Lieser

Fürs Nichtstun nicht geeignet: Spitzenkoch Harald Wohlfahrt im Interview

Nach seinem Abschied als Küchenchef in Baiersbronn denkt Harald Wohlfahrt gar nicht daran, den Kochlöffel abzugeben: Als Stargast des Rieslingfestivals „Mythos Mosel“ entwarf und kochte er zusammen mit fünf Spitzenköchen aus der Region das Galamenü zur Eröffnung auf Schloss Lieser. Das Château bei Bernkastel-Kues soll nach fast zehnjähriger Sanierung als Fünfsternehotel eröffnen, an ein Restaurant ist auch gedacht. Der Koch der Köche, der neuerdings als Ich-AG an der Mosel auftritt, kocht sich schon mal warm.
Nach seinem Abschied als Küchenchef in Baiersbronn denkt Harald Wohlfahrt gar nicht daran, den Kochlöffel abzugeben: Als Stargast des Rieslingfestivals „Mythos Mosel“ entwarf und kochte er zusammen mit fünf Spitzenköchen aus der Region das Galamenü zur Eröffnung auf Schloss Lieser. Das Château bei Bernkastel-Kues soll nach fast zehnjähriger Sanierung als Fünfsternehotel eröffnen, an ein Restaurant ist auch gedacht. Der Koch der Köche, der neuerdings als Ich-AG an der Mosel auftritt, kocht sich schon mal warm. Foto: Kevin Rühle

Unter deutschen Köchen gilt er als der Größte: Wo Harald Wohlfahrt (63) den Löffel schwingt, ist der Kocholymp. Nun ist er Unternehmer an der Mosel. Warum, erzählt er hier.

Lesezeit: 11 Minuten
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Harald Wohlfahrt gründet eine Firma in Trittenheim : Für die Region war diese Meldung eine Sensation. Sind Sie jetzt künftig öfter an der Mosel anzutreffen? Wie kam’s dazu? Und was haben Sie mit der Harald Wohlfahrt Finde Dining UG vor? Planen Sie gar ein eigenes Restaurant?

Die Idee geht auf eine Begegnung mit Raphael Ianniello zurück. Ich hab ihn in Idar-Oberstein im Parkhotel bei einer Veranstaltung kennengelernt, bei der wir als Gastköche waren. Er fragte mich, was ich jetzt so mache. Ich sagte, ich lass es jetzt mal alles auf mich zukommen, aber ich will schöne Dinge machen und noch nicht ganz verloren gehen. Raphael ist der Schwiegersohn vom Weingut Clüsserath [Anmerkung der Redaktion: Weingut und Gästehaus Clüsserath-Weiler in Trittenheim], dort hat er eine Kochschule und wunderbare Räumlichkeiten. Für mich war wichtig, einen Partner zu finden, wo ich eine Produktionsstätte hab und mich nicht um alles selber kümmern muss. Aber ich hab einen bestimmten Anspruch. Er hat das Equipment für 500 Leute und Platz für individuelle Veranstaltungen, eine Kochschule, wo man ambitionierte Kochkurse anbieten kann und ein Weinhaus, wo man schöne individuelle Veranstaltungen machen kann. So haben wir uns gefunden. Wenn Schloss Lieser anfragt und ein Galamenü für seinen Bankettraum mit Harald Wohlfahrt will, dann lass ich mich buchen und kann mit ihm zusammen hier Vorbereitungen treffen. Oder wie kürzlich auf einem Schiff.

Spitzenküche ist Teamarbeit: Fünf Köche standen Harald Wohlfahrt beim Galadinner auf Schloss Lieser zur Seite.
Spitzenküche ist Teamarbeit: Fünf Köche standen Harald Wohlfahrt beim Galadinner auf Schloss Lieser zur Seite.
Foto: Kevin Rühle

Wird man Sie also künftig öfter an der Mosel sein?

Das herrschaftliche Schloss Lieser.
Das herrschaftliche Schloss Lieser.
Foto: Kevin Rühle

Also mit Sicherheit öfter als vorher. Aber ich muss ehrlich sein, ich will hier jetzt nicht dreimal in der Woche ein Bankett machen. Wir haben uns nicht vorgenommen, 50 oder 100 Veranstaltungen pro Jahr zu machen, sondern gesagt, wir wollen schöne Dinge machen. Die kommen oder kommen nicht.

Blick ins Innere.
Blick ins Innere.
Foto: Kevin Rühle

Für ihren Auftritt in Schloss Lieser haben Sie eigens ein Menü kreiert. Worauf muss man achten, wenn 650 Gäste zur selben Zeit ihr Essen bekommen sollen?

