Noch glänzt Havannas alter Charme

Ein nicht staatlicher Taxifahrer erhofft sich vor der Aussichtsplattform an der Festung Havannas, der Fortaleza de San Carlos de la Cabaña, gut zahlende Kundschaft. Für 35 Cuc, was in etwa dem gleichen Wert in Euro entspricht, gibt es eine einstündige Rundfahrt durch die Stadt im rosa Schlitten.
Ein nicht staatlicher Taxifahrer erhofft sich vor der Aussichtsplattform an der Festung Havannas, der Fortaleza de San Carlos de la Cabaña, gut zahlende Kundschaft. Für 35 Cuc, was in etwa dem gleichen Wert in Euro entspricht, gibt es eine einstündige Rundfahrt durch die Stadt im rosa Schlitten. Foto: Mirjam Moll

Schon zwei Stunden vor der geplanten Anlegezeit ist er in Sicht: Havanna – dieser magische Ort, der im fernen Europa mit Fotokalendern von Oldtimern romantisiert wird. Ein Platz, der den Widerstand eines Landes versinnbildlicht, der Jahrzehnte überdauerte.

Lesezeit: 7 Minuten
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Von unserer Mitarbeiterin Mirjam Moll

Jetzt, wo sich Kuba langsam öffnet, wollen viele dorthin reisen. Um den alten Charme, das abgewetzt schöne Antlitz dieser Stadt in sich aufzunehmen, bevor sie verschwinden.

Als das Kreuzfahrtschiff in die schmale Bucht einfährt, wird deutlich, warum auf der Strecke zwischen Jamaika und Kuba nur die kleine Schiffsklasse der Flotte unterwegs ist. Die „MSC Opera“ scheint gerade so durch den schmalen Zugangskanal zu passen. Gerade einmal 2000 Passagiere passen auf das Schiff, wenn alle Kabinen voll belegt sind. Doch als der 65 Tonnen schwere Koloss sich in die kleine Anlegestelle kurbelt, überragt er die Uferstraße Havannas. Viele Menschen an der Uferpromenade bleiben stehen, machen Fotos von dem Spektakel, das sich ihnen da bietet. Jeweils für zweieinhalb Tage liegt die „Opera“ am einzigen renovierten Terminal der Stadt.

Die Passkontrollen im Hafen verlaufen zäh, die Beamten studieren lange und eingehend unsere Pässe mit dem Visum. Die jungen Damen der Sicherheitskontrolle mustern uns misstrauisch. Ihre beigen Uniformen mit Ministiftröcken haben sie allesamt mit auffällig gemusterten schwarzen Strumpfhosen aufgemotzt. Wir dürfen passieren.

Hinter dem Torbogen des Hafengebäudes braust der Verkehr – die acht Kilometer lange Hafenstraße ist wie eine Schlagader dieser pulsierenden Stadt. Wer kaufen will, der braucht Geld – logisch -, doch schon der Versuch, in einem Hotel Euro in die kubanische Touristenwährung Cuc (kubanischer umwandelbarer Peso) zu wechseln, misslingt. Banken haben nur bis fünf Uhr nachmittags auf. Als wir endlich einen Automaten finden, akzeptiert er unsere Kreditkarten nicht. Mittellos in Kuba – es hat etwas ungewollt Ironisches in diesem Land, in dem Geld lange Zeit keine Bedeutung hatte – oder zumindest nicht haben sollte.

Mir fällt ein Grüppchen junger Leute auf: In amerikanischer Markenkleidung stehen sie mit ihren modernen Smartphones (hauptsächlich aber keinesfalls nur chinesische Fabrikate) herum. Unser Busfahrer erklärt uns warum: Seit einiger Zeit gibt es WLAN in Kuba, allerdings nur in Hotels oder vor bestimmten Gebäuden. Internet zu Hause hat so gut wie niemand, nur Ärzte oder Mitarbeiter der Regierung bekommen eine Verbindung zum Netz.

Der Widersinn moderner Technik in der maroden Idylle Havannas begegnet uns überall. Da hängen die neuesten Flachbildschirme beim Friseur, der in einer schummrigen Bruchbude mit nackten Betonwänden und alten Fliesen das Haar seiner Kunden schneidet.

Durch eine der inzwischen mit modernen – vor allem europäischen – Marken bestückten Einkaufsstraßen läuft eine Gruppe Jugendlicher. Einer der coolen Jungs trägt eine nicht ganz so moderne Stereoanlage auf der Schulter, aus den Boxen schallt eine Nummer des amerikanischen Rappers Eminem aus „8 Mile“. Film- und Musikbeschränkungen wurden schon vor gut einem Jahrzehnt aufgehoben – dennoch hätte man hier wohl eher Salsa nach der Klangart des „Buena Vista Social Club“ erwartet.

