Rheinland-Pfalz

KOPIE_ID_210704/AKW Mülheim-Kärlich – Der Kühlturm soll 2013 fallen

Vor 25 Jahren stieg die Spannung im Atomkraftwerk (AKW) Mülheim-Kärlich. Denn am 1. März 1986 kamen die Turbinen erstmals auf Touren. Mit siebenjähriger Verspätung, nach elf Jahren Bauzeit und gewaltiger Kostenexplosion begann die (kurze) nukleare Ära.

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Rheinland-Pfalz. Vor 25 Jahren stieg die Spannung im Atomkraftwerk (AKW) Mülheim-Kärlich. Denn am 1. März 1986 kamen die Turbinen erstmals auf Touren. Mit siebenjähriger Verspätung, nach elf Jahren Bauzeit und gewaltiger Kostenexplosion begann die (kurze) nukleare Ära.

Eine Aufnahme der Baustelle des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich vom 16. Feburar 1977.

Das Kernkraftwerk in Mülheim-Kärlich und seine abwechslungsreiche Geschichte: 1987 findet eine Demo in Mülheim-Kärlich statt. Rund 200 Demonstranten versperren den ganzen Nachmittag die Hauptzufahrt zum Kernkraftwerk. An der Betonabgrenzung befestigen sie zahlreiche Spruchbänder.

dpa

1986 wurde es trotz Protesten fertiggestellt, musste aber wegen einer fehlerhaften Baugenehmigung vom Netz genommen werden. Nach einer höchstrichterlichen Entscheidung darf die Anlage seit 1998 nicht wieder in Betrieb genommen werden. Derzeit findet der Rückbau statt.

dpa

Mit den Protesten ging es los: Der rheinland-pfälzische Umweltminister Klaus Töpfer (2. von links) nimmt 1985 in Mainz die Unterschriften gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks entgegen.

Herbert Piel

Der Reaktorschutzbehälter des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich ist im Februar 1977 gerade im Bau.

Der 79-jährige Rentner Walter Thal aus Lahnstein (rechts, mit seinem Rechtsanwalt Gerd Klöckner) bringt 1988 mit seiner Klage das Atomkraftwerk zum vorläufigen Stillstand. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes in Berlin im September 1988 muss der 1300-Megawatt-Reaktor nach nur 13 Monaten Laufzeit vom Netz genommen werden.

Uwe Schöllkopf

Aktivisten der Bürgerinitiative um das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich ziehen sich 1989 bis auf den Slip aus. Sie zeigen dem Werkschutz damit, dass sie nichts zu verbergen hätten. Die Aktivisten wollen den endgültigen Abbau des Werks erreichen.

Thomas Frey

Noch wird in Mülheim-Kärlich gearbeitet. Ein Blick auf den Reaktordruckbehälter 1995.

Herbert Piel

Die Baustelle des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich etwa um das Jahr 1977.

Hochtief AG

Ein Kranführer blickt auf die Baustelle des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich (um das Jahr 1977).

Harald Münch

Im gleichen Jahr werden im Kernkraftwerk neue Brennstäbe eingesetzt.

Herbert Piel

Vom Hauptleitstand werden alle Prozesse überwacht.

Herbert Piel

Angestellte des Kernkraftwerkes Mülheim-Kärlich verlassen am 14. Januar 1998 das Werksgelände nach einer Betriebsversammlung. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird das Kraftwerk nicht mehr ans Netz gehen. Rund 400 Arbeitsplätze sind von diesem Urteil betroffen.

dpa

Ein Stoppschild an der Eingangspforte. Symbol der Stilllegung im Jahr 1998.

Herbert Piel

In zwei Castorbehältern werden am 23. Januar 2002 ohne besondere Vorkommnisse Brennstäbe abtransportiert.

Thomas Frey

Die Demontagearbeiten im stillgelegten Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich haben längst begonnen.

Thomas Frey

Ein Teil der Rückbauarbeiten: Der Wärmetauscher im Kontrollbereich wird abmontiert.

Thomas Frey

Am 1. März 1986, einem Samstag, waren alle Mitarbeiter im Dienst. Keiner wollte den Moment verpassen, in dem die erste nukleare Kettenreaktion ausgelöst wurde. Als die Techniker und Ingenieure danach von der Warte kamen, prosteten sich alle mit Sekt zu, erinnert sich der Strahlenbeauftragte Kurt Sesterhenn. noch gut.

Während die Beschäftigten in der 3,5 Milliarden teuren Anlage applaudierten, stieg der Verdruss der Atomkraftgegner. Denn das Milliarden-Ding von Mülheim-Kärlich war von Anfang an umstritten. Die Gegner sprachen nach dem ersten Atom-Schock von Harrisburg (1979) von einem „Schrottreaktor“, weil der Typ von Mülheim-Kärlich dem US-Katastrophen-Reaktor so ähnlich war. Trotzdem: Bei der „Generalprobe“ vor 25 Jahren ahnte niemand, dass der der Koloss an der geologischen Kante wegen eines simplen Baufehlers keine große Zukunft haben und nur für 13 Monate unter Volllast Strom liefern sollte.

