Curaçao ist mehr als Holland in der Karibik

Karibische Schönheiten und solche, die es werden wollen, zeigen sich gern in den Straßen und an den Stränden von Curaçao – beileibe nicht nur weiblichen Geschlechts.
Karibische Schönheiten und solche, die es werden wollen, zeigen sich gern in den Straßen und an den Stränden von Curaçao – beileibe nicht nur weiblichen Geschlechts. Foto: Stefan Kieffer

Die Niederländer sind in ihrer ehemaligen Kolonie überall präsent. Das und den besonderen Zauber von Curaçao erlebte unser Redakteur Stefan Kieffer.

Lesezeit: 8 Minuten
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Von unserem Redakteur Stefan Kieffer

Nirgendwo wirkt Curaçao niederländischer als in Pietermaai. Die einstiges Wohnsiedlung für die Raffineriearbeiter vor den Toren der Hauptstadt Willemstad wurde in der zweiten Hälfe der 1990er-Jahre zum Problemviertel, gekennzeichnet von Drogen, Prostitution, Armut und Gewalt. Vor 15 Jahren nehmen niederländische Geschäftsleute viel Geld in die Hand, um das heruntergekommene Quartier aufzuhübschen – Gentrifizierung nennt man das im alten Europa. „Dies ist der beste Teil des niederländischen Königreichs“, behauptet Coen Morsink, der vor fünf Jahren aus seiner holländischen Heimat in die Karibik übergesiedelt ist, und zwar auf Dauer: „Ich denke nicht daran, wieder wegzuziehen.“

Coen managt das Großprojekt, das auch die ursprünglichen Bewohner ausdrücklich einbeziehen will. Dem einstigen Oberdealer des Viertels hat Coen ein Häuschen am Rande des großen Parkplatzes eingerichtet, zum Dank passt der Ex-Kriminelle auf, dass den Autos nichts passiert. In Pietermaai entstanden ansehnliche Hotels, Restaurants und Kneipen wie das fast schon legendäre „27“, von dessen Wänden die Popstars Jim Morrison, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Kurt Cobain und Amy Winehouse im Großformat herablächeln, alle fünf im zarten Alter von 27 Jahren in die himmlische Rock-and-Roll-All-Star-Band abberufen. Makabre Pointe: Ein Platz ist noch frei in der Galerie.

Hier mag sich so mancher niederländische Tourist bei Cocktails und Livemusik fühlen wie zu Hause, nur wärmer. Ungefähr 15 000 Niederländer, rund 11 Prozent der Gesamtbevölkerung, haben sich auf Dauer hier niedergelassen. „Es ist leicht, Besitz zu erwerben“, sagt Hotelbesitzer Will Vogels, „die Steuern sind niedrig.“ Ein Paradies für Käsköppe?

Coen Morsink warnt: „Curaçao ist nicht Holland in der Karibik, es ist ganz anders.“ Er hat die Erfahrung gemacht, dass die Inselbewohner zwar viel Wert auf Äußerlichkeiten legen – „sie geben gern ein bisschen an“ -, doch ihr Bürgersinn Grenzen kennt: „Wenn du anders bist, zum Beispiel arm oder behindert, dann wirst du abgehängt.“

Stimmungsvoll sind die renovierten Kneipen im Stadtteil Pietermaai.
Stimmungsvoll sind die renovierten Kneipen im Stadtteil Pietermaai.
Foto: Stefan Kieffer

Aus heutiger Sicht mag es für Curaçao ein Segen gewesen sein, dass sich nicht spanische oder britische Kolonialisten auf der Karibikinsel vor der Küste Südamerikas festsetzten, sondern die Niederländer. Denen ging es bei der Eroberung fremder Territorien weniger um Macht, Religion oder Krieg, sondern ums Geschäft. Moral oder gar Menschlichkeit spielte keine Rolle; die Niederländer verdienten ihre Gulden auf Curaçao jahrhundertelang als Sklavenhändler. Riesige Schiffe der West Indies Company brachten die menschliche Handelsware von der westafrikanischen Küste in die Karibik, von wo sie aufs süd- und nordamerikanische Festland verschachert wurden.

