Belgrad

Historie: Deutsche sind in Serbien wieder die Bösen

Zur Zeit der jugoslawischen Bürgerkriege von 1991 bis 1999 war Deutschland in Serbien das meistgehasste Land. Es handle sich um eine „Verschwörung von Berlin, Wien und dem Vatikan gegen Serbien“, um die „Niederlage im Zweiten Weltkrieg wettzumachen“, hieß es damals geradezu gebetsmühlenartig.

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„Deutschlands Drang zum warmen Meer“ (Adria) ließ allerdings den Umstand unberücksichtigt, dass Nord- und Ostsee in der Regel nicht zufrieren. Heute jedenfalls ist diese Sichtweise bei vielen Parteien, Politikern und Medien wieder allgegenwärtig. Und das, obwohl Deutschland traditionell der wichtigste Partner Serbiens ist: Eine halbe Million Menschen mit serbischen Wurzeln leben dort und überweisen jährlich 1,6 Milliarden Euro in ihre Heimat.

Deutschland ist der wichtigste Handelspartner für Belgrad. Unter den internationalen Geldgebern steht Berlin mit rund 1,8 Milliarden Euro seit 2000 an der Spitze. Etwa 400 deutsche Betriebe haben in Serbien 1,7 Milliarden Euro investiert. Speerspitze des neuen Niedermachens der Deutschen ist die nationalistische DSS-Partei des früheren Regierungschefs Vojislav Kostunica.

Wichtige Mitglieder der Akademie der Wissenschaft wie der Literat Matija Beckovic oder der Schriftsteller Dobrica Cosic („Vater der Nation“) assistieren. Auch für bekannte Historiker wie Cedomir Antic oder auch für Soziologen ist Deutschland wieder die Quelle allen Übels. Der zweitwichtigste serbisch-orthodoxe Bischof Amfilohije sieht „ein Epizentrum des Kampfes zwischen Gut und Böse“. Die große Belgrader Zeitung „Novosti“ bebilderte am Wochenende ihre Attacke gegen Berlin mit einer Karikatur: Der Deutsche am Verhandlungstisch mit dem Serben besitzt keinen Kopf, sondern dort ist eine geballte Faust aufgepflanzt, die auf den Tisch haut.

In anderen Zeichnungen erscheinen die Deutschen wahlweise als Zuchtmeister oder als ewige Besserwisser. Schnell ist die Parallele mit dem Zweiten Weltkrieg gezogen, als Nazi- Deutschland das damalige Jugoslawien brutal überfallen und bei der Okkupation viele Kriegsverbrechen begangen hatte. Auffällig ist, dass die Stimmung gegen die Deutschen von Politikern geschürt wird. Es sind Politiker, die noch nie länger in Deutschland gelebt haben und das Land kaum kennen.

Das krasse Gegenteil war der 2003 ermordete erste frei gewählte serbische Regierungschef Zoran Djindjic. Der hatte eine akademische Ausbildung in Konstanz absolviert und seine Wahlheimat zum Vorbild für sein Geburtsland ausgerufen. Trotz aller Kritik an der von Berlin forcierten Sparpolitik sehen viele Serben ihre Zukunft in Deutschland: Hunderte Ärzte und Krankenschwestern büffeln die deutsche Sprache, weil sie von deutschen Behörden angeworben werden.

Während in Deutschland händeringend medizinisches Personal gesucht wird, grassiert in Serbien nicht nur in diesem Berufszweig eine horrende Arbeitslosigkeit.

Von Thomas Brey