Fracking: Aus Farmern werden Ölbarone

Fracking: Neue Fördermethode spült jede Menge Petrodollars nach North Dakota
Fracking: Neue Fördermethode spült jede Menge Petrodollars nach North Dakota Foto: Frank Herrmann

Weit und breit kein Baum, keine Hecke, keine Steinmauer, nichts, was den Blick verstellt. Ein böiger Wind treibt Schnee von winterkahlen Feldern über die Schotterstraße, dünne, tanzende Schlieren, die irgendwie an Rauchschwaden erinnern.

Lesezeit: 7 Minuten
Anzeige

Das Land wirkt so leer, dass ein geflügeltes Bauernwort sagt: „Wenn dein Hund wegläuft, kannst du ihn drei Tage rennen sehen.“ Das Ende der Welt? Nicht für Donny Nelson, für den Bauern steckt das Land voller Erinnerungen.

In einer Talsenke stehen noch die Holzhütten der ersten Farmer, blätternde Farbe, schwarze Fensterhöhlen. Am Fuße des Tableview Mountain – oben platt, ähnlich geformt wie Kapstadts berühmter Tafelberg – hat Donnys Urgroßvater gesiedelt. Ein Homesteader, der das Stück Prärie, das er urbar machte, behalten durfte.

Geografen überlegten schon, die Prärie den Büffeln zu überlassen

Nels Langeland war aus Norwegen ausgewandert, vor gut 100 Jahren überquerte er den Missouri, um im kargen Westen North Dakotas sein Glück zu versuchen. Er züchtete Rinder und baute Hartweizen an, seine Söhne erbten die Ranch, und aus dem Vornamen des alten Nels machten sie den Familiennamen Nelson, was amerikanischer klang als Langeland.

Leicht war es nie, guten Zeiten folgten schlechte, je nachdem, wohin sich an der Chicagoer Börse die Fleisch- und Getreidepreise bewegten, bergauf oder bergab. Noch unlängst überlegten Geografen, ob man das Land am Sakakawea- Stausee nicht wieder den Büffeln überlassen sollte, weil die Einöde keine Zukunft versprach. „Haaard, haaard times“, sagt Donny Nelson, das englische Wort für „hart“ melancholisch in die Länge ziehend. Und nun ist er Ölbaron. Nicht dass man es ihm anmerken würde. Das bärtige Haupt von einer Baseballkappe bedeckt, steht der bescheidene Mann geduldig im eisigen Wind, um mit leiser Stimme die Geografie zu erklären. Sein Haus, eine Blockhütte aus oberschenkeldicken Balken, hat er selbst gezimmert.

Nur die Harley Davidson mit den ausladenden Stereoboxen in der Garage hat er sich als Luxus gegönnt. „Oil money“, sagt der Bauer und kratzt sich verlegen am Hinterkopf. Donny Nelson braucht nur den nächsten Hügel hinaufzufahren, um die Ölpumpen zu sehen, knapp ein Dutzend in einer Reihe. Die Einheimischen nennen sie „horse pumps“, weil ihre auf und nieder wippenden Schwengel an den Kopf eines trottenden Pferdes denken lassen. In der Ferne blitzt das Stahlgerüst einer Fracking- Anlage, umgeben von blauen Containern wie ein Aussichtsturm von einer Wagenburg. Nachts leuchtet das Land im Schein abgefackelten Gases.

Stellenweise liegt sie drei Kilometer unter der Erde: die Gesteinsschicht, in der das schwarze Gold lagert – benannt nach Henry Bakken, der als einer der Ersten Bohrungen auf seiner Farm gestattete. Der Schiefer der Bakken-Formation ist nicht porös genug, als dass eingeschlossene Öl- und Gasblasen von allein herausströmen würden. Erst wenn er aufgesprengt wird, wenn nach der Fracking-Methode Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck hineingepresst werden, gibt er seinen Schatz frei.

