Plagiatsjagd: Kampf der (Selbst-)Gerechten?

„Hetzjagd“ und „politische Blutgrätsche“ schallt es von allen Seiten. Wie Trophäen hängen sie für immer beschädigt an den Wänden der Plagiatsjäger: die Guttenbergs, Koch-Mehrins und Schavans der Republik. Doch nicht nur Doktoranden, sondern auch Beobachtern aus Medien und Wissenschaft sind die Aktivisten durchaus sympathisch: Sie greifen selbst zur Schaufel und graben sie aus, die Leichen im Keller von Blendern und Karrieristen.

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Die Möglichkeit, mit den Mitteln des Internets Macht von unten auszuüben, wird immer attraktiver – und leichter umsetzbar.

Sehnsucht nach Gerechtigkeit

Der Trend, im Netz nach Plagiaten in den Doktorarbeiten von Top-Politikern zu fahnden, ist ein Symptom. Dahinter steht eine diffuse Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Mitbestimmung. Man will den Mächtigen auf die Finger schauen, sich nicht für dumm verkaufen lassen. Für einige wenige winkt ein lukratives Geschäft. Die meisten Plagiatssucher sagen jedoch: Es geht uns lediglich um die Wiederherstellung wissenschaftlicher Redlichkeit.

Den mittlerweile bekanntesten Plagiatsjäger, Geschäftsmann Martin Heidingsfelder, packte nach eigener Aussage das Jagdfieber, als er ein Plagiat in der Arbeit Karl-Theodor zu Guttenbergs entdeckte und auf Guttenplag, der Internetplattform, auf der sie kollektiv zerpflückt wurde, teilte. Er fühlte sich wie viele mitverantwortlich, einem Betrüger das Handwerk gelegt zu haben – und auch noch einem, dem die Massen beinahe hysterisch zu Füßen lagen.

Heidingsfelder ist einer der wenigen, die sich früh outeten. Andere schützt die Anonymität: Viele Plagiatsjäger haben promoviert oder sind noch an Universitäten tätig. Als Nestbeschmutzer wollen sie nicht gelten, ihre Karriere nicht gefährden. Der Zugang von Universitätsangehörigen zum Bibliotheksnetzwerk ist hilfreich. Außerdem müssen Plagiatsjäger Ahnung haben von wissenschaftlichen Standards und vor allem: viel Zeit und Kraft investieren. „Das ist kein ehrenrühriger Job“, sagt Heidingsfelder. „Ich habe viele Nachtschichten gemacht“, sagt auch Dr. Martin Klicken.

Klicken ist bei Vroniplag Wiki aktiv, dem Portal, auf dem die Plagiatsjäger anfangs Schavans Täuschungen dokumentierten. Auch er will anonym bleiben, Klicken ist sein Pseudonym. Er gibt an, Mitte 30 und promovierter Ingenieur zu sein. Zu seinen Beweggründen sagt er: „Die Plagiate bei Guttenberg und weiteren Fällen, an deren Dokumentation ich beteiligt war, sind so gravierend, dass dabei alles mit Füßen getreten wird, was die meisten Doktoranden unter teils großen Entbehrungen hochhalten. Als mir klar wurde, dass meine Empörung zwar von vielen geteilt wird, die Plagiatoren aber Umfang und Schwere der Verstöße herunterspielen können, beschloss ich, aktiv zu werden.“ Mehr als 40 Arbeiten überprüften die Vroniplag-Aktivisten bereits. Bei mehr als der Hälfte stellten sie auf mindestens 15 Prozent der Seiten Plagiate fest. Doch wie überprüft man eine Doktorarbeit aus dem Jahr 1980 wie die von Annette Schavan?

„Das war sehr aufwendig“, sagt der Sprachwissenschaftler und Vroniplagger mit dem Pseudonym KayH. „Alle Bücher, die Frau Schavan im Literaturverzeichnis aufgeführt hat, mussten digitalisiert werden, sofern sie nicht schon bei Google Books verfügbar waren. Dazu weitere Werke, die thematisch passen und aus denen sich Frau Schavan bedient haben könnte. Dann wurde verglichen.“ Verdächtige Funde werden über Vroniplag in einem sogenannten Fragment geteilt. Dort stehen die Textstelle in der Arbeit Schavans und jene der Quelle direkt nebeneinander. Mehrere andere Netzaktivisten prüfen und bestätigen das Plagiat. Bei Schavan kommen am Ende auf mehr als 10 Prozent der Seiten Plagiate zusammen.

Krieg um die richtige Strategie

Doch mittlerweile bekämpfen sich Heidingsfelder und die Mitglieder von Vroniplag öffentlich. Dr. Klicken nennt Heidingsfelder einen „routinierten Hochstapler und Blender“. Heidingsfelder spricht von Mobbing. Heidingsfelder, alias Goalgetter, will Ergebnisse erzielen. „Politiker sollten ihr Mandat verlieren, wenn sie eines Plagiats überführt werden“, sagt er. Sie könnten sich nach einem Rücktritt ja wieder wählen lassen, „wenn die Wähler es ihnen verzeihen“. Und ja: Geld nehme er gern dafür. „Da ist nichts Schlimmes dran“, sagt er.

Andere verstehen sich als ehrenamtliche Dokumentare und reagieren allergisch auf Heidingsfelders Auftritte in der Öffentlichkeit. Bei Vroniplag wurde Heidingsfelder, der im März 2011 den entscheidenden Klick zur Gründung des Portals machte, deshalb bereits im November 2011 gesperrt. Auch dass er parallel zu den Untersuchungen eines Vroniplag-Mitglieds auf dessen Blog Schavanplag mit seiner eigenen Seite Schavanplag Wiki in die Presse drängte, verärgerte seine ehemaligen Mitstreiter. „Wer auf ein Plagiat hinweist, ist doch unerheblich“, sagt Klicken. „Ich kann es manchmal kaum glauben, wie frech plagiiert wird und wie oft die Unis das durchgehen lassen.“

Als Beispiel nennt er Detlev Dähnert, Honorarprofessor und Manager bei Vattenfall. Die Plagiatjäger dokumentierten auf Vroniplag Wiki, dass er fast 45 Prozent seiner Arbeit abgeschrieben hat. Doch die BTU Cottbus entschied zu seinen Gunsten. Klicken sagt: „Die Macht von Vroniplag wird überschätzt. Letztlich entscheidet die Presse, welche Fälle den Unis überhaupt zur Entscheidung vorgelegt werden.“ Einer, der das für sich nutzt, ist Martin Heidingsfelder. Natürlich hat er der Presse bereits angekündigt, auch die Doktorarbeit von Schavans Nachfolgerin als Bildungsministerin, Johanna Wanka (CDU), auf Herz und Nieren prüfen zu wollen.

Von unserer Reporterin Sandra Elgaß