Ex-First-Lady Eva Köhler im Interview: „Menschen mit seltenen Erkrankungen fallen durchs soziale Netz“

Die Frau des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler, Eva Luise Köhler, überreicht als Schirmherrin des Vereins ACHSE am Montag in Berlin einen hochdotierten Preis für die Erforschung seltener Krankheiten. Über ihr Leben nach dem Auszug aus dem Schloss Bellevue und ihr soziales Engagement sprach die frühere „First Lady“ mit unserer Zeitung.

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Die Frau des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler, Eva Luise Köhler, überreicht als Schirmherrin des Vereins ACHSE am Montag in Berlin einen hochdotierten Preis für die Erforschung seltener Krankheiten. Über ihr Leben nach dem Auszug aus dem Schloss Bellevue und ihr soziales Engagement sprach die frühere „First Lady“ mit unserer Zeitung.

Frau Köhler, Sie sind Schirmherrin von ACHSE, der Allianz für Menschen mit seltenen chronischen Erkrankungen , und haben mit Ihrem Mann eine Stiftung ins Leben gerufen. Wie ist dieses Engagement entstanden?

Als Frau des Bundespräsidenten bekam ich viele Anfragen für eine Schirmherrschaft. Auch ACHSE, ein neu gegründeter Verein war darunter, der sich um die Belange der Menschen mit einer seltenen chronischen Krankheit kümmern wollte. Schon Frau Herzog, die verstorbene Frau des früheren Bundespräsidenten, hatte mir von den Schwierigkeiten, die Menschen mit einer seltenen Erkrankung haben, erzählt. Die Situation der vier bis fünf Millionen betroffenen Menschen in Deutschland kennt kaum einer. Sie fühlen sich allein gelassen. Da war es Zeit, sich zu kümmern , und ich tue dies auch gern nach dem Rücktritt meines Mannes weiter.

Eine Krankheit gilt als selten, wenn maximal 5 von 10 000 Menschen betroffen sind. Welche Sorgen haben die Betroffenen?

Zuerst belastet sie die oft lange Odyssee von Arzt zu Arzt bis eine Diagnose gestellt werden kann. Dazwischen liegen Fehlbehandlungen und manchmal auch unterschwellige Vorwürfe des „eingebildeten Kranken“. Wurde dann eine Diagnose gefunden, gibt es oft keine Therapie und Medikamente. Es wird zu wenig geforscht, da sich in diesem kleinen Bereich nicht lohnt Geld zu investieren und, es gibt nicht genug Ärzte und Fachkräfte. Die Betroffenen fallen in vielen Fällen durch das Netz unseres Sozial- und Gesundheitswesens.

Was sind das für Krankheiten?

Es gibt etwa 6000 verschiedene seltene Krankheiten. Etwa 80 Prozent sind genetisch bedingt und in der Regel noch nicht heilbar. Von den vier Millionen Betroffenen in Deutschland sind drei Millionen Kinder. Vor ein paar Tagen lernte ich zum Beispiel ein Kind kennen, das kein körpereigenes Cortison herstellen konnte. Bei Nicht-Behandlung besteht die Gefahr, dass das Kind gravierende körperliche und geistige Behinderungen davonträgt wenn es nicht innerhalb einer bestimmten Zeit behandelt wird. Dieses Kind hatte Glück, rechtzeitig diagnostiziert zu werden. Nur, welcher Kinderarzt erkennt diese Krankheit rechtzeitig?

Was können Politik und Gesellschaft tun?

Wir brauchen auf alle Fälle mehr Forschung auf diesem Gebiet. Die finanziellen Forschungsmittel der öffentlichen Hand für seltene Krankheiten sollten mindestens im Verhältnis der Anzahl der Betroffenen zu den Forschungsausgaben für häufige Krankheiten stehen. Die forschende Industrie könnte auch über ihre Öffentlichkeits- und Charityausgaben Geld für diese Forschung bereitstellen. Die Eva-Luise und Horst Köhler Stiftung vergibt am Montag in Zusammenarbeit mit ACHSE den mit 50 000 Euro dotierten Forschungspreis für Seltene Krankheiten. Dieser jährlich verliehene Preis soll Forschung anstoßen ,die letztendlich die Menschen mit einer seltenen Krankheit zu schnellerer Diagnose und Behandlung führt.