Die Bar im Herzen Havannas ist längst zur Touristenattraktion geworden. Die Tische sind zu langen Tafeln angeordnet, fast wie bei einer Karnevalssitzung in Köln. Ein Abend mit drei Cocktails kostet 35 Cuc – was in etwa dem Gegenwert in Euro entspricht. Der tatsächliche Umrechnungskurs liegt zwar bei 92 Eurocent pro Cuc. Doch wer mit Euro bezahlt, bekommt den Eins-zu-eins-Wechselkurs. Die Häuser an der nahe gelegenen Plaza Vieja (Alter Platz) sind allesamt renoviert. Die Befürchtung, Havanna könne mit seiner Öffnung und der touristischen Geldschwemme zu einer Art künstlichem Disney World werden, hat sich hier schon erfüllt.

An dem schummrigen Tante-Emma-Laden mit fast völlig leeren Regalen wären wir fast vorbeigegangen. Ein paar einzelne Tüten aus braunem Packpapier, mit Filzstift beschriftet, stehen da in den alten Holzauslagen. Reis, Mehl, Rohrzucker. Dazwischen eine Tüte Gemüsebrühe eines deutschen Herstellers. Es sind Lebensmittel, die die Kubaner zu Niedrigpreisen kaufen können. Eine monatliche Quote legt fest, wie viel. Den Rest müssen sie in Supermärkten kaufen – dort gibt es importierte Ware, aber eben zu höheren Preisen. Das kann sich nicht jeder leisten.

Genauso verhält es sich mit den zighundert „Paladares“ (Paladar steht für den Gaumen, ist aber auch ein Synonym für den Feinschmecker), die sich im vergangenen Jahrzehnt entwickelt haben. Seit der Staat neben den regierungseigenen Restaurants und Hotels auch private Angebote zugelassen hat, schießen die kleinen Restaurants in Privatwohnungen wie Pilze aus dem Boden. Etwa 400 gibt es mittlerweile.

Das Café Laurent erreicht man über die Haustreppe oder einen winzigen Fahrstuhl mit eigener Portière. Während der kurzen Fahrt in den obersten Stock nimmt sie auf einem kleinen Barhocker in der Ecke Platz. Oben angekommen, empfängt uns ein Restaurant, dessen Fensterluken nur mit Holzlamellen verschlossen werden, der Balkon wurde überdacht und nach außen hin mit weißen Gardinen verhangen – es ist malerisch. Dass der Paladar einmal eine Privatwohnung war, sieht man spätestens beim Toilettengang: Die Badewanne dürften normale Restaurantbesucher wohl eher selten benutzen. Der Besitzer von Café Laurent hat sich inzwischen in der Stadt eingemietet – mehr als ein Haus darf man nicht besitzen.

Der Wohnraum in der inzwischen durch den Tourismus boomenden Stadt ist nach wie vor begrenzt. Schon in den Nebenstraßen des Zentrums steht ein verfallenes Haus neben dem anderen – renoviert wurde hier seit Jahrzehnten nicht mehr. Auch der Staat begann erst seit Kurzem, massiv in das Stadtzentrum Habanas zu investieren. Alte marode Gebäude, schwarz von den stinkenden Abgasen der Oldtimer, sind abgesperrt. Meist hängt an der Außenseite irgendwo ein Plakat, wie es später einmal aussehen soll. Direkt am Parque Central entsteht derzeit das modernste der Stadt – Hotel Manzana. Nächstes Jahr schon soll es eröffnen. Im Augenblick stiert das verfallene Gebäude mit seinen schwarzen Fensterhöhlen wie tot auf den Platz herunter.

Gegenüber, vor dem Gran Teatro de la Habana, werden Wasserleitungen verlegt. Die alten sind zu marode, um noch Wasser zu führen. Die Hotels mussten die Duschen ihrer Gäste bisher mit Wassertanks speisen. Der Lärm des Meißels, der einen tiefen Graben in die Straße reißt, übertönt beinahe den typisch kubanischen Salsa-Sound, der auf dem Platz vor dem Park erschallt. Junge Kubaner fordern Touristen zum Tanz auf – Fotokamera in der Hand hin oder her. Alte Herren sitzen auf einer Parkbank und spielen Schach. Es ist einer der wenigen Momente, die fast zu kitschig scheinen, um wahr zu sein – und ein kleines bisschen des alten Havanna, das sich rings herum bereits zu verlieren scheint.

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Blitzblank polierte Oldtimer

An den Straßenrändern stehen überall blitzblank polierte Oldtimer. Sie sahen nicht immer so gut aus. Inzwischen aber profitieren die Besitzer vom Geld der Touristen, können wieder in ihre „Familienmitglieder“ investieren. „Diese Autos sind für uns wie eine Oma oder eine Tante, sie gehören einfach dazu. Fast jede Familie besitzt so einen Wagen“, weiß unsere Touristenführerin Isa. Die Chevrolets und Buicks sind Privattaxis, die auf Kundschaft warten. Einheimische können in jenen von ihnen, die in einer Art Rundkurs ständig durch die Stadt zirkulieren, überall einsteigen und egal wohin für einen Cuc mitfahren.

