Pulver-Kurt und seine bizarren Kriegsspiele

Ein Bild, das alles sagt: Becherbach nach dem Fund von Sprengstoff bei "Pulver-Kurt".
Ein Bild, das alles sagt: Becherbach nach dem Fund von Sprengstoff bei "Pulver-Kurt". Foto: dpa

Becherbach/Baumholder – Mit den Waffenfunden bei „Pulver-Kurt“ im Kreis Bad Kreuznach ist auch eine Reihe von dubiosen Veranstaltungen im Raum Baumholder in den Blickpunkt gerückt. Seit mehreren Jahren treffen sich bei Baumholder Militärbegeisterte, um Weltkriegsschlachten nachzuspielen. In zumindest einem Fall wurden in der Vergangenheit auch verfassungsfeindliche Symbole gezeigt. Die Rhein-Zeitung hat sich dem Thema „Pulver Kurt“ aus Hundsbach noch einmal intensiv gewidmet.

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Baumholder. Es genügt dieser Name und die Gespräche verstummen. „Ich bin bloß auf Durchreise“, sagt der Gast am Tresen des Gasthofs und zwinkert als würde es nicht die Wahrheit sein. „Lass mal stecken“, meint der andere und dreht sich wieder weg.

Kein Feuerwerk: Der Sprengstoff wird in Becherbach kontrolliert in die Luft gejagt. Nicht auszudenken, was im Dorf hätte passieren können.

Hier detonierte die Sprengladung.

Die Wucht der Detonation wurde mit Strohballen gedämpft.

Am Friedhof splitterte das Türglas.

In einer Pressekonferenz erklärten die Verantwortlichen den Verlauf der Sprengung.

Verbandsbürgermeister Alfons Schneider vor laufender Kamera im Interview.

Alle Fotos Martin Köhler

Es ist früher Abend in Hundsbach, im Fernsehen werden die SWR-Nachrichten gezeigt, aber heute interessiert sich niemand dafür. Es ist das erste Mal seit Tagen, dass der 400-Einwohner-Ort im Kreis Bad Kreuznach in der Sendung nicht vorkommt.

„Ich sage Ihnen jetzt was“, antwortet dann doch noch einer an der Theke, dreht das Bierglas in der Hand und blickt kurz hoch: „Wir Hundsbacher, wir stehen alle hinter Pulver-Kurt.“

Es fällt kein böses Wort über den Mann, der mit seinem Waffenarsenal das Nachbardorf in die Luft hätte sprengen können. Maschinengewehre, Pistolen – insgesamt 70 Waffen mit rund 120 000 Schuss Munition und bis zu 60 Kilogramm Sprengstoff hat die Polizei in Scheune und Haus des 62-jährigen Rentner entdeckt. Es war bundesweit der größte Waffenfund bei einem Privatmann und es war eine Entdeckung, die die Fantasien anregte.

Schon sprach mancher von einem Waffen-Lager der Gladio, einer Geheimarmee aus dem Kalten Krieg. Andere witterten eine noch unbekannte Neonazi-Organisation. Wahrscheinlich dürfte die Wahrheit deutlich unspektakulärer sein. Die Staatsanwaltschaft geht derzeit eher von einem verrückten Sammler aus, Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund gibt es nicht. Aber was heißt das schon bei einem Sammler wie Pulver-Kurt, bei dem die Grenzen zwischen der Begeisterung für Militaria und der Verherrlichung einer Epoche wohl fließend sind.

Es ist dieser schmale Grat auf dem auch die Mitglieder der Szene wandeln, die durch Pulver-Kurt plötzlich in den Fokus gerückt ist: Seit Jahren treffen sich im Raum Baumholder Militärbegeisterte, um Schlachten aus dem Zweiten Weltkrieg nachzuspielen. Sie schlüpfen in Feldhose, fahren im Kübelwagen vor und mit ein bisschen Glück bringt auch jemand einen Jagdpanzer mit. WW-II-Reenacting (Weltkrieg nachstellen) heißt dieses Hobby und die Szene hat es damit in Deutschland verständlicherweise schwer – auch wenn sich die Mehrheit der 
Reenacting-Gruppen ausdrücklich von SS-Gruppen und rechtem Gedankengut distanziert.

