Erderwärmung zerstört ganze Landstriche

Wen die Wetterextreme aus der Heimat vertreiben, der flieht hier her: in einen der Slums von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. 
Foto: epd
Wen die Wetterextreme aus der Heimat vertreiben, der flieht hier her: in einen der Slums von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. Foto: epd

Wirbelstürme, Überschwemmungen, steigender Meeresspiegel – im bitterarmen Bangladesch zwingen Umweltveränderungen Millionen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Die ohnehin häufig auftretenden Wetterextreme werden durch die Erderwärmung verstärkt. Auch Muhammad Yusuf spürt die klimatischen Veränderung ganz deutlich.

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Dhaka – Einst hatte Muhammad Yusuf ein sicheres Einkommen: In Bhola, einer Insel im Ganges-Delta, war er Bauer, hatte vier Rinder und ein großes Haus am Fluss. Dann aber spülte Hochwasser seine Existenzgrundlage fort. Heute wohnt der 28-Jährige mit seiner Familie in einer Slum-Hütte in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, arbeitet auf dem Bau. Er verdient umgerechnet 70 Euro im Monat.

Wirbelstürme, Überschwemmungen, steigender Meeresspiegel – im bitterarmen Bangladesch zwingen Umweltveränderungen Millionen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Die ohnehin häufig auftretenden Wetterextreme werden durch die Erderwärmung verstärkt: „Der Klimawandel verschärft die Probleme, die das Land sowieso schon hat, in einer Art und Weise, dass sie untragbar sind“, sagt Cornelia Füllkrug-Weitzel vom evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“. Beim UN-Gipfel „Rio+20“ sollen diese Folgen der Umweltzerstörung für die Armen ein zentrales Thema sein.

Denn Yusufs Schicksal ist typisch. Nach einer Studie der Universität Dhaka verschlingen die zahlreichen Wasserläufe Bangladeschs die Unterkünfte von jährlich einer Million Menschen. Die Gletscherschmelze infolge des Klimawandels führt dazu, dass die Hochwasser-Pegel in der Monsun-Zeit höher geworden sind.

Wer sein Land verliert, gerät in höchste Not. Bangladesch ist extrem dicht besiedelt, jeder Quadratmeter vergeben: Rund 160 Millionen Menschen leben auf einer Fläche, die nur doppelt so groß ist wie Bayern. Für die meisten Migranten bleibt nur ein Zufluchtsort: die großen Städte, vor allem der stetig wachsende Moloch Dhaka. Männer, Frauen und Kinder leben in Siedlungen wie Malibagh, Yusufs Elendsviertel. Der Slum ist auf einem Wassergraben errichtet, der mit Müll aufgefüllt wurde. Auf die Dauer will Yusuf hier nicht bleiben. „Eines Tages will ich in meine Heimat zurückkehren“, sagt er.

Große Hoffnung dazu besteht nicht: Seine Heimat Bhola liegt weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel. Seit 1965 hat die Insel die Hälfte ihrer ursprünglichen Fläche verloren, weil das Wasser immer höher steigt. Eine Entwicklung, die nicht allein auf Klimawandel und Gletscherschmelze zurückzuführen ist: Die örtliche Plattentektonik bewirkt, dass die Region kontinuierlich absinkt. In der Folge gerät auch immer mehr Salzwasser in die Flussläufe, die Böden versalzen und tragen immer weniger Frucht, Trinkwasser wird knapp.

Im Kampf gegen das Vordringen des Wassers unterstützen Hilfswerke die Bevölkerung: Häuser werden auf erhöhte Sockel gebaut, um sie vor den Fluten zu schützen. Agrarexperten entwickeln salzresistente Reissorten und Aufbereitungsanlagen für Trinkwasser. In all diese Projekte fließen Gelder, die die internationale Gemeinschaft für die Anpassung an den Klimawandel zugesagt hat.

Für den Slum-Bewohner Muhammad Yusuf ist der Klimawandel kein Begriff. Er schüttelt den Kopf, wenn er danach gefragt wird. „Die Armen in Bangladesch wissen nichts von der Erderwärmung“, sagt Klimaforscher Atiq Rahman. „Sie fühlen nur: Irgendetwas verändert ihr Leben.“

Von Stefan Fuhr