Das kommt immer ganz drauf an. Hier flanieren die Gäste durch die Räume und den Schlosshof, genießen das historische Ambiente und können sich an den einzelnen Ständen ihr Essen individuell abholen. Wir richten das dann vor seinen Augen an, braten beispielsweise die Gambas à la Minute. Bei einem gesetzten Menü müssen zeitgleich die ganzen Vorspeisen, Zwischengerichte und einzelnen Hauptgänge aufgetragen werden. Das ist eine ganz andere Vorbereitungsarbeit und erfordert eine völlig andere Küchenlogistik.

Haben Sie denn einen persönlichen Bezug zur Mosel?

Ich komme seit Jahren nach Luxemburg, wo ich eine Benefizgala unterstütze. Und dann hab‘ ich hier natürlich viele Ableger, meine ehemaligen Mitarbeiter: Alexander Kunz in St. Wendel, Klaus Erfort in Saarbrücken, Christian Bau auf Schloss Berg, der Herr Becker in Trier, Renato Manzi in Idar-Oberstein und wer sucht, findet noch einige. Da kommt man auch irgendwo wieder an.

Jahrzehntelang stand Ihr Name als Synonym für das Schwarzwalddorf Baiersbronn. Im vergangenen Jahr haben Sie das Gourmetrestaurant des Hotels Traube Tonbach aufgrund eines Streits mit dem Besitzer verlassen. 41 Jahren hatten Sie dort am Herd gestanden. Fehlt Ihnen diese tägliche Routine, oder sind Sie froh, den Zwängen eines Angestellten zu entkommen?

Die Richtung hat sich bei mir jetzt einfach geändert. Es war ja nicht mein Betrieb, sondern ich war Angestellter im Unternehmen. Was ich jetzt mache, zeigt, dass ich fürs Nichtstun nicht geeignet bin. Ich habe einen Genussbotschaftervertrag mit der Firma Scheck in Achern bei Baden-Baden, die 13 großflächige Edeka-Märkte unterhält und expandiert. Die will eine eigene Produktlinie entwickeln, derzeit entsteht die Produktionsstätte, wo wie eine Eigenmarke aufbauen werden. Dann bin ich im Festspielhaus Baden-Baden sehr aktiv, berate und betreue das Festspielhaus bei Veranstaltungen. Die dritte Säule ist, solche hochwertigen Veranstaltungen wie hier durchzuführen. Das reicht aber im Prinzip auch, mehr muss es nicht werden.

Ohne Restaurant können Sie als Koch auf keine eingespielte Logistik zugreifen: Ist das der Grund, der zur Unternehmensgründung an der Mosel geführt hat?

Das ist sicher ein Grund. Aber ich musste das ja nicht. Wissen Sie, es ist ein Unterschied, ob man muss oder will. Nur wenn man will, dann macht‘s auch richtig Spaß. Ich ab jetzt ein Jahr Erfahrung nach der Traube Tonbach, hab den Markt mal sortiert. Ich hab‘ noch alle Optionen, könnte immer noch in ein Restaurant einsteigen, das schon eine hohe Anerkennung hat, um es zu noch höherem Ruhm zu führen. Ich kann machen, was ich jetzt mache, aber ich kann mich auch zurückziehen. Meine Aufgabe ist es jetzt, aus den vielen Möglichkeiten, die ich habe, die zwei, drei Dinge herauszuziehen, wo ich sag, da sehe ich mich noch ein paar Jahre.

Kling nach vielem, nur nicht nach Füße hochlegen...

Wissen Sie, wenn Sie ein Leben lang gestaltet und jeden Tag gearbeitet haben, dann sitzen Sie nicht plötzlich zuhause und starren die Wand an. Ich meine, ich starre in schöne Natur, aber da komm ich mir wertlos vor. Zurücklehnen, das bin net ich.

Heißt das, Sie ernten jetzt, wofür Sie jahrzehntelang gerackert haben? Bislang hat man Sie wenig außerhalb ihres Restaurants gesehen.

Wir standen für Exklusivität, hatten das Restaurant mittags und abends geöffnet, waren sehr, sehr gut ausgelastet, da ist wenig Zeit für was anderes geblieben. Dann war ich nicht der Eigentümer, und der Hausherr hat mit Argusaugen drauf geachtet, dass der Mann, dem er den Lohn bezahlt, auch dafür einsteht. Insofern war der Raum, mich einer breiten Öffentlichkeit zu öffnen, gar nicht gegeben, das hätte man auch gar nicht gewollt.

