Washington

El Kaida Einsatz vor Augen des Kabinetts: Protokoll eines tödlichen Kommandos

Ein Bild für die Geschichtsbücher: Im Weißen Haus werden unter anderem Barack Obama (2. von links) und Außenministerin Hillary Clinton über die Militäraktion informiert.
Ein Bild für die Geschichtsbücher: Im Weißen Haus werden unter anderem Barack Obama (2. von links) und Außenministerin Hillary Clinton über die Militäraktion informiert. Foto: Foto:White House

US-Präsident Barack Obama blickt mit versteinerter Miene auf einen Bildschirm. Sein Vize Joe Biden lässt die Perlen eines Rosenkranzes durch seine Finger gleiten. Ihm gegenüber sitzen Hillary Clinton und Robert Gates, die Außenministerin und der Verteidigungsminister. Hinterm hölzernen Konferenztisch stehen Generäle und höchstkarätige Präsidentenberater. Gebannt hört die Runde zu, wie CIA-Direktor Leon Panetta in Langley, auf der anderen Seite des Potomac-Flusses, jeden Schritt der Aktion gegen „Geronimo“ erläutert.

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Washington. US-Präsident Barack Obama blickt mit versteinerter Miene auf einen Bildschirm. Sein Vize Joe Biden lässt die Perlen eines Rosenkranzes durch seine Finger gleiten. Ihm gegenüber sitzen Hillary Clinton und Robert Gates, die Außenministerin und der Verteidigungsminister.

Hinterm hölzernen Konferenztisch des Lageraums stehen Generäle und Präsidentenberater, unter ihnen Mike Mullen, der Generalstabschef der Streitkräfte, Bill Daley, Obamas Cheforganisator, und James Clapper, der Koordinator der Geheimdienste. Allein die angespannten Gesichtszüge auf dem freigegebenen Foto sprechen Bände.

Es ist die Nachricht des Tages: Osama bin Laden is dead. Weltweit sorgt diese Schlagzeile für größte Aufmerksamkeit.

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US-Spezialeinheiten haben den meistgesuchten Mann der Welt bei einem Feuergefecht getötet.

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Seit Jahren hat das US-Militär den Terroristen gesucht, so wie bei diesem Einsatz im Jahr 2007 in Pakistan.

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Nun hat die USA ihren größten Feind gefunden, im pakistanischen Abbottabad nahe der Hauptstadt Islamabad.

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Seit den Anschlägen vom 9. September 2001 wurde Osama bin Laden weltweit gesucht.

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In diesem Wohnblock hat eine US-Spezialeinheit den Al-Kaida-Chef gefunden und bei einem Gefecht getötet.

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Nach Angaben von US-Präsident Barack Obama erhielt die US-Regierung im August 2010 erste Hinweise auf den Unterschlupf Bin Ladens. In der vergangenen Wochen habe er ausreichend Informationen gehabt und sich entschlossen zu handeln, sagte Obama. Die kleine US-Einheit habe in Pakistan nahe der Hauptstadt Islamabad zugeschlagen.

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Seit Jahren beschäftigte Al-Kaida-Chef Bin Laden die US-Regierung, vor allem Obama-Vorgänger George Bush stand unter dem Druck, Bin Laden aufzufinden.

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Die Jagd nach dem meistgesuchten Terroristen der Welt ist beendet. „Der Gerechtigkeit ist Genüge getan“, sagte US-Präsident Obama in einer ersten nächtlichen Ansprache.

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Der Kampf gegen den Terorismus ist nicht beendet, aber der Kopf der Al Kaida tot – diese Nachricht ging um die Welt.

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Bald wurden Bilder vom mutmaßlichen Toten veröffentlicht, deren Authentizität jedoch rasch angezwiefelt wurde.

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An den wichtigen Börsen der Welt sorgte die Nachricht jedoch – wie hier in Tokio – für sprunghafte Kursanstiege.

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Auf dem Times Square in New York starteten die Menschen mitten in der Nacht eine große Feier.

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So sehr die New Yorker unter dem Anschlag vom 9. September 2001 gelitten haben – so sehr feierten sie nun.

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Nahe des Ground Zero bildeten sich spontane Feste.

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Die Menschen reagierten fassungslos und voller Freude.

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Das als prüde verschrieene Amerika feierte sogar halbnackt vor dem Weißen Haus in Washington.

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Der Patriotismus blühte wieder einmal auf.

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Sogar der vermeintlich enorm unbeliebte Altpräsident George W. Bush kletterte auf der Beliebtheitsskala wieder nach oben.

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In New York feierte das Volk – vom Passanten bis zur Berufsfeuerwehr.

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In vielen Ländern der Welt wurde die Nachricht begeistert bis interessiert aufgenommen.

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Zugleich stiegen die Sicherheitsbedenken und die Furcht vor neuen Anschlägen der Al Kaida – am Flughafen von Manila auf den Philippinen wurden die Kontrollen verstärkt.

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In Pakistan wurden die Straßenkontrollen intensiviert.

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Wie die Al Kaida auf die Nachricht des Todes von Osama bin Laden reagiert, ist offen. Wie die Weltbevölkerung reagierte, ist offensichtlich.

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Der 54 Jahre alte Osama bin Laden ist tot.

