Provokateur Roland Emmerich: Politik ist eine einzige Verschwörung

Dieser Typ sieht völlig harmlos aus, aber er hat es faustdick hinter  den Ohren: Roland Emmerich. „Ich liebe es, ein Provokateur zu sein“,  sagt er im Interview mit unserer Zeitung.
Dieser Typ sieht völlig harmlos aus, aber er hat es faustdick hinter den Ohren: Roland Emmerich. „Ich liebe es, ein Provokateur zu sein“, sagt er im Interview mit unserer Zeitung. Foto: dpa

Erst ließ er Aliens die halbe Welt zerstören. Dann fegte die Eiszeit alles Leben dahin. Jetzt hat Regisseur Roland Emmerich etwas Neues im Visier: Shakespeare. Wir haben die Hollywoodlegende zum Interview getroffen.

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Erst ließ er Aliens die halbe Welt zerstören. Dann fegte die Eiszeit alles Leben dahin. Jetzt hat Regisseur Roland Emmerich etwas Neues im Visier: Shakespeare. Wir haben die Hollywoodlegende zum Interview getroffen.

Hat Shakespeare seine Werke selbst geschrieben, oder hat er nicht? Das ist hier die Frage. Schon seit rund 100 Jahren debattiert die Literaturwelt immer wieder über dasselbe Thema. Kritiker weisen darauf hin, dass William Shakespeare der Sohn eines ungelehrten Händlers war und lediglich eine einfache Dorfschule besuchte. Woher hatte er den Wortschatz, um das tragische Leben Hamlets, die brennende Liebe Romeos und Lady Macbeths peinigende Schuld beschreiben zu können?

Sigmund Freud, Mark Twain oder Orson Welles gehören zu den historischen Größen, die Shakespeares Urheberschaft infrage stellen. Aber: Wer hat dann all die wunderbaren Stücke geschrieben? Manche behaupten: eine Gruppe von Autoren. Andere sagen: Es war der Earl von Oxford, Edward de Vere. Warum? Der Earl bereiste Europa und konnte seine Stücke also glaubwürdig in Italien ansiedeln. Und sein Spitzname soll „Spear Shaker“ gewesen sein.

Filmreifer Stoff, ohne Zweifel. Stoff für Roland Emmerich, der es liebt, Diskussionen anzufachen. Wir treffen den Blockbuster-Regisseur in Frankfurt. Der Weg zum Interviewraum ist streng bewacht: Bodyguards stehen überall, auch bei unserem Interview ist eine Leibwache im Raum und beobachtet uns. Wer in seinem Film behauptet, dass Shakespeare ein Betrüger ist, scheint anschlagsgefährdet zu sein. Emmerich selbst jedenfalls sitzt völlig entspannt da. Seine einzige Sorge ist sein schlechtes Hochdeutsch.

Urheberschaftsdiskussionen sind ja sehr spannend, Herr Emmerich. Haben Sie Ihre Filme wirklich alle selbst gemacht? Oder haben wir in 100 Jahren die Diskussion ...

(lacht) Das ist eine spannende Frage, weil wir in Hollywood immer im Team arbeiten. Ich schreibe ein Drehbuch selten allein. Manchmal die erste Fassung, aber dann steigen andere Autoren zu. So war es auch im Mittelalter! Auch da schrieb nicht nur ein Einzelner die Stücke.

Gibt es ein Element, das alle Emmerich-Filme gemein haben? An dem man Sie erkennen kann?

Ich liebe es, ein Provokateur zu sein. Es gibt immer Szenen, in denen ich versuche, zu sagen, was ich denke. In „The day after tomorrow“ wollen Amerikaner beispielsweise dem nahenden Sturm entkommen und versuchen, über die Grenzzäune nach Mexiko zu klettern und quasi dort illegal einzuwandern. Da halte ich den Amerikanern den Spiegel vor.

Freut sich Ihre Familie, dass Sie jetzt endlich mal nichts kaputt machen im Kino, sondern was Gescheites drehen? Shakespeare.

(lächelt verschmitzt) Ja, ich habe meine Mutter mal gefragt, welchen meiner Filme sie am meisten mag. Und sie sagte „Der Patriot“ ... Den „Anonymus“ hat sie noch nicht gesehen, ich hoffe aber, dass er ihr gefällt.

Ein Film für die ganze Familie, hm?

Für meine auf jeden Fall, ja. Mein Vater war ja am Anfang nicht so überzeugt davon, dass Filmemachen so eine gute Idee ist. Ich stamme aus einer Unternehmerfamilie, und er sah das Kino als brotlose Kunst an. Aber nach ein paar Jahren war ihm dann auch klar, dass ich genau das Richtige gemacht habe.