Im Sklavereimuseum Kura Hulanda in Willemstadt berichtet Museumsführerin Evelyn, wie die Afrikaner „zu Hunderten im Bauch der Schiffe eingepfercht waren, nackt und gefesselt, sortiert nach Geschlecht und Alter“. Ein Drittel der Gefangenen überlebte den je nach Wind manchmal Wochen, manchmal Monate dauernden Transport nicht. Wer nicht über Bord sprang und zur Beute der Haie wurde, starb an Hunger und Entkräftung. Kranke und Tote wurden einfach über Bord geworfen.

Die Überlebenden waren kaum besser dran. Evelyn präsentiert die schaurigen Folterinstrumente, mit denen die Sklavinnen und Sklaven gequält wurden, wenn sie nicht folgsam waren, Gitterkäfige, in denen die Opfer der gnadenlosen Sonne ausgesetzt wurden, bis sie starben. „Die Folter bis zum Tod diente als Abschreckung“, berichtet Evelyn mit Grabesstimme.

1863 wurde die Sklaverei auf Curaçao abgeschafft. Nicht jeder Niederländer mag an die koloniale Vergangenheit erinnert werden. „Wenn die Einheimischen nicht mehr weiterwissen, werfen sie uns diese Dinge vor“, klagt Will Vogels, Besitzer des Lions Dive and Beach Resort direkt am Strand und Chef der Tourismusbehörde von Curaçao, „doch die Sklaverei ist seit 200 Jahren vorbei. Wir sollten die Vergangenheit ruhen lassen und uns der Zukunft zuwenden.“ Das Verhältnis zwischen einstigen Herren und Sklaven, beteuert er, sei „anders als bei Engländern und Spaniern. Die waren ziemlich grausam zu den Leuten.“

Alles Dushi, oder was? Das Lieblingswort der Bewohner Curaçaos ist in großen Lettern mitten in der Hauptstadt Willemstad verewigt.
Alles Dushi, oder was? Das Lieblingswort der Bewohner Curaçaos ist in großen Lettern mitten in der Hauptstadt Willemstad verewigt.
Foto: Stefan Kieffer

Die Niederlande haben ihre einstige Kolonie vor sechs Jahren in eine Teilunabhängigkeit entlassen. Seitdem fungiert Curaçao als autonomes Land im Königreich Niederlande, alle Bewohner erhalten einen niederländischen Pass. Im Regierungspalast von Willemstad ist ein Flügel der niederländischen Gouverneurin vorbehalten, die für Fragen der Außenpolitik und Verteidigung zuständig ist. Alle anderen Inselangelegenheiten regelt eine demokratisch gewählte Regierung, 17 Parteien streiten um die politische Macht auf Curaçao.

Wie es scheint, können alle Seiten mit dieser Regelung ganz gut leben. Touristenführerin Bigala ist froh, dass ihrer Insel die totale Selbstständigkeit bislang erspart blieb: „Schauen Sie nach Surinam“, verweist sie auf eine andere ehemalige niederländische Kolonie, „die sind unabhängig und haben schwer zu kämpfen.“ Bigala ist eine Anhängerin des europäischen Sozialstaatmodells. „Wir zahlen viele Steuern, aber dafür hat die Regierung 75 Prozent meiner Ausbildung bezahlt“, erklärt Bigala, während sie selbst gemachten Hühnchensalat an ihre Touristengruppe verteilt, „wir sind alle krankenversichert, wir kümmern uns um die Armen, und meine Kinder haben mit einem Stipendium in Amsterdam studiert.“ Sie verweist auf die Auswanderer von anderen Inseln, die vom Leben unter französischem oder englischem Einfluss berichten: „Wir wissen, was in der Welt vorgeht, und sollten gut überlegen, ob wir wirklich bereit sind für die Unabhängigkeit.“

