„Ich bin Old Shatterhand“ – vor 100 Jahren starb Karl May

Ein Blick in Karl Mays Geburtshaus.
Ein Blick in Karl Mays Geburtshaus. Foto: dpa

Seine Fans konnte sich Karl May nicht aussuchen. Auch Adolf Hitler soll im März 1912 in Wien an seinen Lippen gehangen haben. Der zweieinhalbstündige Vortrag des populären und sich in seiner späten Schaffensphase als Pazifisten begreifenden Schriftstellers endete – so sein Biograf Christian Heermann – mit dem Bekenntnis, dass er selbst „nichts erstrebt als nur das eine, große, irdische Ziel: Und Friede auf Erden!“

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Diese Botschaft war die letzte, die Karl May in die Welt sandte. Acht Tage nach seinem Wiener Vortrag starb May, einer der bis heute meistgelesenen deutschen Schriftsteller, am 30. März im sächsischen Radebeul bei Dresden – fünf Wochen nach seinem 70. Geburtstag. In der Villa „Shatterhand“ im Dresdner Vorort war er die letzten 16 Jahre seines Lebens zu Hause. Seine in Radebeul erdachten Romane führen den Leser beispielsweise in den Wilden Westen, auf den Balkan oder in den Orient. Der Autor zeigt beim Verfassen unerschöpfliche Fantasie, aber er hat auch andere Hilfe. „May bedient sich beim Schreiben und Erfinden eines umfangreichen Apparats mit Hunderten von Sprachführern, kartografischen Werken, Reise- und Forschungsberichten“, erklärt May-Biograf Rüdiger Schaper.

Winnetou hat es in den Duden geschafft

Echte Blutsbrüder wie das Bleichgesicht Old Shatterhand und der Apachen-Häuptling Winnetou soll es im Wilden Westen gar nicht gegeben haben. Winnetou hat es aber trotzdem bis in den Duden geschafft. Den Indianerhelden hätte May wohl nie erfunden, wäre er in seinem Leben zuvor nicht so viel vom Pech verfolgt gewesen.

Am 25. Februar 1842 wurde er als fünftes von 14 Kindern einer verarmten Weberfamilie im sächsischen Ernstthal geboren. Neun Geschwister starben bereits in jungen Jahren. Als einzig verbliebener Sohn sollte Karl, so wollte es vor allem der überstrenge Vater, unbedingt den Aufstieg schaffen. Dafür bot sich damals der Beruf des Lehrers an.

May schaffte die Ausbildung, doch wegen eines Techtelmechtels mit der Frau seines Wirtes verlor er 1861 zunächst seinen erste Anstellung als Hilfslehrer in Glauchau. Kurze Zeit später war er auch seinen zweiten Job als Fabriklehrer in Chemnitz los – weil er die Uhr eines Mitmieters über die Weihnachtsferien mitgenommen hatte. Die Justiz hatte damals kein Erbarmen, sprach von Diebstahl und verurteilte May im Herbst 1862 zu sechs Wochen Gefängnis. Weil er danach keine Zeugnisse mehr hatte, kam eine Rückkehr in den Lehrerberuf nicht mehr infrage – und May auf der schiefen Bahn erst so richtig ins Schlittern.

Erst „Knacki“, dann Autor

Der Hochstapler erschwindelte sich Pelze, doch das Verhökern scheiterte. Er kam wieder ins Gefängnis, diesmal nach Zwickau, wo er viel Zeit in der Gefängnisbibliothek verbracht hat. Auf die Idee, Schriftsteller zu werden, soll er schon vor seiner Haftentlassung 1868 gekommen sein. Doch anschließend begann er wieder zu stehlen und zu betrügen, wurde gefasst, konnte fliehen, lebte im Untergrund, wurde wieder geschnappt, erkannt und ins Zuchthaus gesteckt. 1874 wieder in Freiheit, als 32-jähriger Mann, wandte sich May schließlich dem Schreiben zu, zunächst als Redakteur mehrerer gerade aufkommender Unterhaltungszeitschriften – schließlich als freier Schriftsteller.

Als Jugenderzähler – als der er sich selbst nie verstanden wissen wollte – brachte er es zwar in der Folge schon zu einiger Berühmtheit, den eigentlichen Durchbruch markierte aber erst 1892 die neue eigene Buchserie „Carl May's gesammelte Reiseromane“, in der schließlich auch der dreibändige „Winnetou“ erschien. Da war der Autor schon über 50. Längst hatte er sich zum Helden seiner Ich-Romane gemacht: „Ich bin wirklich Old Shatterhand“, behauptete er öffentlich.

May als Kara Ben Nemsi

May ließ sich auch als Kara Ben Nemsi verkleiden und fotografieren, gab ein Büschel an Pferdehaaren als Schopf von Winnetou aus, beantwortete Leserbriefe etwa zu Winnetous Tod so, dass er durch eine Nottaufe verhindert habe, dass sein Indianerfreund als sündiger Heide von dieser Welt schied. Mit seinem Old-Shatterhand-Sein verschaffte er sich ein Image, wie es gut in die heutige Zeit gepasst hätte.

Dabei war er nachweislich das erste Mal mit 57 Jahren (1899) im Orient – und gar erst neun Jahre später (1908) in Amerika. „Erst als er sich durch seine gut gehenden Bücher das nötige Kleingeld verschafft hat, konnte er sich diese Reisen leisten“, sagt André Köhler vom Karl-May-Museum Radebeul. Mit seinen Büchern wurde May zum wohlhabenden Bürger.

Gerichtsprozesse bis zum Lebensende

Zum Leidwesen des Schriftstellers kam noch zu Lebzeiten sein Vorstrafenregister heraus – und zugleich der Umstand, dass er den von ihm wohl vor allem aus Eitelkeit geführten Doktortitel zu Unrecht trug. So blieb der Geschichtenerzähler bis zum Lebensende in Prozesse verwickelt.

Auch unter seinen Literaten-Kollegen war May umstritten. Arnold Zweig etwa monierte, dass im Unterschied zu anderen, „erlebtes Leben“ schildernden Autoren bei May „alle seine Darstellungen falsch sind“. Thomas Mann, Egon Erwin Kisch oder Hermann Hesse gehörten hingegen zu den erklärten May-Sympathisanten. Dass es solche noch immer gibt, bewies im vergangenen Jahr auch die längste Non-Stopp-Lesung der Welt in Mittweida: Aus einer kleinen Zelle heraus, in der May 1870 für sieben Wochen in Untersuchungshaft saß, lasen Hunderte Menschen hintereinander das Gesamtwerk des Autors. Sie brauchten dafür 51 Tage.

100.000 verkaufte Bücher pro Jahr

Und auch der einst in Radebeul gegründete und seit 1960 in Bamberg sitzende Karl-May-Verlag kann über mangelnde Nachfrage nicht klagen. Bis zu 100.000 Bücher jährlich werden nach Angaben von Verlagschef Bernhard Schmid abgesetzt. Für Schmid ist klar: „Karl May wird immer wieder gern totgesagt, aber er ist nicht tot.“