In Freundschaft getrennt – Kanzlerin Angela Merkel fällt der Abschied von ihrer Bildungsministerin sichtlich schwer

Ein offenes Lächeln, ein trauriger Blick, warme Worte – so viele Gefühle hat die Kanzlerin selten öffentlich gezeigt. Am Samstag nahm sie „sehr schweren Herzens“ den Rücktritt von Bildungsministerin Annette Schavan an. Mit Schavan verliert Merkel mehr als nur eine verlässliche, fachlich anerkannte Ministerin in ihrem Kabinett.

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Sie verliert auch eine loyale Wegbegleiterin, die über die Jahre zur Beraterin, Zuhörerin, ja, Freundin geworden war.

Schavan, die von 1998 bis 2012 stellvertretende CDU-Vorsitzende war, hatte Merkel schon zu Bonner Zeiten geholfen, sich in der CDU an den alten Seilschaften der Männer vorbei an die Spitze zu navigieren. Wie groß die persönliche Verbindung zwischen der Kanzlerin und ihrer Ex-Ministerin ist, machte Schavan in den wenigen Minuten deutlich, in denen sie ihren Rücktritt bekannt gab: „Ich danke dir, liebe Angela, für deine Worte und deine Würdigung heute und für Vertrauen und Freundschaft über viele Jahre.“ Freundschaft hänge nicht an Amtszeiten und wirke über den Tag hinaus, versicherte Schavan der Gefährtin. Nach neun emotionalen Minuten im Pressesaal des Kanzleramts gingen die beiden gemeinsam von der Bühne ab.

Schavan hielt sich nicht länger auf im Kanzleramt und bestieg mit einem Lächeln, das Erleichterung zeigte, ihre Dienstlimousine. Die Kanzlerin blieb allein zurück. Für Merkel, die die Verdienste ihrer scheidenden Ministerin in ungewöhnlichem Ausmaß würdigte, ist Schavans Rücktritt ein weiterer Tiefschlag in einer Reihe von Krisen, die das gerade erst angebrochene Jahr der Bundestagswahl prägen.

Von Schavan bis Jung und Guttenberg: Merkel verlor viele Minister

Merkel hat in ihrer zweiten Amtszeit ungewöhnlich viele Minister verloren. Kein Verlust traf sie so hart wie der ihrer Vertrauten Annette Schavan. Dies zeigen auch ihre Reaktionen auf die Rücktritte: Im November 2009 musste Franz Josef Jung die Verantwortung für die Kunduz-Affäre aus seiner Zeit als Verteidigungsminister übernehmen und trat als Arbeitsminister zurück.

Damals war die schwarzgelbe Regierung einen guten Monat im Amt. Merkel zollte ihm Respekt. „Schweren Herzens“ immerhin nahm die Kanzlerin den Rücktritt von Verteidigungsminister und Medienliebling Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) an, dem ebenfalls wegen Plagiaten der Doktortitel entzogen worden war. Bei ihm war der Fall allerdings unumstritten. Ein knappes „Ich danke ihm für seine Arbeit“ erhielt Norbert Röttgen, der nach der krachend verlorenen Landtagswahl in Nordrhein- Westfalen als Bundesumweltminister nicht zurücktreten wollte und von der Kanzlerin regelrecht gefeuert wurde.

Personelle Verluste am Kabinettstisch, ob sie nun vom Regierungschef mit Bedauern – wie im Falle Schavans – oder mit klammheimlicher Erleichterung – wie im Falle zu Guttenbergs – aufgenommen wurden, werden in der Öffentlichkeit als Belege dafür gewertet, dass es nicht rundläuft im wichtigsten politischen Entscheidungsgremium des Landes. Die Opposition sieht das ohnehin so, Beobachter unken nach einer Reihe von Minister-Rücktritten gern von der sich anbahnenden „Kanzlerdämmerung“.

Kurt Becker, Kanzler Helmut Schmidts Kurzzeit-Regierungssprecher, der im April 1982 weichen musste, weil Schmidt in der Schlussphase seines Regiments doch lieber wieder seinen alten Vertrauten Klaus Bölling an seiner Seite haben wollte, zitierte gelassen- resignativ eine britische Weisheit: „As longer you live, as sooner you die.“ Ins Politische übersetzt, sollte das heißen: Mit der Dauer der Amtszeit des Kanzlers wird sein baldiges Scheitern wahrscheinlicher.

31 Jahre später, im Wahljahr 2013, runzeln viele aufgeschreckte, unsicher gewordene CDU-Funktionsträger und Sympathisanten der Union ihre Stirn. Dazu haben auch sie einen wenig verheißungsvollen Spruch parat: „Erst hat man kein Glück, und dann kommt noch Pech hinzu.“ Niederlage in Niedersachsen – Auftakt eines Schreckensjahres?

Tatsächlich: Bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar hatten im Wahlkreis Hildesheim rund 340 Erststimmen gefehlt, um dem CDU-Ministerpräsidenten David McAllister und nicht dessen Herausforderer Stephan Weil (SPD) zum Vorsprung zu verhelfen. So unglücklich McAllister am Morgen nach der Wahlnacht wirkte, so geschockt war die Union in Berlin. War das nur unglaubliches Pech, oder sollte etwa das Wahljahr für Angela Merkel und ihre Partei am Ende zu einem Jahr des Schreckens werden?

Dem verpatzten Niedersachsen- Aufgalopp folgten zwar keine Umfrage- Einbrüche für die beliebte Kanzlerin. Aber mit Schwarz-Gelb scheinen sich die Landsleute einfach nicht mehr anfreunden zu wollen, da mögen Deutschlands Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten noch so schön sein. Rot-Grün wiederum frohlockt ähnlich wie 1997/98 über seine neue Blockadeund Gestaltungsmehrheit im Bundesrat und scheint sich bereits als Regierung in spe zu fühlen.

Und dann ist da noch Merkels Koalitionspartner: Die FDP leistete sich eine kurze, deftige Führungskrise. Als diese mehr schlecht als recht beendet zu sein schien, machte eine Hamburger Illustrierte den gewitzten, geselligen, aber als Frauenheld eher unauffälligen FDP-Spitzenmann Rainer Brüderle zum Bartresen-Casanova. Gleichzeitig stellte die Bevölkerung überrascht fest: schon wieder eine Woche im neuen Jahr, ohne dass der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in einen Fettnapf getreten war. Auch war es der SPD gelungen, beim Wahlkampfthema soziale Gerechtigkeit zu punkten. Die Union muss nachlegen.

Merkel, die über starke Nerven verfügt, wird wissen: So wenig, wie die Hochstimmung im Winter 2012 ein Vorzeichen für den Wahlsieg im Herbst 2013 gewesen ist, so wenig deutet das aktuelle Pech schon jetzt auf einen Machtverlust. Man kann es auch so sehen: Erfahrene Unions-Wahlkämpfer wissen, dass ein Nackenschlag zur rechten Zeit hellwach und kampfeslustig macht. Im Schlafwagen, auch das ist eine alte politische Weisheit, kommt man nämlich selten zur Macht.

Reinhold Michels/Eva Quadbeck