Mit 63 hätten Sie aber auch sagen können, ich geh jetzt in Rente und mach’s mir schön…

Ja, gut, was ist schön? Das ist immer relativ. Ich glaube Nichtstun wär‘ nicht der richtige Ansatz. Warum soll das alles verloren gehen, was man realisiert und reingesteckt hat? Ich hatte verschiedene Optionen, hätte wieder in einen Betrieb gehen können, ein eigenes Unternehmen gründen oder ein bereits besterntes Lokal übernehmen, das den Pächter wechselt. Es war alles dabei, da ich musste mich schon fragen, was ich will.

Haben Sie eine Antwort gefunden?

Ich möchte nicht aufhören, sondern kürzertreten. Wissen Sie, ich hab 41 Jahre lang am Herdkopf gestanden, jede Soße probiert, jeden Teller abgefangen. Das ist ein Arbeitsleben, so viel arbeiten die meisten Menschen ja gar nicht, ich war länger im Unternehmen als der Eigentümer. Aber da hat nicht einmal ein Gespräch stattgefunden: „Was kann ich für Sie tun, damit ich Sie möglichst lang in meinem Betrieb halten kann?“ Es ist nie an einer Zukunft gebaut worden. Hätte man mir mehr Freiraum eingeräumt, mir jemanden an die Seite gestellt, hätte es für die nächsten Jahre sicher noch Gestaltungsräume gegeben. Und ich war ja auch der, der weitsichtig einen Mann herangezogen hat. Auch wenn die Familie Finkbeiner so tut, als wäre das ihre Idee gewesen. Die haben gar nix dafür getan, die wollten den Herrn Michel [Anm. d. Red.: Torsten Michel war zehn Jahre lang Wohlfahrts Souschef, seit 2016 neben ihm auch Küchenchef der Schwarzwaldstube, die er jetzt allein verantwortet.] bis vor zwei Jahren gar ned haben. Dann hab ich ihn ins Spiel gebracht. Dann sind aber gegen Absprachen Dinge passiert, bei denen ich mir sagen musste, des kann ned sein. Nach 40 Jahren lass ich mich nicht so behandeln. Dann hätte ich mich auch nicht mehr selbst bestimmen können und ich bin kein Mensch, der irgendwo hingeht und geduldet wird. [Pause] Nee. Also ich hab mich ein leben lang im Unternehmen selber bestimmt, ich hab Verantwortung übernommen, Mitarbeiter selber eingestellt, die Speisenkartengestaltung eigenhändig gemacht, war für die Produktüberwachung und alles verantwortlich, die Pressearbeit hab ich gemacht. Und dann? Soll ich im Büro sitzen und den Fernseher anstarren oder mich auf jede Hühnerzüchterveranstaltung schicken lassen, wo sie mich sehen wollen? Des war net ich.

Klingt, als säße die Verletzung tief und ließe sich nicht wiedergutmachen?

Wissen Sie, ich hab in 41 Jahren durch Krankheit 14 Tage gefehlt. Und wenn ich Ihnen sagen würde, an was das auseinandergegangen ist, dann ist das einfach lächerlich.

Sagen Sie´s mir.

Das würde ich, wenn Sie Ihr Tonbandgerät ausschalten. So lang es läuft, sag ich Ihnen das nicht, weil ich nicht will, dass darüber geschrieben wird. [Stopptaste. H. W. schildert explizit den Vorgang, der dazu führte, dass er sich nach 41 Jahren mit seinem Chef, dem Hotelier Heiner Finkbeiner, überworfen hat. Die Geschichte klingt plausibel, der Spitzenkoch schwer gekränkt, wir halten uns an das Versprechen, sie nicht der Öffentlichkeit preiszugeben.]

Bereuen Sie heute, sich so lang und mit Haut und Haar einem Arbeitgeber verschrieben zu haben?

Ich hab das mit Begeisterung gemacht, durfte einen Riesenerfolg haben und viele tolle Momente erleben dürfen. Bereuen tu ich das nicht. Das einzige, was ich bereue, ist, dass ich mir für meine Familie und meine Kinder nicht mehr Freiraum erzwungen hab. Ansonsten hab ich mein Leben in der Form gelebt, die mir Spaß macht.