Muss die Ausbildung der Ärzte angepasst werden?

Auch das .Es wäre schon gut wenn während des Studiums die angehenden Ärzte mit dem Thema seltene Krankheiten konfrontiert würden. Dies sind alles isolierte Themen, deren Lösung Eingang in die Entwicklung eines Nationalplanes für Menschen mit Seltenen Erkrankungen Eingang finden soll. Gesundheits- und Forschungsministerium haben ein „nationales Aktionsbündnis für Seltene Krankheiten “, NAMSE, ins Leben gerufen. Dort soll unter Federführung von Achse dieser besagte Nationalplan entwickelt werden.

Wie agiert Achse?

In erster Linie bildet ACHSE eine erste Anlaufstelle für Betroffene und ihre Angehörige. Über eine Telefonhotline bekommen die Menschen Rat und Hilfe z.B.bei der Suche nach einer entsprechenden Selbsthilfegruppe, Informationen über die Krankheit oder Hinweis auf Spezialisten. Um für Ärzte die Diagnosefindung zu erleichtern gibt es die sog.„Ärztelotsin“, die ihren Sitz in der Charite hat. Informationen über seltene Krankheiten kann man im Internet bei der achse-info finden. Ein großer Teil der Arbeit liegt auch in der Vernetzung und Aufklärung. Die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung unterstützt ACHSE in der Forschungsförderung indem sie neben dem Preis auch Stiftungsprofessuren unterstützt.

Ist es ohne Amt schwieriger geworden, für dieses Projekt zu werben?

Wenn das Gütesiegel des Amtes wegfällt, wird es natürlich schwieriger. Das geht anderen Stiftungen wie der Christian-Herzog-Stiftung oder der Hannelore-Kohl-Stiftung ähnlich. Ich hoffe, dass die Sache so wichtig geworden ist, dass es eines Amtes nicht bedarf.

Sie haben sich schon immer sozial engagiert. Ist das Ehrenamt in Deutschland unterentwickelt?

Das denke ich nicht. Es gibt außergewöhnlich viele Menschen, die sich neben ihrem Beruf um das Gemeinwohl kümmern. Was uns in Deutschland noch fehlt, ist eine Freiwilligenkultur wie es zum Beispiel in den USA gibt. Dort spricht man über seine guten Taten. Das müssen wir noch lernen.

Fehlt Ihnen heute etwas aus ihrem Leben als Frau des Bundespräsidenten?

Nein. Ich vermisse nichts. Ich habe diese Aufgabe gerne erfüllt, aber ich bin nicht von einem Amt abhängig. Die Dinge, für die ich mich früher schon interessiert habe, mache ich jetzt fokussierter und konzentrierter weiter.

Weil Sie mehr Zeit haben?

Es gibt neue Freiräume und mehr Möglichkeiten für Spontaneität. Aber es gibt natürlich weiter Anfragen für mich. Da muss ich aufpassen, dass ich meinen Terminkalender nicht wieder vollpacke. Dies ist auch ein Gewöhnungsprozess.

Haben Sie noch Kontakte zu den Bürgern, die Sie etwa auf den Reisen als Frau des Bundespräsidenten kennengelernt haben?

Natürlich. Da sind enge Kontakte entstanden. Ich nehme auch weiterhin öffentliche Termine wahr. Im März gehe ich beispielsweise zu einer Preisverleihung der Organisation „Herzenswünsche“. Ein Verein, der schwer kranken Kindern ihre größten Wünsche erfüllt, vom Besuch eines Fußballspiels bis zum Treffen mit einem Star. Das ist eine unheimlich tolle Sache. Von solchen Aktionen haben auch die kleinen Patienten von der Achse etwas.

Von Michael Bröcker