New York

Der rätselhafte Sachse: In den USA ist Karl May unbekannt

Karl May.
Karl May. Foto: dpa

Die Amerikaner staunten, als sie in Quentin Tarantinos gefeierter Kriegsgroteske „Inglourious Basterds“ saßen. Da fachsimpelte eine Gruppe deutscher Soldaten über einen Amerikaner, den sie selbst gar nicht kannten. Wer war dieser Winnetou? Und wer zum Teufel ist Karl May?

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Die Antwort: Einer der erfolgreichsten Westernschriftsteller der Welt, den ausgerechnet in dem Land, in dem seine populärsten Geschichten spielen, fast keiner kennt. „Als ich als junge Doktorandin das erste Mal in Deutschland war und sagte, dass ich aus Lubbock komme, kannte das kein Mensch“, sagt die Texanerin Meredith McClain. „Normalerweise denkt jeder an Buddy Holly, der in Lubbock geboren wurde. Aber damals in Bonn: Nichts! Als ich im Nebensatz erwähnte, dass das im Llano Estacado liege, waren alle Deutschen sofort hellwach. Und ich hatte keine Ahnung, warum.“ Denn McClain wusste nicht, dass die Landschaft der Schauplatz vieler Indianergeschichten Karl Mays war. „Und jeder damals kannte den Llano Estacado – nur ich Karl May nicht.“

Seitdem ist die Germanistik-Professorin fasziniert von dem Sachsen und fragt sich, warum die Deutschen ihn verehren und die Amerikaner ihn kaum kennen. Ein Grund: „Old Shatterhand ist ein sehr deutscher Held, von dem auch immer wieder das Deutsche betont wird. Vielleicht wollen die Amerikaner in ihrem Land einfach ihren eigenen Helden.“ Hinzu komme, dass sich das Indianerbild verändert habe: „Aus heutiger Sicht sind Mays Geschichten einfach ein bisschen angestaubt.“

„Die Amerikaner haben ihre eigene Westernmythologie. Die brauchen das nicht von einem Europäer, der sich das aus zweiter Hand zusammenfantasiert hat“, sagt auch Helmut Schmiedt. Der Literaturwissenschaftler ist so etwas wie der deutsche Karl-May-Papst und hat gerade eine Biografie über den Sachsen geschrieben, will ihn aber ganz nüchtern sehen: „Er hat ordentlich recherchiert, aber das Material dann doch etwas frei verwendet.“ Und eben sehr aus seiner Sicht erzählt: „Die Geschichten sind schon sehr deutsch. Kein Wunder, dass bei einem Amerikaner das nicht sofort verfängt.“

Für einen Kalifornier oder Texaner fehlt den Geschichten eben auch der exotische Reiz, den sie für einen Sachsen oder Bayern haben mochten, meint auch Herbert Windolf. Der Auswanderer, 1936 in Wiesbaden geboren, hat zwölf Romane und Kurzgeschichten von May übersetzt. „Aber die Zeit der Western ist in den USA einfach seit einem halben Jahrhundert vorbei.“ Zudem spreche Mays Beschreibung des Westens die Amerikaner nicht so recht an: „Da gab es einheimische Schriftsteller, die das viel besser konnten.“ Und May habe zwar die Indianer fair geschildert, „wenn es um Latinos oder Chinesen ging, war er aber doch sehr, na sagen wir mal, ein Kind seiner Zeit“.

Die US-Berichte über May sind laut Windolf rar. „Und natürlich fehlt nie der Hinweis, dass Hitler ihn gern gelesen hat“, sagt der Deutschamerikaner mit einem leichten Stöhnen. Dabei hätten doch auch Albert Schweitzer und Albert Einstein den Sachsen verehrt. Und Regisseur Tarantino liebt die Filme, die er sich als Videokassetten besorgt hat. Also doch ein Amerikaner, der auf Winnetou steht.