Sorgenlos in Puerto Rico

Kaum einen Schritt aus dem Flughafengebäude, umschließt sie mich wie eine Glocke – die schwüle Hitze Puerto Ricos hält sich bis in den Abend hinein und verschlingt jeden, der sich hinaus wagt. Aus dem Radio des Taxifahrers schallt Reggae, und als wir das nächtliche San Juan erreichen, scheint die ganze Insel auf den Beinen.

Lesezeit: 6 Minuten
Anzeige

Von unserer Reporterin Mirjam Moll

Die Straßenränder säumen rollbare Fastfood-Buden und Minikiosks, es duftet nach frittierten Churros, nach süßer Sünde. Nebenan dreht eine Eismaschine einen vorgemixten Pina Colada vor sich hin. An einem kleinen Platz nahe des Hafens, an dem fast täglich riesige Kreuzfahrtschiffe anlegen, haben sich ältere Damen und Herren in teils erstaunlich hippen Klamotten mit Campingstühlen zusammengefunden, in ihren Händen Rasseln und Trommeln. In ihrer Mitte spielt eine kleine Band, begleitet von den Zuschauern, zu denen sich immer neue gesellen. Ein einzelner Mann tanzt ausgelassen vor der Band hin und her, in seinem Gesicht ein seliges Lächeln. Weiter hinten im Schummerlicht tanzt eine ältere Dame, die ihre raspelkurzen Kraushaare im Leopardenmuster gefärbt hat.

Nur zwei Straßenzüge weiter erwacht das Nachtleben gerade erst – aus einer dunklen Bar in einer kleinen unscheinbaren Gasse schallt Salsa. Vor der Tür lungert ein junger Mann, der Eintritt kassiert und den Gästen als Stempelersatz einen Smiley in die Daumenbeuge malt. Drinnen spielt eine Liveband, auf der winzigen schwarz-weiß gekachelten Tanzfläche tummeln sich Paare, die in atemberaubendem Tempo die kompliziertesten Salsafiguren mühelos und mit einer solchen Grazie aufs Parkett legen, dass einem nur vom Zusehen schwindlig wird.

Weiter den Hügel hinauf, in der Calle de San Sebastian, reiht sich eine Bar an die andere. In der Fattoria, einem von außen schäbigen alten Haus, werden Cocktails serviert, die das hässliche Äußere in puerto-ricanischen Charme verwandeln. Nebenan dröhnt ein Gemisch aus US-amerikanischem Pop und lateinamerikanischer Salsa – auf dem Balkon drängen sich Anfangzwanziger mit Drinks.

So lebendig die Stadt in der Nacht erscheint, so still ist es in den frühen Morgenstunden. Ein paar einzelne Straßenfeger kehren lose Blätter zusammen, Katzen streunen umher, erobern das noch schlafende San Juan. Die aufgehende Sonne taucht die einstige Trutzburg des von Christopher Columbus „entdeckten“ Landes, die Festung San Felipe del Morro, in ein goldenes Licht. Wegen des Goldes, das die Ureinwohner den Fremden aus Europa anboten, erhielt Puerto Rico – also „reicher Hafen“ – seinen heutigen Namen. Heute dient die Szenerie als Filmkulisse für die Reihe „Pirates of the Carribean“.

Die bunten Häuser in den mit einer speziellen Eisen-Stein-Mischung gepflasterten Straßen gehen inzwischen für Millionenbeträge weg. Vor allem US-Amerikaner kommen gern in das Außengebiet der Staaten, das einen Sonderstatus als nicht inkorporiertes Land genießt und bis auf die Außenpolitik, die Washington übernimmt, weitestgehend autonom agieren kann.

Mirjam Moll

Mirjam Moll

Mirjam Moll

Mirjam Moll

Emanuel Reyes Ruiz ist ein preisgekrönter Sangria-Produzent.

Mirjam Moll

Mirjam Moll

Doch die Schuldenkrise hat das Land immer weiter in die Enge getrieben. Mehr als 70 Milliarden Dollar schuldet die Regierung derzeit seinen Gläubigern.