Sie sind der höchstprämierte Koch der Bundesrepublik, niemand hat die drei Sterne länger gehalten als Sie. Knapp gefolgt von Helmut Thieltges [Anm. d. Red.: Waldhotel Sonnora in Dreis, Kreis Bernkastel Wittlich], der Sie nun leider nicht mehr einholen wird, weil er im vergangenen Jahr gestorben ist. Allerdings sind die Sterne nach Ihrem Abschied aus Baiersbronn im Schwarzwald geblieben, denn die Auszeichnung gilt immer dem Restaurant und dem Team. Wie nennen Sie sich denn jetzt?

Eigentlich bin ich freischaffender Unternehmer, Künstler, eine kleine Ich-Ag. Nennen Sie’s, wie Sie wollen.

Sterneküche beherrschen Sie ja gleich in zweifacher Hinsicht – Sie haben Space Food fürs All kreiert. Gerade ist Astro-Alex wieder im All unterwegs. Wird er auf der ISS wieder Ihre Dosenspätzle essen?

Soweit ich weiß, sind neue Menüs entwickelt worden, und diesmal nicht von mir.

Wie kam’s dazu, dass Sie für die Internationale Raumfahrtmission 2010 und 2014 Astronautennahrung entwickelten?

Einmal im Jahr gab’s in Tonbach ein Wirtschaftsforum, die Tonbacher Gespräche, da war immer eine interessante Persönlichkeit aus Wirtschaft, Politik oder Gesundheitswesen als Referent im Hause. In dem Jahr war Prof. Dr. Messerschmidt (Anm. d. Red.: Ernst Messerschmid flog 1985 mit der US-Raumfähre Challenger ins All) bei uns zu Gast und hielt ein großes Referat über Sinn und Zweck der Mission. Er war ja selbst im All, lehrt an der Stuttgarter Universität. Abends gab’s ein Galadinner, danach hat er sich bedankt und in den Raum geworfen, ob man nicht auch mal was zur besseren Ernährung der Astronauten beitragen könnte. So wurde die Idee geboren, wir haben das der Europäischen Raumfahrtagentur ESA vorgeschlagen, und tatsächlich kam dann ein Entwicklungsauftrag.

Produziert wurde damals in Bad Hönningen unter höchster Geheimhaltung, die Firma hielt absolut dicht und behielt die Geschichte für sich. Erzählen Sie doch mal: Wie kocht man fürs All?

Da kriegen Sie eine Liste mit Produkten vorgelegt, die Sie verwenden können. Also Hülsenfrüchte sind eher Schwierig, Zwiebelgewächse verpönt, weil die Esser Abgase entwickeln und man die Luft in der Raumkapsel nicht reinigen kann. Es darf keine Soßen oder andere Flüssigkeiten geben. Die müsste man einfangen, weil sie sonst Schäden anrichten. Es gilt zwei Kostformen: Vakuumgetrocknet, da wird Flüssigkeit zugesetzt, dann quillt es auf. Das ist eklig anzugucken, das ist die amerikanische Kostform. Die russische sind Konserven. Die werden zwischen Kontaktplatten gespannt und von außen erwärmt. Das kann nicht auf dem Teller angerichtet werden, sondern wird aus der Dose gegessen. Es gibt klare Vorgaben und höchste Anforderungen an die Mikrobiologie. Alles wird auf mindestens 121 Grad erhitzt und dokumentiert, muss vollwertig sein. Ein Astronaut muss am Tag zwischen 3000 und 3800 Kalorien zu sich nehmen, was die Nahrung nicht liefert, muss durch Vitaminpräparate kompensiert werden.

Hätten Sie Ihre Kosmos-Konserven denn auch selbst ausgelöffelt?

Na ja, ich würde mal so sagen, wenn man Gleiches mit Gleichem vergleicht, haben wir mit dem, was wir gemacht haben, gut abgeschnitten. Aber eine Konserve ist eine Konserve. Und ein Rinderfilet in eine Dose zu stecken und hinterher lang zu erhitzen, macht keinen Sinn. Da brauchen Sie Fleisch wie Kalbsbäckchen oder typisches Gulaschfleisch, wo sich Sehnen und Fett durch Erhitzen umwandeln in kaubare Gelatine und die Sache saftig machen. Alles, was man gut schmoren kann, eignet sich im Prinzip auch für Astronautenkost.

Physik spielt in der gehobenen Küche zunehmend eine Rolle. Sie ist aber auch Kunst, Handwerk und Hochleistungssport. In welchem Bereich sehen Sie sich vor allem?

