Brust- und Darmkrebs können auch in den Genen liegen

Koblenz/München – Besonders Darm- und Brustkrebs können genetisch bedingt sein. Doch noch immer ist dies vielen Patienten nicht bekannt. Daher empfiehlt Dr. Teresa Neuhann vom Medizinisch-Genetischen Zentrum in München im Interview mit unserer Zeitung, hellhörig zu werden, wenn es in der Familie frühe Krebsfälle gegeben hat. Familienmitglieder sollten sich dann genetisch beraten lassen.

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Koblenz/München – Besonders Darm- und Brustkrebs können genetisch bedingt sein. Doch noch immer ist dies vielen Patienten nicht bekannt. Daher empfiehlt Dr. Teresa Neuhann vom Medizinisch-Genetischen Zentrum in München im Interview mit unserer Zeitung, hellhörig zu werden, wenn es in der Familie frühe Krebsfälle gegeben hat. Familienmitglieder sollten sich dann genetisch beraten lassen.

In welchem Maße ist Krebs erblich?

Die meisten Krebserkrankungen sind sporadisch, also nicht erblich. Aber gerade bei häufigen Tumoren wie Darm- und Brustkrebs gibt es den familiären Krebs. Jede achte bis zehnte Frau erkrankt an Brustkrebs. Darunter sind 5 bis 10 Prozent Fälle, bei denen ein Gendefekt vorliegt. Beim Darmkrebs ist einer von 35 Fällen auf eine familiäre Krebsprädisposition zurückzuführen. Das ist also nichts Seltenes.

Es gibt aber auch Tumore, bei denen dies nicht so häufig ist?

Genau. Ein Beispiel ist der Lungenkrebs, der primär auf äußere Faktoren zurückzuführen ist. Es gibt hier fast nie einen ursächlichen Gendefekt, der diesen Krebs auslösen kann.

Wie vererbt sich Krebs?

Wenn man von familiären Tumorerkrankungen spricht, ist es in der Regel ein Gen, das defekt ist. Dadurch hat man ein deutlich erhöhtes Risiko. Dies liegt meist nicht bei 100, aber doch zum Teil bei bis zu 80 Prozent, und zwar über das gesamte Leben hinweg. Wenn ein Elternteil betroffen ist, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 50 Prozent, dass man diesen Gendefekt geerbt hat.

Es gibt also ein Gen für Brust- und Darmkrebs?

Ja. Es ist lokalisierbar. Die bekanntesten Gene sind BRCA1 und BRCA2. Frauen, die Mutationen in einem dieser Gene aufweisen, haben ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs und auch für Eierstockkrebs – hier liegt das Risiko bei bis zu 40 Prozent, dass sich auch dieser Krebs ausbildet. Deshalb ist es so wichtig, den Gendefekt frühzeitig zu erkennen. Beim Darmkrebs ist insbesondere das Lynch-Syndrom zu nennen. Dabei handelt es sich um vier ursächliche Gene. Das Risiko, einen Tumor zu entwickeln, beträgt bis zu 70 bis 80 Prozent, wenn man diesen Gendefekt hat.

Wodurch wird dieser Gendefekt ausgelöst? Möglicherweise auch durch eine Strahlentherapie?

Dadurch können zwar genetische Defekte ausgelöst werden. Bei den familiären Tumorerkrankungen ist dies aber nicht die Ursache. Hier liegt der Gendefekt bereits von der ersten Embryonalzelle an vor und damit auch in jeder Körperzelle. Genauso ist es bei dem Elternteil, von dem man es geerbt hat. Das heißt, dass der genetische Defekt schon vor Generationen entstanden ist.

Der Gendefekt lässt sich also schon bei Kindern diagnostizieren?

Ja. Rein technisch könnte man dies sogar pränatal diagnostizieren. Das Gendiagnostikgesetz verbietet dies aber. Das ist auch gut, weil die Tumorrisiken eigentlich nie vor dem Erwachsenenalter steigen. Beim familiär bedingten Brust- und Darmkrebs beginnt die Vorsorge erst ab dem 25. Lebensjahr. Die Vermutung, dass ein Gendefekt vorliegt, liegt nahe, wenn in der Familie schon zwei bis drei Darm- oder Brustkrebsfälle aufgetreten sind. Es gibt allerdings auch sehr seltene genetische Tumorerkrankungen, die sich schon im Kindesalter entwickeln können. Nur bei diesen ist es erlaubt, einen Test vor dem 18. Lebensjahr zu machen. Das gilt etwa für die familiäre adenomatöse Polyposis, bei der zahlreiche, typischerweise mehr als 100 Polypen im Dickdarm auftreten. Diese Patienten haben ein hohes Risiko, an Darmkrebs zu erkranken.

Ein familiär bedingter Krebs kann also auch früher ausbrechen?

Ja. Ein solcher Tumor kann schneller wachsen. Meist gilt: Wenn mehrere Familienmitglieder einen solchen Tumor hatten und er früh ausgebrochen ist, dann ist dies ein Hinweis auf einen familiär bedingten Krebs. Darm- und Brustkrebs sind häufige Tumorerkrankungen, aber sie treten meist nicht vor dem 50. Lebensjahr auf. Beim Darmkrebs sagt man daher, dass bereits ein einziger früherer Fall Anlass sein sollte, um genauer in die Familie hineinzuschauen. Dann sollte der Patient zu einer genetischen Beratung gehen.

Wie unterscheidet sich die Vorsorge von der bei anderen Krebsarten?

Es gibt spezielle, jährliche Vorsorgeintervalle. Und bei Brust- und Darmkrebs gibt es assoziierte Tumorrisiken. Das heißt: Beim familiär bedingten Brustkrebs kann man zusätzlich noch ein erhöhtes Risiko haben, Eierstockkrebs zu bekommen. Deshalb ist eine zusätzliche Vorsorge nötig. Das gilt auch für den genetisch bedingten Darmkrebs, der oft das Risiko des Gebärmutterkrebses birgt. Außerdem besteht etwa die Gefahr, dass sich ein Magenkarzinom bildet. Deshalb müssen diese Patienten jährlich zur Darm- und zusätzlich zur Magenspiegelung. Frauen brauchen zudem einen gynäkologischen Ultraschall.

Ist die Vorsorge bei genetisch bedingten Tumoren ausreichend?

Die Notwendigkeit der Vorsorge wird immer bekannter. Es gibt aber immer noch genügend familiär bedingte Tumore, die als solche nicht erkannt werden, sondern als sporadisch gelten. Wenn diese besser erkannt würden, könnte man das Risiko für die Familie deutlich senken. Deshalb sollte man hellhörig werden, wenn in der Familie Brust- oder Darmkrebs früh aufgetreten ist. Beim Brustkrebs werden viele Patientinnen selbst aktiv und lassen die Familie untersuchen; beim Darmkrebs ist dies seltener der Fall, weil noch nicht genügend Menschen wissen, dass er familiär bedingt sein kann. Man sollte wissen: Wenn ein Gendefekt vorliegt, heißt dies nicht zwangsläufig, dass auch ein Tumor entsteht. Selbst wenn der Krebs ausbricht, hat man mit der Früherkennung gute Möglichkeiten, diesen in den Griff zu bekommen.

Das Gespräch führte Christian Kunst