Nutzer: Viele setzen ihre Privatsphäre aufs Spiel

Beim Einkaufen im Netz werden schnell die Bankdaten eingegeben.
Beim Einkaufen im Netz werden schnell die Bankdaten eingegeben. Foto: Fotolia

Rheinland-Pfalz. Jeder, der ins Kaufhaus oder in den Supermarkt geht, wird zunächst in einen abgeschotteten, abhörsicheren Raum gebeten. Über einen Lautsprecher ertönt eine Stimme, die uns auffordert, persönliche Daten preiszugeben.

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Von unserer Redakteurin Birgit Pielen

Beim Einkaufen im Netz werden schnell die Bankdaten eingegeben.
Beim Einkaufen im Netz werden schnell die Bankdaten eingegeben.
Foto: Fotolia

Wir buchstabieren unseren Namen, nennen unsere Adresse und unser Geburtsdatum. Dann verraten wir unsere Bankverbindung oder unsere Kreditkartennummer – und schon hat der große Unbekannte innerhalb weniger Minuten die wichtigsten Informationen über uns. Doch wir sind erst einmal erleichtert: Denn jetzt dürfen wir endlich einkaufen. In der realen Welt ist diese Situation absurd, in der virtuellen Welt alltäglich. Doch wir empfinden diese Diskrepanz nicht. Woran liegt das?

„Wir haben noch nicht genügend Prinzipien und Regeln für den virtuellen Raum“, sagt Hans-Jürgen Bucher, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Trier. „Uns allen ist noch nicht bewusst, was es bedeutet, dass sich ein Großteil unserer Lebenszusammenhänge digital abspielt – und damit digitale Spuren hinterlässt.“ Ist unsere Privatsphäre nur noch schöner Schein?

Die Diskussion darüber ist erstaunlich verhalten, wenn man bedenkt, in welchem Ausmaß amerikanische und britische Geheimdienste unser digitales Leben überwachen, auswerten und dokumentieren. Der Umfang ihrer Big- Brother-Aktionen ist nur bekannt geworden, weil der Amerikaner Edward Snowden sie öffentlich gemacht hat.

Jetzt wird er wegen Spionage und Diebstahl von Regierungsdokumenten gesucht. Ihm soll in den USA der Prozess wegen Geheimnisverrat gemacht werden. Snowden hatte Zugriff zu vertraulichen Unterlagen, weil er für private Firmen gearbeitet hat, die wiederum im Dienst der NSA (National Security Agency) waren.

Der Trierer Medienwissenschaftler Bucher bewertet den Fall Snowden so: „Ich halte es für eine bemerkenswerte Tat, auch wenn ich die Motive von Snowden nicht kenne“, sagt der 59-Jährige. „Doch er macht öffentlich, womit wir alle gerechnet haben: dass es ein hohes Ausmaß beim Ausspionieren privater Daten gibt.

Vor ein paar Jahren konnte sich noch niemand diese Dimension vorstellen.“ Bucher ist überzeugt, „dass es fast ein hochkultureller Wert ist, was Snowden der Öffentlichkeit an Informationen zur Verfügung stellt“. Denn damit muss auch eine Debatte über den Schutz der Privatsphäre und den Wert persönlicher Freiheit beginnen.

Würde unsere private Post regelmäßig von Geheimdiensten geöffnet, wäre das ein Skandal. Eine gelesene E-Mail ist es offenbar nicht. „Man hat den Eindruck, dass die Geheimdienste alle Daten ohne Selektionsstrategie abgegriffen haben“, sagt Bucher. „Und ohne dass ein konkreter Verdacht bestand. Es gab eine ungezügelte und flächendeckende Sammlung von Informationen.“

Die „immer zügellosere Überwachung“ kritisiert auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Bürger müssen wissen, wie weit staatliche Erfassung und Überwachung gehen dürfen, mahnt er. Das sieht auch Medienwissenschaftler Bucher so: „Die Regierung hat eine Informationspflicht ihren Bürgern gegenüber, ohne ihre Überwachungsstrategien im Detail offenzulegen.“

Unabhängig von staatlichen Kontrollmechanismen haben die meisten Netznutzer schon längst den Überblick verloren, was sie an Daten bereits zugänglich gemacht haben. Das Zügellose der Überwachung geht einher mit der zügellosen Preisgabe von Privatem. Dabei gilt das Recht auf Privatsphäre als Menschenrecht und ist in allen modernen Demokratien festgeschrieben.

„Es hat Jahrhunderte gedauert, um dieses kostbare Gut gesetzlich zu verankern“, sagt Bucher. Wird es im World Wide Web leichtfertig aufs Spiel gesetzt? „Vieles, was wir in der realen Welt absolut zurückweisen würden, erscheint uns in der virtuellen Welt normal“, sagt er. Die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem verschwinden schleichend – und damit auch das Gespür für das, was an Persönlichkeitsrechten schützenswert ist.