Grund: Das Kraftwerk steht auf einer Erdbebenspalte und einem erloschenen Vulkan. Weil der Untergrund so unsicher ist und der Reaktor durch „bloße Setzungen in der Erde“ in Schieflage hätte geraten können, wurde der Betonklotz auf dem Papier stillschweigend und baurechtlich nicht abgesichert um 70 Meter verschoben. Der Reaktor sollte auf einer festen Scholle thronen – 14 Meter vom Maschinenhaus entfernt. Das bleibt der Knackpunkt, an dem der kritisierte „Schwarzbau“ vor den Gerichtsinstanzen letztlich scheiterte. Anwalt Gerd Klöckner kommentierte es einmal so: „Es war einfaches Baurecht. Ich kann auch nicht in einem Stadtteil eine Genehmigung haben und in einem anderen Stadtteil bauen.“

All dies ist Geschichte. Der Abriss läuft. Aber für den heutigen Werksleiter Walter Hackel bleibt der geologische Untergrund eine Hypothek für alle Überlegungen, wie das Gelände in direkter Nähe zur Autobahn und mit Schienen- und Wasserstraßen-Anschluss noch einmal genutzt werden kann.

Wann hier aber eine grüne Wiese ist, bleibt noch ungewiss, ob bis zum Jahr 2018 oder später. Entscheidend ist dabei, wie schnell im Schacht Konrad das Bundesendlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle bei Salzgitter fertig wird und auch mit 3000 Tonnen Schrott aus Mülheim-Kärlich beschickt werden kann. Das Wahrzeichen von Mülheim-Kärlich, der 162 Meter hohe Kühlturm, soll jedenfalls 2013 fallen.

Für den Besucher wirkt der Weg ins AKW eigentlich noch wie immer, nach wie vor mit der Kontrolle am 70er Jahre Bau vor dem gesicherten Drehkreuz. Auch der Kühlturm, das Maschinenhaus und die Kuppel stehen noch. Äußerlich ist alles beim Alten. Aber hinter dicken Mauern läuft seit Jahren der 2001 beantragte der Abriss. Alt gediente RWEler haben dabei zuweilen „Tränen in den Augen“, sagt der Leiter der Anlage, Walter Hackel. Denn sie hatten ja 1986 andere Ziele. Sie wollten Strom produzieren. An der Sicherheit zweifeln sie bis heute nicht.

Für Hackel kommt es aber seit 2004 nur noch darauf an, mit etwa 250 Leuten den sogenannten Rückbau professionell abzuwickeln, möglichst im Budget-Rahmen von 750 Millionen Euro. Er bringt Erfahrungen vom Rückbau des Versuchsreaktor von Kahl ein. Letztlich kommt es darauf an, dass, von Behörden streng kontrolliert, eine Masse von 500 000 Tonnen in unzähligen Gitterkisten zum Abtransport landen. Der meiste Schrott kann, gereinigt und frei von Radioaktivität, in den Wertkreislauf zurück. Übrig sollen nur 3000 Tonnen bleiben, die im Endlager abgeliefert werden müssen. Sie stammen aus dem Reaktordruckbehälter und dem Betonschirm. Es ist geplant, dieses Material direkt nach dem Ausbau nach Salzgitter zu transportieren.

Aber nicht alles ist nur noch Schrott: Ägypter haben das Inventar des Maschinenhauses angekauft. Die Turbinen sollen in Oberägypten für Strom sorgen. Der Abtransport über Rheinschiffe dauert noch Monate. Über die Spende von ausrangierten Großwerkzeugen freut sich die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, die sie bei Arbeiten an experimentellen Dampf- und Gasturbinenversuchsständen gut gebrauchen kann. Vor ein spezielle Aufgabe stellte ein Wanderfalken-Paar. Es wurde vorsichtig vom Kühlturm an einen Funkmasten ins benachbarte Weißenturm umgesiedelt.

Seit das Endlagerproblem mit dem Schacht Konrad gelöst ist und in Mülheim-Kärlich kein Zwischenlager notwendig wird, läuft der Abriss völlig konfliktfrei. Das erspart RWE nicht nur Kosten, sondern auch Klagen, die die Stadt Neuwied schon angekündigt hatte. RWE will an dem verkehrsgünstigen Kraftwerkstandort festhalten, auch wenn die künftige Nutzung noch in den Sternen steht. Von einer beim Atomausstieg RWE gut geschriebenen 107 Milliarden Kilowattstunden, etwa eine Zehn-Jahres-Produktion, profitiert Biblis. Der umstrittene Block B kann so zwei Jahre länger laufen. Über die Restmenge ist noch nicht entschieden.

Y Historische Fotos zur Geschichte des AKW sehen Sie auf http://ku-rz.de/kkwfotos