In Baumholder dauern die Veranstaltungen meist drei Tage, bis zu 130 Teilnehmer wurden dabei beobachtet. Eingeladen wird von den US-Amerikanern in den Kasernenbereich der Smith-Barracks, auch Häuserkampf steht dabei auf dem Programm.

Am Abend gibt es Filme
über den Weltkrieg

Vor allem in Internetforen werden Mitstreiter gesucht. Ein Teilnehmer, hat sich dabei oft besonders hervor getan, es dürfte sich um den Sohn von Pulver-Kurt handeln. Er ist wegen der Funde ebenfalls ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. „Vor zwei Jahren war‘s cool, letztes Jahr war‘s spitzenmäßig, und dieses Jahr wird‘s der Hammer“, freut er sich etwa 2006 im Vorfeld der Veranstaltung. Es werden nicht nur Schlachten nachgestellt, es gibt auch „zeitgenössische Musik“ und am Abend werden Weltkriegsfilme gezeigt. Tatsächlich wird die 2006er-Veranstaltung einigen mehr in Erinnerung bleiben als ihnen lieb ist.

Pulver-Kurt hat sich damals besonders in Schale geworfen, er erscheint in einer SS-Uniform mit eindeutigen verfassungsfeindlichen Zeichen. Besonders bizarr: Ausgerechnet der Mann mit der Scheune voller illegalen Gewehren, wird an diesen Tagen ausgewählt, um die Waffen der Teilnehmer zu kontrollieren. Über seinen Auftritt rümpfen allerdings gleich mehrere Teilnehmer die Nase und distanzieren sich später von der Veranstaltung.

Wenig später werden zudem dem Landeskommando Rheinland-Pfalz der Bundeswehr eindeutige Fotos von Pulver-Kurt zugespielt. Das Landeskommando stellt Anzeige, das Verfahren wird aber eingestellt. „Weil er ein unbestrafter Täter war und sich über die Folgen keine Gedanken gemacht hat“, sagt heute der Staatsanwalt. Für das Landeskommando war dies immerhin Anlass genug, dem ehemaligen Soldaten Hausverbot zu erteilen, zudem darf er keine Bundeswehruniform mehr tragen.

Wehrmacht-Darsteller werden eingeladen

Die Kriegsspiele gehen trotzdem weiter. Wie oft Pulver-Kurt in den Folgejahren dabei war, ist unklar. Es gibt aber Hinweise, dass er später nicht mehr als SS-Gruppenführer, sondern als Major der 72. Infanteriedivision auftaucht. Immerhin wird nach den Vorfällen und dem Wechsel der Organisatoren wieder verstärkt darauf geachtet, dass keine SS-Gruppen mehr auftauchen, die Freude an den Spielen ist aber ungebrochen. Auch Wehrmacht-Darsteller werden regelmäßig eingeladen. 2008 wird die Schlacht im Hürtgenwald nachgespielt, 2009 geht es um den Ausbruch der US-Amerikaner aus dem Normandiebrückenkopf.

Das vorerst letzte Treffen ist im April 2010 – wieder sind Kämpfe in der Normandie Vorbild. Die Armee-Zeitschrift „Stars and Stripes“ berichtet einmal, dass „Weltkriegsenthusiasten aus Frankreich, Deutschland, Holland und Ungarn anreisten. Selbst der Fernsehkanal der US-Streitkräfte dokumentiert die Veranstaltung. Beim Treffen im vergangenen Jahr ist die Rede von rund 100 Landsern und etwa 30 USSoldaten.

Der Sprecher des Landeskommandos, Oberstleutnant Uwe Schmelzeis, verweist darauf, dass die Treffen nicht auf dem Areal des Truppenübungsplatzes stattfinden. In den vergangenen Jahren wurde nur eine einzige Genehmigung der Kommandantur erteilt. Dabei geht es aber um eine Fahrübung der Reservistenarbeitsgemeinschaft militärhistorischer Fahrzeuge Idar Oberstein. „Die Reenactment-Treffen waren auf dem Areal der US-Amerikaner“, sagt er, „Darauf haben wir keinen Einfluss.“

Von unserem Redakteur Dietmar Telser