Für die Museen und Kunstszene des Landes bedeutet dies eine radikale Kürzung der Mittel. Dabei bieten Stadtviertel wie Santurce viel zu sehen – auch außerhalb des Museums für zeitgenössische Kunst. Schräg gegenüber steht ein altes Metro-Kino, nur wenige Straßenzüge weiter haben Straßenkünstler die Hauswände für sich erobert. Da wird aus einem heruntergekommenen Sportplatz mit rostigem Zaun eine Traumwelt, erhellt von Bildern, die sich kaum beschreiben lassen, seinen Betrachter aber in eine andere Welt entführen.

Rund San Juan gibt es mehrere solcher Barrios – Viertel, in denen einfache Menschen leben. Viertel, in denen man alles beim kleinen Kiosk um die Ecke kauft. Und mittags in der Casita Blanca bei Laura einkehrt. Seit 25 Jahren führt sie ihr kleines Resto, erfüllt von Nostalgie, alten Sesseln und viel puerto-ricanischer Seele, die man nicht nur in Lauras Essen schmeckt. Verändert habe sich in ihrem Barrio kaum etwas, meint die resolute Afro-Puerto-Ricanerin. Und Krisen, ja, die habe es immer schon gegeben. Jede neue Regierung hat neue Kredite aufgenommen, das Land weiter auf Pump durchgebracht. Bis Ratingagenturen wie Standard & Poor's oder Moody’s der Regierung einen Strich unter die Rechnung machten. Aus ihrer Sicht ist das Land längst pleite.

Bereits vor dem Jahreswechsel hatte Gouverneur Alejandro García Padilla angekündigt, dass Puerto Rico ausstehende Rückzahlungen nicht werde bedienen können. Die Wirtschaftskrise hat den Inselstaat schwer gezeichnet. Doch wegen seines Sonderstatus kann sich das Land nicht bankrott melden. Nun hat die US-Regierung in Washington durchgesetzt, dass ein Aufsichtsgremium notwendige Reformen in Puerto Rico vorantreibt und die Schulden Stück für Stück umstrukturiert.

Als Steueroase für US-amerikanische Unternehmen aus der Pharma- und Medizintechnikindustrie, von denen sich die Regierung Jobs für ihre Landsleute erhofft, fließt nur wenig in die Staatskasse in San Juan. Während die großen Konzerne wie Johnson & Johnson hier jedoch weiter Gewinne scheffeln – etwa 8 Prozent der weltweiten Pharmaindustrie produziert in Puerto Rico -, erlebte das Land eine regelrechte Landflucht. Vor allem junge Menschen zieht es in die Staaten – raus aus dem geografisch so vielseitigen Land.

Allein der mehr als 100 Quadratkilometer große El Yunque Regenwald erscheint endlos, wenn man vom gleichnamigen Berg über die Baumwipfel hinwegblickt. Weiter westlich breitet sich hingegen eine Art savannenartiger Steppe aus, während sich wenige Hundert Kilometer weiter östlich sattgrüne Berge erheben. An der Südwestküste locken Traumstrände und versteckte Buchten. Und dennoch: Einst zählte die puerto-ricanische Bevölkerung mehr als vier Millionen. Inzwischen leben nur noch 3,5 Millionen Menschen auf dem knapp 9000 Quadratkilometer kleinen Inselstaat. Allein im vergangenen Jahr haben 200 000 Puerto-Ricaner ihrer Heimat den Rücken gekehrt.

Doch einige kommen auch zurück. Wie Alexandra. Die 28-Jährige versuchte, ein neues Leben in New York zu beginnen. Statt einer Chance erlebte sie Rassismus. Und beschloss, wieder auf den Inselstaat zurückzukehren, wo sie heute in der Hacienda Buena Vista in einem Naturschutzgebiet unweit von Ponce an der Südküste des Landes als Ökolandwirtin arbeitet. Früher schufteten dort Sklaven, heute verbringt ein alter Esel seinen Lebensabend in dem Stall neben dem altehrwürdigen Haupthaus, über den Hof watschelt eine Entenfamilie – ein Idyll, das im Kontrast zur grausamen Vergangenheit dieses Ortes steht. Hinter den Wirtschaftsgebäuden schmiegt sich ein kleiner Pfad durch einen Teil der geschützten Wälder, in denen Kakao, Kaffee und Mangos wachsen. Ein nahegelegener Wasserfall treibt mittels eines Kanalsystems die hofeigene Mühle an und sorgt für Strom. Für Alexandra ist es ein Idyll, das sie nicht wieder aufgeben möchte. Die Landflucht ihrer Altersgenossen versteht sie nicht: „Wenn man hier in Puerto Rico einen Job finden will, muss man sich eben bewegen“, findet die charmante dunkelhaarige Frau mit den wachen braunen Augen. Zu viele ihrer Landsleute blieben „einfach auf ihrem Hintern sitzen“, sagt sie und lacht.

