Placeboforschung: Der Glaube wirkt stärker als Pillen

Von Nicole Mieding

„Wer heilt, hat recht.“ Dieses Argument hört man in der Medizin immer dann, wenn die Wirksamkeit einer Methode umstritten ist. Von Anhängern der Alternativmedizin wird es regelmäßig anstelle eines Beweises ins Feld geführt. Denn die Wirksamkeit alternativer Heilverfahren von Homöopathie bis Handauflegen lässt sich wissenschaftlich nicht belegen.

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Und dennoch: Die Zahl der Menschen, die auf Globuli, Schüssler-Salze oder Bachblütentropfen als Alternative zur Schulmedizin setzen, ist hoch. Mehr als jeder zweite Deutsche hat laut einer Allensbachumfrage aus dem Jahr 2014 schon einmal homöopathische Mittel geschluckt. Neun von zehn Anwendern berichten, dass sie zumindest manchmal geholfen haben. Alles Einbildung? Von der Medizin wird ihnen lediglich ein Placebo-Effekt attestiert.

Placebos sind Medikamente ohne Wirkstoff. Was aber nicht heißt, dass sie wirkungslos sind. Ganz im Gegenteil: Schon die positive Erwartung, die wir mit der Einnahme eines Medikaments verbinden, hat einen physikalischen Effekt, der sich messen lässt. So produzierten Probanden, die glaubten, starke Schmerzmittel zu bekommen, vermehrt körpereigene Opiate, die sie den Schmerz weniger fühlen ließen. Parkinson-Patienen wurde ein angeblich hochwirksames Mittel zur Verbesserung ihrer motorischen Fähigkeiten injiziert. Obwohl es nur aus Kochsalzlösung bestand, konnte sich die Hälfte der Betroffenen danach deutlich besser bewegen. Bei Angina-Pectoris-Patienten wurden sogar Operationen nur zum Schein durchgeführt. Anstelle den Brustkorb zu öffnen, hatten Ärzte lediglich einen Hautschnitt gesetzt. Mit verblüffendem Ergebnis: Während sich in der Vergleichsgruppe der tatsächlich Operierten 67 Prozent der Patienten nach dem Eingriff besser fühlten und weniger Medikamente benötigten, lag dieser Anteil bei den Scheinoperierten mit 83 Prozent deutlich höher. Experimente, die zeigen: Beim Gesundwerden kann unser Glaube tatsächlich Berge versetzen.

Placebo: So alt wie die Medizin selbst

Dieses Wissen ist so alt wie die Medizin selbst. Schon in der Antike wandte der griechische Arzt Hippokrates Methoden an, die eigentlich unwirksam waren und trotzdem halfen. Als während des Zweiten Weltkriegs die Medikamente knapp wurden, begann man Verwundeten in den Lazaretten Kochsalz anstelle von Morphin zu spritzen. Ein Ritual, das ihnen tatsächlich Linderung verschaffte und das Homöopathen, Medizinmänner, Wunderheiler und Voodoopriester bis heute erfolgreich einsetzen.

Die Erwartung, die wir in ein Medikament setzen, kann allerdings nicht nur helfen, sondern auch krank machen. So treten Nebenwirkungen verstärkt auf, wenn wir darüber vom Arzt aufgeklärt werden oder im Beipackzettel lesen. Nocebo-Effekt wird diese negative Wirkung genannt, die dazu führt, dass sich unser Gesundheitszustand verschlechtert und psychosomatisch ausgelöste, reale Krankheitssymptome auftreten. Unsere Erwartung bestimmt also maßgeblich, wie wir uns fühlen.

Dieses Wissen können Ärzte bei der Behandlung gezielt einsetzen. Zum Beispiel, indem sie dem Patienten Mut zusprechen und das Vertrauen in seine Selbstheilungskräfte stärken, was den Heilungsprozess nachweislich unterstützt. Aufklärungsgespräche sollten die Chancen einer Behandlung hervorheben anstatt Risiken unnötig zu betonen – vor allem, wenn sie ungefährlich und statistisch zu vernachlässigen sind, weil das dem Verlauf des Heilungsprozesses ungünstig entgegenwirkt. Die gute Nachricht: Der Mensch verfügt über machtvolle Selbstheilungskräfte. Positive Gedanken können sogar Gene aktivieren, die kranke Zellen im Organismus reparieren. Unser Körper bringt seine eigene innere Apotheke mit. Wir müssen nur lernen, uns daraus gezielt zu bedienen.

Von unserer Redakteurin Nicole Mieding
Therapie-Fazit

Wirksamkeit: Der Placebo-Effekt beruht nicht nur auf Einbildung. Erwarten wir von einem Mittel, dass es hilft, werden im Körper schmerzstillende Hormone freigesetzt – ein Effekt, von dem auch „echte“ Medikamente profitieren.

Anwendung: Um die Wirksamkeit neuer Medikamente zu testen, werden Placebos in sogenannten Doppelblindstudien einer Vergleichsgruppe verabreicht. Ein Medikament gilt dann als wirksam, wenn sein Nutzen den eines Placebos übersteigt. Der therapeutische Einsatz von Placebos ist ethisch umstritten. Die Bundesärztekammer hält ihn unter bestimmten Voraussetzungen für vertretbar, zum Beispiel, wenn es keine wirksame Therapie gibt.

Kosten: Aufgrund fehlender Wirkstoffe sind Scheinmedikamente in der Herstellung und Anwendung in der Regel günstiger als echte – bei gleicher oder besserer Wirkung.