Contra: Es gab bereits genug Reformen!

Dr. Theodor Enders, Professor für Wirtschafts- und Arbeitsrechtrecht an der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena.
 
Dr. Theodor Enders, Professor für Wirtschafts- und Arbeitsrechtrecht an der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena.   Foto: DPA

Als ich vor mehr als 25 Jahren zusammen mit einigen Musikern die Musiker-Initiative Music Live e.V. gegründet habe, hätte ich mir nicht vorstellen können, wie wenig Respekt dem kreativen Schaffen der Musiker im Internet entgegengebracht wird. Für viele Internetnutzer ist das Internet ein rechtsfreier Raum, in dem derjenige, der kostenpflichtige Inhalte anbietet, als „Ausbeuter“ angesehen wird.

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Woher kommt das? Jeder, der ein Buch, eine Zeitung oder ähnliche körperliche Gegenstände erwirbt, ist ohne Weiteres bereit, dafür etwas zu bezahlen. Das gilt sogar für die doch recht hohen Preise von Livekonzerten wie etwa Rock am Ring. Für nicht greifbare Produkte wie Video- und Musikaufnahmen scheinen Wertkriterien nur sehr bedingt eine Rolle zu spielen. Wenn man eine Kopie ohne großen Aufwand erstellen kann, dann sieht der Nutzer nicht den Wert der Arbeit als solchen.

Dabei leuchtet doch jedem ein, dass Filmproduktionen und Musikvideos, aber auch aufwendige Musikaufnahmen in Studios erhebliche Kosten verursachen. Es darf dabei nicht unerwähnt bleiben, dass durch das illegale Kopieren von Dateien ein erheblicher Schaden für die Volkswirtschaft entsteht. Nach einer aktuellen Studie entgingen der Kreativwirtschaft der Europäischen Union (EU) allein im Jahr 2008 aufgrund physischer und digitaler Piraterie Einzelhandelsumsätze in Höhe von 10 Milliarden Euro. Zudem sind durch dieses Piraterieverhalten etwa 185 000 Arbeitsplätze verloren gegangen.

Aber allein diese ökonomischen Überlegungen sind nicht entscheidend. Vielmehr geht es um die tatsächliche Anerkennung der Kreativen, auf die in jüngster Zeit der Musiker (Element of Crime) und Buchautor („Herr Lehmann“) Sven Regener in einem Interview („Wutrede“ im Bayerischen Rundfunk) ganz zu Recht hingewiesen hat.

Fragt man dagegen besorgte Eltern, deren Kinder massenhaft illegale Dateien herunterladen, so gehen diesen die Rechte der Urheber und vor allem der sogenannten Verwerter wie etwa Verlage und Verwertungsgesellschaften (zum Beispiel der Gema für den Bereich der Musik) viel zu weit. Dabei ist es doch ganz einfach: Wenn ein Jugendlicher Ware aus einem Kaufhaus stiehlt, dann muss er mit Strafen rechnen. Warum sollte das beim geistigen Diebstahl im Internet anders sein?

Vom Filesharing, also dem direkten Verteilen von Dateien zwischen unterschiedlichen Nutzern, profitieren vor allem die großen Internet-Provider wie etwa Google. Diese Anbieter verdienen durch Werbeeinnahmen in erheblichem Umfang, ohne dass die Urheber irgendetwas abbekommen. Zu Recht setzt sich die Gema gegen solche Praktiken etwa beim Internet-Videoportal YouTube zur Wehr und verlangt eine angemessene Vergütung pro Click. Denn das Internet ist kein rechtsfreier Raum.

Der Ruf nach Reformen ist nur dann sinnvoll, wenn man die bestehende Gesetzeslage berücksichtigt. Schon im Jahre 2001 wurde aufgrund der EU-Informationsrichtlinie das deutsche Urheberrechtsgesetz (UrhG) gleich zweimal – zuletzt im Jahre 2008 – reformiert („erster und zweiter Urheberrechtskorb“). Diese Änderungen im Gesamtsystem des Urheberrechts sollte man einmal näher unter die Lupe nehmen. Geht es um die Frage der Reform des Urheberrechts, sind in erster Linie deren Schranken angesprochen. Während das Recht an der Kopie als das „Königsrecht“ des Urhebers bezeichnet wird (Paragraf 16 UrhG), kann sich der Nutzer auf die „Privatkopierfreiheit“ (Paragraf 53 Abs. 1 UrhG) berufen.

Jeder darf also für private Zwecke (maximal sieben) Kopien fertigen. Allerdings ist die Grenze dort erreicht, wo die Kopie von einer offensichtlich illegalen Quelle stammt. Ebenfalls nicht abgedeckt sind die Kopiervorgänge im Rahmen des Filesharing, weil damit regelmäßig auch Dateien hochgeladen und öffentlich zugänglich gemacht werden (Paragraf 19a UrhG).

Bei der jüngsten Entwicklung des Live-Streaming über sogenannte Cloud-Anbieter, bei denen die Speicherung von Dateien extern auf verschiedenen Servern, die als Cloud bezeichnet werden, erfolgt, wird aufseiten des Nutzers keine Kopie mehr angefertigt. Vielmehr sind die Vorgänge auf Nutzerseite durch die Schrankenregelung des Paragrafen 44a UrhG erfasst, die eine kurzzeitige Vervielfältigung ausdrücklich erlaubt, womit wesentliche Streitfragen inzwischen als überholt anzusehen sind.

Gerade im Zusammenhang mit Tauschbörsen stellt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit der Anschlussinhaber. Hierzu hat sich in jüngerer Zeit das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 21. März 2012, 1 BvR 2365/11) geäußert und grundsätzlichen Klärungsbedarf im Hinblick auf Prüfungs- und Instruktionspflichten von Anschlussinhabern für den Fall angenommen, dass diese ihren Internetzugang Dritten – etwa Familienangehörigen – zur Verfügung stellen. Damit sind die Rechte der Eltern, die bisher oftmals als Störer angesehen und von den Rechtsinhabern in Anspruch genommen wurden, gestärkt.

Gesetzgeber und Rechtsprechung haben auch weiterhin die Aufgabe, einzelnen Fehlentwicklungen kritisch entgegenzutreten. Es gibt aber keinen Grund, das Urheberrecht selbst infrage zu stellen. Vielmehr sollte der Urheber wieder eine echte Wertschätzung erfahren.

Von Prof. Dr. Theodor Enders