2004 erlebte North Dakota seine Fracking-Premiere, heute gibt es rund 8000 Bohrlöcher. In 20 Jahren, schätzen Experten, werden es 40 000 bis 50 000 sein. Vor einem Szenario vor allem hat Donny Nelson Angst – vor der Gefahr verseuchten Grundwassers. Reine Theorie, praktisch unmöglich, hörte er von den Ingenieuren, dazu liege die Bakken-Formation viel zu weit unter der Erde. Überzeugt hat ihn das nicht.

„Du weißt nie genau, was passiert, wenn du die Erde aufknackst. Auch wenn alle sagen, zwei Meilen tief, da kann nichts passieren. Du kannst es nicht wissen.“ Was, wenn sich Salzwasser und Chemikalien durch plötzlich entstandene Risse den Weg hinauf bahnen? Was, wenn die Stahlrohre im Untergrund rosten und der Zement, der sie umhüllt, irgendwann bröckelt? Wenn Öl oder Schadstoffe durch undichte Stellen aus den Rohren ins Grundwasser fließen?

„Wo Menschen am Werk sind, machen sie Fehler“, sagt Donny Nelson und klingt weise wie Salomo. Andererseits ist das „oil money“ ein willkommener Segen – gerade nach der langen Durststrecke. 8000 Dollar kassiert er mittlerweile pro Monat, indem er der Hess Corporation Land verpachtet und Mineralrechte vermacht. Jedenfalls das, was noch übrig ist von den Mineralrechten, was seine Vorfahren noch nicht parzellenweise verhökert haben, wenn sie in kargen Zeiten dringend Geld für einen Traktor brauchten.

Dann wieder fühlt sich Donny Nelson, als überrollte ihn eine Dampfwalze, so unerwartet schnell füllen sich seine Felder und Weiden mit Pumpenschwengeln. Aufhalten kann er die Walze nicht, Pachtvertrag ist Pachtvertrag. Es geht nur noch um Kleinigkeiten, etwa darum, wie nah eine Pumpe, eine Gasfackel an einem Haus stehen darf.

Frank Lapelle, ein Nachbar, hat nach langem Gezerre erreicht, dass es knapp 200 Meter Abstand sein müssen und nicht nur 100, wie es die Firmen anfangs anstrebten. Nun kämpfen sie gemeinsam um 300 Meter. „Aber das Geld macht vieles leichter“, bekennt Donny Nelson. Nels

Langelands Urenkel ist hin- und hergerissen, seine Nachdenklichkeit eher die Ausnahme im Jubelchor. North Dakota fiebert im Ölrausch, es feiert den Aufschwung, weil es in seiner Abgeschiedenheit lange das Aschenputtel Amerikas war: Atomraketensilos, aber keine Perspektiven. Das war gestern. Heute ist die Arbeitslosigkeit mit 3 Prozent die niedrigste der USA.

Die Haushalszahlen sind schwarz: 4 Milliarden Dollar Plus. Von jedem Petrodollar behält der Bundesstaat 11,5 Cent, da kommt bei nur 650 000 Bewohnern schnell ein schönes Sparpolster zusammen. Man könnte glauben, Washington mit seinen Rekorddefiziten liege auf einem anderen Planeten. Dominic Rawlice hat die wärmeren Gefilde Oklahomas verlassen, um in North Dakota sein Glück zu versuchen.

In Oklahoma baute er endlose Zäune um endlose Farmen, hier verlegt er Pipeline-Rohre. Daheim verdiente er 9 Dollar die Stunde, in der Ferne locker das Dreifache. Es gefällt ihm, wenn seine Kumpels ihn Roughneck nennen, obwohl der Begriff eigentlich die Arbeiter an den Bohrlöchern meint – ihre gefährlichen Jobs, ihre raue Art. Roughneck, das steht für Malocherstolz.

„Es geht darum, Chancen zu nutzen. Und ich nutze sie. In der verdammt noch mal kältesten Ecke Amerikas“, sagt Rawlice. In seinen Adern fließt das Blut von Cherokees, im Geiste ist er Republikaner. „Komm mir nicht mit Almosen, zum Teufel mit Uncle Sam, du musst deinen Hintern selbst hochkriegen.“ Sobald das Geld für ein Haus reicht, will der 31-Jährige zurück nach Oklahoma, um eine Familie zu gründen.