Viele aber haben sich auf die Touristen festgelegt – und verlangen 35 Cuc die Stunde. So wie Rogelio González. Vom Kapitalismus hält der Kubaner dennoch nicht viel. Seine Frau ist Ärztin, gemeinsam haben sie drei Kinder. In einem Land wie Kuba dürfen sie kostenlos die Universität besuchen. In Venezuela hingegen gebe es 15-Jährige, die noch nicht einmal lesen könnten, meint Rogelio. Es ist sein Bild des zerstörerischen Kapitalismus, der Armut und Ungleichheit schafft. Dabei hat er auch in Kuba längst Einzug gehalten.

Denn während Rogelio 35 Cuc in der Stunde verdienen kann, arbeitet Manuel Baolosa gut 100 Kilometer von Havanna entfernt für 200 kubanische Pesos, der Währung der Einheimischen, am Tag. Das sind umgerechnet 8 US-Dollar pro Tag. Dafür pflückt er täglich 40 Stangen Tabakblätter auf dem Feld. Der Tabak wird an die Staatsfabrik verkauft. Was er von den Touristen halten soll, weiß er nicht so recht. „Ich bin Bauer, ich bin kein Politiker“, meint der braun gebrannte Mann nur.

Andere versuchen, sich durch die Touristen, die in Busladungen auf dem Land abgesetzt werden, etwas hinzuverdienen. Miguel ist 62 Jahre alt, tatsächlich sieht er aus wie Mitte 70. Der kleine hagere Mann ist von der Feldarbeit gezeichnet, mit seinem Ochsen Bolador ist er zu einer der neuen Aussichtsplattformen in Havannas Nachbarregion Artemisa gekommen. Wer ein Foto mit ihm machen will, soll ihm ein paar Cuc dafür geben. „Das erleichtert das Leben etwas“, sagt der Alte mit einem verschmitzten Lächeln. Kuba hat er niemals verlassen, andere Länder kennt er nur aus dem Fernsehen. Besonders in den ärmlichen dörflichen Gegenden finden sich immer wieder Spruchtafeln von Fidel Castro oder Che Guevara: „Das Wort lehrt, die Erfahrung leitet“ steht da. Oder: „Eine bessere Welt ist möglich.“

Kampf um das Geld der Touristen

Taxifahrer Rogelio glaubt daran. Wie er sich dann die große Armut in seinem Land erkläre? „Die gibt es überall.“ Trotzdem könne in Kuba jeder über die Runden kommen, ein Haus haben, verteidigt Rogelio das System. Wir, die wir aus dem Westen kommen, gibt uns der Touristenchauffeur vor seinem weiß-rosa Chevrolet noch mit auf den Weg, sollten nicht mit unserem westlichen Auge auf seine Stadt blicken. „Es gibt kein Problem mit dem Sozialismus.“

Und dennoch: Wenn das Kreuzfahrtschiff ausläuft, wird Rogelio wieder weniger Arbeit haben. Zwar sind immer noch viele Touristen in der Stadt, aber die Konkurrenz schläft nicht. Der Kampf um das Geld hat längst begonnen. Rogelio profitiert bereits vom Kapitalismus, der Geld in sein verarmtes Land spült. Mit ihm bezahlt er die Ersatzteile für seinen Chevrolet. Sie kommen aus den USA.

Die „MSC Opera“ am Hafenterminal von Havanna
Die „MSC Opera“ am Hafenterminal von Havanna
Foto: Mirjam Moll

Wissenswertes für Reisende:

Anreise: mit Condor ab Frankfurt nach Montego Bay, Jamaika oder von Frankfurt nach Havanna mit Air Europa

Beste Reisezeit: Dezember bis März

Kreuzfahrten in der Karibik werden angeboten u.a. von MSC, Aida, Costa, TUI Cruises, Royal Caribbean, Norwegian Cruise Line

Unsere Ausflugstipps:

  • Georgetown: Nutzen Sie die wenigen Stunden an Land, und besuchen Sie einen der wunderschönen Strände. Einfach per Taxi zu erreichen, vorgebuchte Ausflüge sind nicht nötig.
  • Cozumel: Die flache Insel ist ideal für Radausflüge – auch wenn es dort recht windig sein kann.
  • Havanna: Der „Buena Vista Social Club“ ist für Tanzliebhaber ein Muss, auch wenn die Bar inzwischen kaum noch von Kubanern aufgesucht wird. Die Musik ist es wert!
  • Montego Bay: Von der Floßfahrt im Hinterland bis zum Stadtrundgang ist alles möglich.
  • Generell gilt: Bei Taxifahrten immer verhandeln!


Unsere Autorin ist gereist mit Condor und hat auf der „MSC Opera“ übernachtet. Diese Reise wurde unterstützt von MSC.