Joachim Gauck – wörtlich

Joachim Gauck fordert in seinem Buch mehr Verständnis im politischen Meinungsspektrum. Er beschreibt aber auch, wann Toleranz ins Naive abgleitet. Wir dokumentieren ausgewählte Zitate. Der frühere Bundespräsident sagt ...

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

über falsche Toleranz

„Als weiteres Problem sehe ich falsche Toleranz, die neben aller bewundernswerten Empathie etwa gegenüber Menschen aus Einwandererfamilien nicht frei ist von Naivität und allzu großer Nachsichtigkeit. Das, was divers ist, gilt einigen allein schon wegen seiner Andersartigkeit als schützenswert. Beispielsweise ist die Politik einiger Multikulturalisten von dem Diktum bestimmt, andere Kulturen, Sitten, Religionen seien pauschal als erweiternd, belebend, eben ,bereichernd' anzusehen. Wer nach konkreten Inhalten anderer Sitten und Religionen fragt und sich unter Umständen dagegen abgrenzt, gilt schnell als Rassist. Diversität gilt etlichen pauschal als das neue Leitbild.“

über das Grundgesetz

„In unserem Grundgesetz kommen unser politischer Wille und unser Wertebewusstsein zum Ausdruck. Es hat die Möglichkeit und die Kraft, eine humane Verbindlichkeit zu schaffen, die uns vereint, ohne uns gleichförmig zu machen. Fehlt dieses verbindende und verbindliche Element, dann fehlt eine Mindestloyalität gegenüber dem Staat, ja sogar gegenüber dem Mitbürger – und die Gemeinschaft fällt auseinander.“

über Intoleranz

„Denn Toleranz, in aller Konsequenz gelebt, führt zur Abschaffung der Toleranz. Deshalb ist Toleranz, will sie sich schützen, zur Inkonsequenz verurteilt: Sie muss intolerant sein gegenüber jenen, die die Toleranz abschaffen wollen.“

über Migration

„Migration ist wahrscheinlich nicht ,die Mutter aller Probleme', aber nirgends können Vorbehalte und Ängste so gut andocken wie an den ganz konkreten ,Fremden', die in den Straßen meist schon aufgrund ihres Äußeren erkennbar sind. Flüchtlinge und Migranten sind der sichtbare, fühlbare, gegenständliche Teil eines Wandels, der ansonsten oft noch eher diffus und abstrakt daherkommt.“

über Populismus

„So paradox es klingen mag: Populismus ist nicht zuletzt eine Antwort auf den Erfolg des Liberalismus. Die westlichen Staaten haben Gesellschaften hervorgebracht, in denen die Sensibilität für Diskriminierung und die Sorge um Minderheiten zugenommen hat. In ihrem Bestreben, auch noch kleinen und kleinsten Gruppen Anerkennung zukommen zu lassen und ihnen Teilhabe zu ermöglichen, haben die Progressiven aber oft den Kontakt zu Mehrheiten verloren.“

über die DDR

„Das Leben mit Pluralität und Differenz und damit auch mit Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden haben wir in der DDR nicht gelernt, es passte nicht zum System. Eine strikte Eindimensionalität lässt Vielfalt und Toleranz gar nicht erst aufkommen. Um zu überleben und Erfolg zu haben, passen Mehrheiten sich dann an, sie folgen einer Ratio der Absicherung, die einen mehr, die anderen weniger. Aber alle miteinander haben nicht die Möglichkeit, Haltungen eines freien Bürgers zu lernen und zu leben und Eigenverantwortung einzuüben.“

über AfD-Wähler

„Weil ich überzeugt bin, dass viele Menschen die AfD primär aus Gründen der Enttäuschung und des Protests gewählt haben, habe ich auch die Hoffnung, dass zumindest eine gewisse Anzahl von ihnen einer populistischen, teils rechtsextremistischen Partei nicht mehr folgen wird, wenn andere Parteien sinnvolle und effektive Lösungen für Probleme anbieten, die zu lange vernachlässigt worden sind.“

über Nationen

„Die Bedeutung der Nation ist in den Bevölkerungen Europas in den vergangenen Jahren wieder größer geworden. Und es wäre grob fahrlässig, würden Liberale in einer Zeit, in der bei Menschen angesichts von Globalisierung, Auflösung von Grenzen und zunehmenden Wanderungsbewegungen das Bedürfnis nach Beheimatung wächst, den Nationalstaat generell als suspekten Anachronismus negieren. Dann bleibt das Feld des Nationalen weiter allein den Rechtsradikalen überlassen.“

über politische Vernunft

„Toleranz ist nicht allein eine Tugend. Toleranz zu leben, ist auch ein Gebot der politischen Vernunft. Sie legt uns nahe, den Raum, in dem wir leben, nicht voreilig in Gut und Böse zu unterteilen und die Bösen aus dem Diskurs auszugrenzen. Gerade in Zeiten des Umbruchs wachsen aufgrund der Verunsicherung von Menschen die Bandbreite der Meinungen und auch die Polarisierung von Meinungen. Toleranz hilft vor allzu schnellen Lagerbildungen.“