Mögen Sie Verschwörungstheorien?

O ja. Ich mag sie, weil sie immer ein anderes Bild zeigen als das, was uns so vorgesetzt wird. Ich glaube, dass es wichtig ist, Verschwörungstheorien nicht so negativ zu sehen. Ich denke, dass die ganze Politik eine einzige Verschwörung ist! Es ist ja nicht so, dass Politiker morgens zur Arbeit gehen und sagen: „Ich erzähle jetzt mal allen die Wahrheit.“ Sondern: „Wie kann ich am besten lügen?“

Waren die Amerikaner auf dem Mond oder nicht?

Die waren auf dem Mond. Wobei es da ja immer unsicher ist, was bewiesen ist. Ich glaube aber im Übrigen nicht, dass Lee Harvey Oswald Kennedy erschossen hat. Da gibt es zu viele Beweise, die dagegen sprechen.

In Ihrem Film legen Sie sich auf die Theorie fest, dass nicht Shakespeare selbst seine Werke geschrieben hat, sondern Lord von Oxford unter falschem Namen. Schaffen Sie damit eine Wahrheit?

Ja und nein. Natürlich ist so ein Film sehr logisch aufgebaut, das muss ja so sein. Aber ich habe dem Film einen Prolog vorangesetzt, so wie Shakespeare das immer getan hat. Und in dem sage ich ganz klar: „Ich erzähle euch jetzt eine Geschichte.“ Eine Erfindung! Ich will nicht so sein wie das Literaturestablishment, das behauptet, die Wahrheit zu kennen. Aus 70 kleinen Hinweisen auf Shakespeares Leben schreiben die 300 Seiten dicke Bücher. Das sind die wahren Geschichtenerzähler! Ich habe mich immer dafür eingesetzt, zu sagen: Wir müssen den Kinozuschauern klipp und klar sagen, dass wir ihnen nur eine Geschichte erzählen. Die aber natürlich zum Nachdenken anregt.

Mochten Sie Shakespeare in der Schule?

Überhaupt nicht! Gut, ich habe ihn auch nur selten gelesen, ich war auf einem wissenschaftlichen Gymnasium, und da waren eher Goethe und Schiller und Hölderlin wichtig. Ich habe Shakespeare vor allem im Stuttgarter Staatstheater gesehen.

„When shall we three meet again ...“

(lacht)

Wäre Shakespeare ein guter Filmemacher gewesen?

Ich glaube ja. Seine Stücke sind sehr, sehr gut aufgebaut! Das ist auch eine Sache, die mir sehr wichtig ist in meinem Leben: Shakespeare hat vielleicht nur ein Stück selbst erfunden, und alle anderen Ideen hat er geklaut. Er hat sich ja auch nicht alle Plots selbst einfallen lassen, sondern auf sehr traditionelle Dinge gesetzt, die erprobt waren. Aber dann hat er diesen Ideen seine eigene Stimme verliehen. Und darauf kommt es auch mir ganz besonders an.

Wie poetisch sind Sie?

Ich glaube nicht, dass ich sehr poetisch bin. Ich bin sehr visuell! Für mich muss etwas visuell Sinn ergeben, das ist die Hauptsache. Meine Filme haben auch lange darunter gelitten, dass sie zu visuell waren und dass ich mich zu wenig für die Charaktere interessiert habe. Das hat sich aber geändert. Je älter ich werde, desto mehr ist mir das Drehbuch wichtig und desto mehr leite ich die Schauspieler an, ihr Bestes auch im Schauspielbereich zu geben.

Lyrik muss man nun auch verstehen. Film ist ja da viel direkter, oder? Man sieht etwas – und fertig. Da muss man nicht rumraten, was der Regisseur zeigen will.

Film kann aber auch sehr lyrisch sein! Wir haben in unserem neuen Film sehr viele Dinge, die nicht zwingend hätten sein müssen, aber die helfen, um die damalige Zeit zu beschreiben. Um Stimmung zu erzeugen.

Können Sie Poesie wirklich genießen? Oder brauchen Sie danach etwas Herzhaftes? Einen „Godzilla“?

(lacht) Ich glaube, dass ich immer weniger „Godzilla“ möchte, je älter ich werde. Umso mehr möchte ich „Anonymus“. Das hören die in Amerika natürlich nicht sehr gern, aber so ist es nun mal. Ich habe aber jetzt vor, als meinen nächsten Film noch einmal ein großes Science-Fiction-Stück zu drehen; das ist wieder etwas für alle, und da wird mein Studio dann wieder glücklich sein. (lacht)

Michael Defrancesco