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Gebannt hört die Runde zu, wie CIA-Direktor Leon Panetta in Langley, auf der anderen Seite des Potomac-Flusses, jeden Schritt der Aktion gegen „Geronimo“ erläutert. „Geronimo“ ist der Tarnname für Osama bin Laden. Welche Szenen genau über die Videowand flimmern, ob die Runde das Drama live aus der Perspektive eines Soldaten verfolgt – solche Details bleiben vorläufig geheim. Für jeden der Versammelten sei es einer der nervenaufreibendsten Abschnitte seines Lebens gewesen, erzählt John O. Brennan, Obamas Anti-Terror-Berater, später vor den versammelten Journalisten. „Die Minuten vergingen wie Tage.“

Am Dienstagabend schilderte das Weiße Haus die Operation in einer offiziellen Erklärung wie folgt:

„Auf Anordnung des Präsidenten griff ein kleines US-Team ein befestigtes Anwesen in einem reichen Vorort von Islamabad an, um Osama bin Laden gefangen zu nehmen oder zu töten ... Das Team sicherte systematisch das Anwesen, von Raum zu Raum, in einer Operation, die fast 40 Minuten dauerte. Sie (das Team) hatten es während der gesamten Operation mit Feuergefechten zu tun, und Osama bin Laden wurde von den Angriffskräften getötet.

Neben der Bin-Laden-Familie wohnten zwei weitere Familien auf dem Anwesen, eine Familie im Erdgeschoss des Bin-Laden-Wohnhauses und eine Familie in einem zweiten Gebäude. Ein Team begann die Operation im Erdgeschoss des Bin-Laden-Hauses und arbeitete sich hinauf in den zweiten Stock. Ein zweites Team sicherte das zweite Gebäude. Im Erdgeschoss des Bin-Laden-Hauses wurden zwei El-Kaida-Kuriere und eine Frau getötet, die ins Kreuzfeuer geriet. Bin Laden und seine Familie wurden im ersten und zweiten Stock des Gebäudes gefunden. Es gab die Besorgnis, dass er sich der Gefangennahme widersetzen würde, und tatsächlich, er widersetzte sich. Im Raum mit Bin Laden rammte eine Frau, Bin Ladens Ehefrau, den US-Angreifer und wurde ins Bein geschossen, aber nicht getötet. Dann wurde Bin Laden beschossen und getötet. Er war nicht bewaffnet...“

Ein Foto des bärtigen, offenbar blutverschmierten Toten, von einem der Navy Seals aufgenommen, wird mit einer elektronischen Datendatei abgeglichen. Danach steht zu 95 Prozent fest, dass es sich um Bin Laden handelt. Einer der vier Hubschrauber wird gesprengt, nachdem klar ist, dass er nicht mehr abheben kann. Die drei anderen fliegen zum Flugzeugträger „USS Carl Vinson“. Dort wird Bin Ladens Körper gewaschen und in ein weißes Tuch gehüllt. Ein Geistlicher predigt, ein Übersetzer wiederholt seine Worte auf Arabisch. Mit Gewichten beschwert, sinkt der Leichnam auf den Meeresgrund, insgesamt dauert das Ritual 50 Minuten.

Kein Ort für Begräbnis?

Gleichwohl machen Gerüchte die Runde, wonach die sterblichen Überreste ursprünglich nach Saudi- Arabien überführt werden sollten, das saudische Königshaus dies aber abgelehnt habe. Man habe keinen geeigneten Ort für ein Begräbnis zu Lande gefunden, zieht sich Brennan aus der Affäre. Jedenfalls keinen, wo man Bin Laden binnen 24 Stunden beisetzen konnte, wie es islamischen Vorschriften entspreche.

Einsatz wurde im Kabinett zuvor kontrovers diskutiert

Umso ausführlicher schildern Obamas Vertraute den kniffligen Entscheidungsprozess, der dem nächtlichen Drama vorausgegangen war. Demnach kannte die CIA seit 2005 den Kampfnamen des Kuriers, auf den sich Bin Laden verließ. 2007 entschlüsselte sie seinen Familiennamen. Im Juli kamen pakistanische Agenten der CIA dem Boten auf die Spur, als er in der Nähe von Peschawar in einem weißen Suzuki unterwegs war. Von dort führte der Weg nach Abbottabad. Als der Geheimdienst Erfolg meldete, begann in Obamas Kabinett eine Debatte, die Brennan als „absolut“ kontrovers charakterisiert. Pentagon-Chef Gates soll stattdessen einen Bombenangriff vorgeschlagen haben. Fatale Fehlschläge nährten Obamas Skepsis, missglückte Missionen 1993 in Somalia ebenso wie das Fiasko im Iran, wo Jimmy Carter 1980 US-Geiseln befreien wollte und ein plötzlicher Wüstensturm das Unterfangen kläglich scheitern ließ.

Brennan: Eine der mutigsten Entscheidungen eines US-Präsidenten

Obama entscheidet sich nach reiflicher Überlegung für die riskante Variante: Hätten Bomben die Villa in Schutt und Asche gelegt, hätte man nicht gewusst, ob Bin Laden tatsächlich getötet wurde. Seine Leiche hätte vielleicht nicht klar identifiziert werden können. Es war, sagt Brennan, eine der mutigsten Entscheidungen, die ein US-Präsident in jüngster Zeit zu treffen hatte.

Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann