem für Hypothekenrückzahlungen nutzen. Viele Familien machen davon Gebrauch.

Denn eines der größten Probleme, das junge russische Eltern davon abhält, mehr als ein Kind zu bekommen, sind die Wohnverhältnisse. Seit dem Ende der Sowjetunion wurde kaum in den sozialen und kommunalen Wohnungsbau investiert. Die Folge: Es entstanden in erster Linie exklusive Neubauten für gehobene Einkommen. In Moskau kostet eine Eigentumswohnung etwa 3000 bis 4000 Euro pro Quadratmeter – für junge Paare ist selbst ein

Einzimmerapartment unerschwinglich. Viele junge Familien wohnen wie zu Sowjetzeiten unter einem Dach mit den Großeltern: Mama, Papa und das Baby teilen sich das ehemalige Kinderzimmer. Gestritten wird häufig, und an ein zweites Kind mögen in der Enge nur wenige denken.

Probleme auch auf dem Land

Auf dem Land sieht es wenig besser aus. Ein Holzhäuschen auf dem Dorf kostet umgerechnet etwa 25 000 Euro, doch in ländlichen Gegenden verdienen die Menschen nur wenige Hundert Euro im Monat. Zudem sind die Besitzverhältnisse für Bauland oft unklar. Im Jahre 2010 ordnete der damalige Kremlchef Dmitri Medwedew deshalb an, Gemeinden sollten kinderreichen Familien kostenlos Grundstücke anbieten. Doch wie Recherchen der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gazeta“ in der südrussischen Stadt Saratow ergaben, ging auch diese Reform den in Russland üblichen Weg. Insgesamt 380 kinderreiche Familien in Saratow hatten sich um die Grundstücke beworben, aber bis Mai 2012 hatten nur 19 von ihnen eine Parzelle erhalten. Zudem war das zugeteilte Land oft sumpfig und an einem steilen Abhang – also zum Bauen nicht geeignet. So ist es nicht verwunderlich, dass das „Mutterschaftskapital“ bislang wenig hat ausrichten können.

Von unserer Moskauer Korrespondentin Doris Heimann