Wer nicht als Touristenführer arbeitet, versucht sich in Puerto Rico oft als Selfmade-Man: so wie José Mojica. Bereits in seiner Jugend begann er zu kochen, heute besitzt der 35-Jährige zwei gut gehende Geschäfte in Ponce und ein eigenes Haus. Wie viele seiner Landesgenossen ist er stolz auf Puerto Rico: Sein Land stehe für Kultur und gutes Essen – aber eben auch für Natur und viel Raum statt großer Bürokomplexe und Betonwüsten. Dabei sind fast so viele Fahrzeuge in Puerto Rico gemeldet wie Einwohner. Auf den Autobahnen rund um San Juan gibt es zur Rushhour kein Durchkommen. Das Umweltbewusstsein der Puerto-Ricaner lässt jede Initiative für weniger Müll wie einen Witz erscheinen. Plastikbecher statt Gläsern, Dosen statt recycelbarer Flaschen, Servietten als Untersetzter – der Wegwerfwahn kann auf Europäer schon befremdlich wirken. Dennoch wird im Inselstaat penibel auf Sauberkeit geachtet, der Müll entsorgt. Wohin aber mit all dem Abfall? In der Umgebung von San Juan hat man eine kreative Lösung für das Problem gefunden. Der Golfplatz der Stadt, das San Juan Golf Practice Center, war einmal eine Müllhalde. Sie wurde aufgeschüttet und begrünt.

Die finanzielle Krise berührt kaum jemanden. Irgendwie ist es bisher immer weitergegangen, heißt es dann achselzuckend. Der allgemeine Tenor: „Das ist eine Regierungssache. Die haben ein Problem, nicht wir“, meint Koch José. Sorgen machen sollen sich andere. Am Strand von Cabo Rojo im Westen der Insel, im warmen Wasser der Karibik, fällt dieser Gedanke nicht schwer. Jenseits der Dünen liegen Salzwasserfelder, im Licht der Sonne schimmern sie rötlich. Wenn die Sonne untergeht, eröffnet sich hier das ganze Universum. Im Dunkeln der Nacht erstrahlt ein Sternenhimmel, der sich im Endlosen verliert.

Mit dem öffnen des externen Inhaltes erklären Sie sich einverstanden, dass Ihre Daten an Google übermittelt werden und Sie die Datenschutzerklärung gelesen haben.
Wissenswertes für Reisende

Anreise:
Mit Condor Direktflug von Frankfurt nach San Juan, alternativ mit Air Tanzania

Beste Reisezeit:
ganzjährig tropisch warmes Klima

Eintrittspreise:
Erwachsene zahlen 5 Euro, in einer Gruppe bis zu zehn Personen 4 Euro. Ein Ticket für Kinder zwischen 6 und 14 Jahren kostet 2,50 Euro, Kinder bis 5 Jahre haben freien Eintritt.

Unsere fünf Ausflugtipps:
Orocovis: Zip Lining auf der längsten Seilrutsche der Welt im Toro Verde Nature Adventure Park
San Juan: Essen im Budatai – mehr als nur Sushi
Isla de Culebra: Sonnenbaden am Flamenco Beach, einem der schönsten Strände der Welt
San Juan: Segeltour im Abendrot entlang der Festung San Felipe del Morro
El Yunque: Wandern im einzigen Regenwald auf US-Gebiet

Gastronomie:
Verweilen können Gäste im Burgrestaurant „Der Landgraf“. Die Gaststätte bietet auf ihrer Welterbeterrasse einen wunderbaren Blick über das Mittelrheintal.

Geheimtipp:
Die Burg Rheinfels wird in erster Linie individuell mithilfe eines Burgplanes erkundet. Für Kinder sind verschiedene Rätselspiele vorbereitet.

Unsere Autorin ist mit Delta gereist und hat im Casablanca Hotel in Old San Juan übernachtet.
Diese Reise wurde unterstützt von Puerto Rico Tourism