Wenn Rebecca Dechamps aus ihrem schäbigen Wohncontainer ins Freie tritt, liegt ihr das weite Tal des Missouri zu Füßen. Ein grandioser Anblick, wären da nicht die verbeulten Autowracks im Vordergrund. Seit Weihnachten lebt die Indianerin vom Stamm der Hidatsa mit ihrem Mann und zwei Söhnen auf einer Schrotthalde über der tristen Kleinstadt New Town – eine Vertriebene des Rauschs. Ihren Trailerpark Prairie Winds, direkt in der Stadt, musste sie räumen. Der Besitzer hat „Dollarzeichen in den Augen“, schimpft sie.

Von Wanderarbeitern kann er mehr verlangen als die 150 Dollar, die Altmieter berappen. Der neue Trailerpark ist ein trauriges Provisorium. Draußen kläffen bissige Hunde. „Unser einziger Schutz“, sagt Rebecca Dechamps. „Nein, ich mag das Öl nicht. Wir waren eine kleine, friedliche Stadt. Und heute denkst du bei jedem Fremden, pass auf, er könnte etwas im Schilde führen.“

Doug Dorzet könnte in Hollywood mitspielen, in der Rolle des knorrigen, kantigen Ölmanns im Wilden Westen. Eine Stimme wie ein Reibeisen, eine Sonnenbrille, die er auch im Schneesturm nicht ablegt, wortkarg wie ein Pokerspieler. Sein Boss hat ihn ins Dorf Fortuna geschickt, geografisch an der kanadischen Grenze, gefühlt am Ende der Welt.

Pionierfirma des Frackings war Konzern 4,7 Milliarden Dollar wert

Auf einem Acker ist ein Tank mit salzigem Schmutzwasser übergelaufen, Umweltalarm. Dorzet lässt verseuchten Schlamm wegkarren, es muss schnell gehen, bevor die nächste arktische Front den Modder gefrieren lässt. Für ihn scheint es reine Routine, ein Wiederholungsfall. Fortuna, sagt Dorzets Chef Patrick Montalban am Telefon, sei eine tolle Erfolgsstory, „eine großartige Chance“.

Drüben in Montana, am Fuße der Rocky Mountains, wo sein Familienbetrieb Mountainview Energy seit der Großen Depression nach schwarzem Gold bohrt, holen sie aus den ergiebigsten Bohrlöchern zehn Barrel pro Tag. In Fortuna sind es 500. Vielleicht spekuliert Montalban auf den Statoil-Effekt – auf den Tag, an dem er das Geschäft seines Lebens macht. Vor 16 Monaten hat der norwegische Konzern Statoil 4,7 Milliarden Dollar gezahlt, um die eher obskure texanische Ölfirma Brigham zu übernehmen, den Pionier des Fracking-Booms. Allein die enorme Summe hat die Fantasien der Goldgräber beflügelt.

Im Mercy Hospital musste Matt Grimshaw – der neue Direktor, zugezogen aus Minnesota – sämtliche Blaupausen des Vor-Fracking- Zeitalters in den Papierkorb werfen und alles neu planen. Das Krankenhaus brauchte einen größeren Kreißsaal – die Zahl der Geburten hat sich verdoppelt – und in der Unfallstation 18 statt früher sechs Betten.

Fast täglich werden Malocher mit zerquetschten Händen, zertrümmerten Schultern, verbrannten Gesichtern eingeliefert. Die Zahl der Verkehrsopfer ist drastisch gestiegen. Es fehlt an Pipelines, noch donnern ölbeladene Tankwagen in endlosen Kolonnen durch ehemals verschlafene Nester. „Früher konnte sich ein Hund auf den Highway legen und hatte den ganzen Tag seine Ruhe“, spitzt es Mark Sparby zu, ein Bankangestellter in Watford City. „Heute kommst du kaum noch über die Straße, ohne zu rennen.“

Frank Hermann