Ich hab‘ mich eigentlich immer als Teamplayer gesehen, als Spielertrainer – learning by doing, sich immer weiterentwickeln, aber auch die Mitarbeiter mitnehmen, mitreißen, um neue Wege zu gehen, neue Türen zu öffnen, Begeisterung zu erzeugen. Ich muss das Team dazu bringen, dass es Spitzenleistung bringt. Aber wissen Sie, wir waren 15 Köche, also mehr als eine Fußballmannschaft. Wie soll ich die allein ersetzen? Ich war der Ideengeber, der Kopf, der die Richtung bestimmt für ein Team, das funktioniert wie ein Formel-Eins-Fahrzeug, wo man nur noch an winzigen Stellschrauben versucht, etwas zu verbessern. Die Mitarbeiter haben sich irgendwann auch selber ausgebildet. Meine Aufgabe bestand immer darin, das Schiff auf Kurs zu halten und zu gucken, dass es vorwärtsgeht.

Wie fühlt es sich an, jahrzehntelang Tag für Tag als bester deutscher Koch seinen Job in der Küche anzutreten? Wie lebt sich’s mit dem Druck?

Das ist sicher der höchste Anspruch, den man an sich stellen kann. Aber ich wollte ja da hin, mein gesetztes Ziel waren die drei Sterne. Der Druck gehört dazu, damit muss man lernen umzugehen.

Was muss auf einem Teller los sein, damit er als Drei-Sterne-Gericht durchgeht?

Das ist nicht ein einzelner Teller. In der Dreisternegastronomie geht’s immer um das Gesamterlebnis. Das beginnt beim Empfang des Gastes und hört auf bei der Verabschiedung. Es geht um die Summe der Dinge, die sich dazwischen abspielen. Wie wird der Gast empfangen, beraten, stimmt die Weinauswahl? Mit Sicherheit können Sie auch im Ein- oder Zweisternebereich Teller bekommen, die dreisternewürdig wären. Am Ende muss aber eben das ganze Paket stimmen.

Spitzengastronomie hat’s heutzutage schwer. Sie ist kostenintensiv, es fehlt an geeignetem Personal, auch das Essverhalten der Kunden hat sich geändert. Wohin muss sich die Branche bewegen, wenn sie nicht sterben will?

Die Branche ist auf einem Niveau, auf dem Sie noch nie war. Wir haben möglicherweise ein Überangebot an Topgastronomie. Vor 35 Jahren gab’s eine Zeit, da waren ich und Jean-Luc Bourgueil die einzigen Dreisterneköche. Eckard Witzigmann hat damals aufgehört, Karl Heinz Winkler wechselte von München nach Aschau. Heute gibt’s zwölf Drei-Sterne-Restaurants in der Republik, die absolute Spitze hat zugenommen. Aus vielleicht einem Dutzend Zweisternerestaurants sind mehr als 40 geworden. Das Angebot ist unheimlich viel breiter geworden. Ob da so viel Publikum mitgewachsen ist, dass die alle am Markt existieren können, ist die andere Frage. Aber die, die wirklich Außergewöhnliches bieten, finden auch ihr Publikum.

Was isst ein Sternekoch eigentlich zuhause?

Also bis vor einem Jahr haben wir im Betrieb gelebt und nur an den freien Tagen zuhause gekocht. Aber man kann nicht jeden Tag sieben Gänge essen. Wir essen zuhause sehr anspruchsvoll, aber das muss nicht heißen, dass es nur edle Produkte gibt oder besonders teuer ist. Wir wohnen nur 100 Meter vom Wald entfernt, da kann man an manchen Tagen bis zu 28 Sorten Pilze finden. Wenn Sie da spazieren und ein schöner Steinpilz lacht Sie an oder ein schöner Pfifferling, dann kann einem da schon was Schönes einfallen, was man draus machen kann. Das kann durchaus auch mal ein Salat sein.

Und wie findet‘s Ihre Frau, dass Sie ihr neuerdings in der Küche dazwischenfunken?

Also meine Frau hatte das Glück, dass sie bis vor einem Jahr mit im Betrieb gearbeitet hat und das Essen von dort mitnehmen konnte. Wir hatten ja auch drei Kinder, Sie war genauso lang im Betrieb wie ich. Wenn Sie da morgens antreten, haben Sie ja gar keine Zeit zum Kochen. Seit wir beide ein bisschen mehr Zeit haben, gehen wir zusammen einkaufen, bestimmen zusammen, was wir wollen, machen die Vorbereitungen zusammen. Den Hauptteil am Herd übernehm‘ dann ich, weil‘s mir einfach liegt und ich das auch gern mache. Aber hinterher kann ich’s nie so gut, dass meine Frau auch zufrieden wäre.

Das Gespräch führte Nicole Mieding