Koblenz/Landau

Forscher zerlegen neun Thesen zu Netz und Computer: Internet schadet nicht

Das Zitat von Hirnforscher Manfred Spitzer haben die Forscher der Uni Koblenz-Landau ihrem Werk voran gestellt. Foto: dpa
Das Zitat von Hirnforscher Manfred Spitzer haben die Forscher der Uni Koblenz-Landau ihrem Werk voran gestellt. Foto: dpa

Was machen Computer und Internet mit dem Menschen? Dazu gibt's viel Skepsis, viel Hoffnung – und viel Forschung. Wissenschaftler der Universität Koblenz-Landau haben die Ergebnisse der Auswertung von einer dreistelligen Zahl von Studien zusammengetragen: Was dran ist an neun Mythen über negative Folgen.

Lesezeit: 3 Minuten
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Von unserem Redakteur Lars Wienand

Gibt es „digitale Demenz“, machen uns Computer und Computernutzung dümmer? Was immer wieder behauptet wird, haben sich Forscher der Uni Koblenz-Landau vorgenommen – und sehen es zum größten Teil als eindeutig widerlegt an. Der Medienpsychologie-Professor Klaus Appel und Mitarbeiterin Constanze Schreiner beruhigen: „Die alarmistischen Thesen haben wenig mit dem wissenschaftlichen Kenntnisstand zu tun.“ Für ihre in der der „Psychologischen Rundschau“ erschienene Bestandsaufnahme haben sie etliche Meta-Analysen zusamengetragen. Ihre Arbeit (PDF) ist also eine Auswertung von Studien, die bereits Studien verglichen und ausgewertet haben.

Ihre Ergebnisse haben sie mit dem Zitat des Gehirnforschers Manfred Spitzer überschrieben, der mit dem Buch „Digitale Demenz“ Furore gemacht und Dauergast in Talkshows war. Und dann geben sie es ihm: Seine Thesen sehen sie zum größten Teil durch den Forschungsstand widerlegt. Und wo er richtig liege, sei der Zusammenhang auch nur schwach ausgeprägt. Ihre Folgerung: Die „nicht sachgemäßen Thesen“ mit Gefahrenszenerien verstellen den Blick für die Herausforderungen, die mit einer Verbreitung von Computer und Internet im Alltag verbunden sind. Neun Mythen haben sie beleuchtet:

1. Internet führt zu weniger Austausch: Eher Nein.

Einzelne Studien kommen zu dem Schluss, so Appel un Schreiner. Im Durchschnitt über alle Studien hinweg sei ein „sehr kleiner negative Effekt des Internets“ auf soziale Interaktion festzustellen, so die Wissenschaftler, die sich hierbei auf eine 2006 erfolgte Auswertung von 16 Studien stützen. Bei anspruchsvoll und längsschnittlich angelegten Studien drehe das aber sogar eher ins Gegenteil.

2. Internet bremst Engagement: Nein.

Eine Meta-Studie von 2009, die 38 Analysen zusammengefasst hat, kommt zum Schluss, dass es bei höherer Internetnutzung mehr Anzeichen dafür gibt, dass sich die Person gesellschaftlich und politisch stärker engagiert.

3. Internet macht einsam: Eher Nein.

Wissenschaftlich widerlegt ist die These den Forscher zufolge noch nicht. Ein Vergleich von Studien fand demnach 2010 einen Zusammenhang, dass mehr Internetnutzung schwach messbar mit mehr Einsamkeit einher geht. Dieser war jedoch nicht signifikant. Folgerung: „Die These, dass Internetnutzung mit mehr Einsamkeit einhergeht, ist empirisch nicht gestützt.“

4. Internet macht unglücklich: Eher Nein.

Wer den Gründen für schlechte Stimmung nachspürt, stößt auch auf Internetnutzung. Die machte jedoch nur 0,25 Prozent aus, 99,75 Prozent seien auf
andere Faktoren zurückzuführen. „Es ergeben sich sehr kleine Zusammenhänge in der vermuteten Richtung.“

5. Am Bildschirm hängen macht dick: Ja, aber ...

Die Analyse gründet auf 52 Studien bei Erwachsenen und sechs Studien bei Kindern und Jugendlichen, die zum Teil den Zusammenhang mit Computernutzung und zum Teil mit TV-Konsum untersuchten. Für Fernsehen und Übergewicht gab es einen kleinen Zusammenhang, für Gaming und Fettleibigkeit waren die Ergebnisse „nicht signifikant“.

6. Lernen mit Computer bringt nichts oder schadet: Nein, aber ...

Eine Forschungsarbeit von 2010, die 45 Studien verglichen hat, kam zum Schluss, dass dann besondere Lerneffekte auftreten, wenn Unterricht und E-Learning zusammenkommen, also wenn nach Anleitung oder gemeinsam vor dem Bildschirm gelernt wird – integriertes Lernen oder „blended learning“. Alleine Lernen vor dem Computer bringe aber keinen Vorteil gegenüber traditionellem Lernen. Einschränkung hierbei: Die meisten Studien beschäftigen sich mit Erwachsenen.

7. Lernspiele bringen nichts: Doch!

Appel und Schreiner konnten sich auf einen Vergleich von 32 Studien und einen weiteren von 14 Studien stützen. Das Ergebnis: Lernen wird durch Computerspiele gefördert, auf diese Art bringt es mehr als traditioneller Unterricht. Der Erfolg hängt aber stark davon ab, wie ein Spiel gemacht ist.

8. Computernutzung schadet der Schreibkompetenz: Nein.

26 Studien waren 2003 unter die Lupe genommen worden, die Umfang und Qualität per Hand oder mit dem Computer geschriebener Texte verglichen. Gemessen wurden minimale Effekte zugunsten der per Computer geschriebenen Texte.

9. „Killerspiele“ machen aggressiv: Ja, aber...

Stand der Wissenschaft sei, dass gewalthaltige Videospiele „negative Auswirkungen auf das aggressive Erleben und Verhalten der Spieler“ haben – aber die Effekte seien sehr gering, und die Wirkung müsste im Kontext weiterer Einflussfaktoren gesehen werden, so Appel und Schreiner.

10. bis xx. Navi-Nutzung schadet der räumlichen Orientierung: Offen.

Die Wissenschaftler haben viele weitere Fragen ausgelassen, zu denen es nach ihren Angaben nicht ausreichend Studien gab.

Autor:
Lars Wienand
(Mail, Google+)