Protest: Kein Beginn eines türkischen Frühlings

Mit voller Wucht: Ein Demonstrant wird von einem Wasserwerferstrahl von den Füßen geholt.
Mit voller Wucht: Ein Demonstrant wird von einem Wasserwerferstrahl von den Füßen geholt. Foto: dpa

Istanbul. Idealisten organisieren eine Protestaktion. Die Polizei geht mit überzogener Gewalt gegen Demonstranten vor. Die Ereignisse auf dem Taksim-Platz in Istanbul erinnern auf den ersten Blick an die Massenproteste, die 2011 zum Sturz mehrerer arabischer Despoten führten.

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Istanbul – Idealisten organisieren eine Protestaktion. Die Polizei geht mit überzogener Gewalt gegen Demonstranten vor. Die Ereignisse auf dem Taksim-Platz in Istanbul erinnern auf den ersten Blick an die Massenproteste, die 2011 zum Sturz mehrerer arabischer Despoten führten.

Mit voller Wucht: Ein Demonstrant wird von einem Wasserwerferstrahl von den Füßen geholt.
Mit voller Wucht: Ein Demonstrant wird von einem Wasserwerferstrahl von den Füßen geholt.
Foto: dpa

Sind die Ziele der türkischen Protestbewegung wirklich mit denen der arabischen Revolutionen vergleichbar?

Nein, den Türken geht es um Bürgerbeteiligung bei Großprojekten und die Verteidigung ihres liberalen Lebensstils. Die Araber wollten 2011 freie Wahlen und ein Ende der Verfolgung Oppositioneller. Die einzigen inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen den arabischen und der türkischen Protestbewegung sind der Ruf nach Achtung der Menschenrechte und die Kritik an den Methoden des Polizeistaates.

Wo verlaufen die Fronten im Moment?

Politisch gesehen, sind die Türken den Arabern schon einen Schritt voraus. Sie hatten bereits vor mehr als zehn Jahren ein korruptes säkulares Regime gegen eine von Islamisten dominierte Regierung ausgetauscht, in deren Windschatten sich inzwischen eine neue Klasse von Profiteuren herausgebildet hat. Die Araber haben diesen Schritt erst jetzt vollzogen.

Gibt es Parallelen zwischen den arabischen Herrschern vor 2011 und der türkischen Führung?

Indem der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Demonstranten mit Terroristen vergleicht und als „Plünderer“ beschimpft, zeigt er, wie vor ihm schon Ägyptens Ex-Präsident Hosni Mubarak und der syrische Staatschef Baschar el Assad, dass ihm das Talent zum Krisenmanager fehlt. Allerdings kann sich Erdogan darauf berufen, dass er durch eine demokratische Wahl an die Macht kam.

Gleichen sich auch die Formen des Protests?

Eine bunte Zeltstadt, Straßenhändler, die den Demonstranten Fahnen und Snacks verkaufen und Freiwillige, die morgens den Müll einsammeln: Einige Protestrituale, die 2011 auf dem Tahrir-Platz in Kairo zu beobachten waren, finden sich jetzt auf dem Taksim-Platz in Istanbul wieder. Allerdings knien in Istanbul, anders als damals in Kairo, nicht täglich Tausende muslimischer Demonstranten zum gemeinschaftlichen Gebet nieder. Eher versammelt man sich zu einer Yogastunde, trinkt Bier oder lernt für die Prüfungen an der Uni.

Und was ist mit dem wirtschaftlichen Aspekt der Proteste?

Die tunesische Revolution hatte von Anfang an eine starke soziale Komponente. In Ägypten lautete der Slogan zwar „Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit“. Doch organisiert wurden die ersten Proteste in Kairo nicht von den Ärmsten, sondern von der urbanen Mittelschicht. Zwar hat Erdogans Regierung für die unteren Einkommensschichten einiges erreicht, zum Beispiel bei der Krankenversicherung und im öffentlichen Personennahverkehr. Doch die alte säkulare Elite fühlt sich vom Aufschwung ausgeschlossen. Teile der Jugend haben den Eindruck, dass sie von den Großprojekten der Regierung nicht profitieren.