Bigala zeigt uns die Landhäuser auf den Höhen, von denen aus die niederländischen „Heren“ ihre Sklavenheere überwachten. Heute beherbergen die Landhäuser Museen oder Hotels mit grandioser Aussicht, lohnende Ausflugsziele für die Touristen, die zum überwiegenden Teil aus den Niederlanden eingeflogen werden. 150 000 Niederländer (ohne Wohnwagen), 25 000 Deutsche, dazu rund 60 000 US-Amerikaner und Kanadier kommen jährlich zum Strandurlaub nach Curaçao, wo es fast nie regnet und die Temperaturen auch nachts selten unter 25 Grad fallen. Neben Niederländisch spricht man auf Curaçao Papiamentu, zusammengebaut aus spanischen, portugiesischen, afrikanischen und niederländischen Elementen, deren wichtigste Grundbegriffe gar nicht so schwer zu lernen sind. Große bunte Plastiklettern mitten in Willemstad buchstabieren die angeblich wichtigste Vokabel der Landessprache. Dushi bezeichnet auf Curaçao das Nette und Positive, Verliebte verwenden es als Kosename für ihr „Schätzchen“. Vom Tourismus, dem wichtigsten, aber längst nicht einzigen einträglichen Wirtschaftszweig, profitieren fast alle auf Curaçao. Selbstbewusst treten die Inselbewohner auf, gleich welcher Herkunft und Hautfarbe. An den Stränden, in Restaurants und Kneipen mischen sich die Nationalitäten und Sprachen, auf den Märkten haben Händler aus dem nahen Venezuela das Sagen. Mit Cleverness und Geschäftssinn findet fast jeder seine geschäftliche Nische, in der sich leben lässt.

Die Bedeutung des Wortes Dushi erfasst der Tourist beispielsweise an einem der zahlreichen Strände mit Sonne, Sand und Palmen.
Die Bedeutung des Wortes Dushi erfasst der Tourist beispielsweise an einem der zahlreichen Strände mit Sonne, Sand und Palmen.
Foto: Stefan Kieffer

So wie Dinah Veeris, die ihren Kräutergarten mit einem Schuss Esoterik betreibt. Die frühere Lehrerin erinnerte sich in den 1980er-Jahren an das Wissen ihrer Mutter um die heilenden Mittel der Natur und vertiefte ihre Kenntnisse in tagelangen Expeditionen in die Hügel von Curaçao und intensiven Gesprächen mit älteren Inselbewohnern, die die Geheimnisse der Pflanzen bewahrt hatten. „Damals haben sie mich ausgelacht“, erinnert sich Dinah an die Anfänge ihres Heilkräuterparadieses, „heute schicken die Ärzte ihre Patienten zu mir, wenn sie nicht weiter wissen.“ Dann trägt sie ihr Mantra vor, mit dem sie das Wachstum ihrer pflanzlichen Lieblinge befördert: „Ich grüße dich, Erde, ich grüße dich, Pflanze …“

Ihr Sohn Shastry führt die Touristen durch den Garten und verrät einige Geheimnisse der wirkstarken Kräuter. Da gibt es grüne Blätter, deren Verzehr einem jungen Mädchen verrät, ob es sich in den Richtigen verliebt hat, andere dienen als Potenzmittel („Dina sagt, es sei besser als Viagra. Ich frage mich, woher sie das weiß“, scherzt ihr Sohn) – oder als deren Gegenteil, wenn sich der Erwählte als untreu erweist. „Das Rezept für diesen Tee wird nur von Frauen an Frauen weitergegeben“, erläutert Shastry und grinst: „Deshalb trinke ich nur Kaffee.“

Seinen Job als Versicherungsvertreter hat Shastry aufgegeben, um der Mutter beim stetig anwachsenden Geschäft mit den heilenden Kräutern zu helfen. Doch ein Leben im Einklang mit der Natur ist auch auf Curaçao nicht einfach. „Weil meine Mutter es so wollte, wurde ich mit neun Jahren zum Vegetarier“, berichtet Shastry, „aber das ist hier schwierig.“

In der Tat findet man auf der ganzen Insel kaum ein Gericht ohne Fisch und Fleisch, während als Beilage neben Reis vor allem eine polentaartige Masse in verschiedenen Ausführungen gereicht wird. Salat oder Gemüse spielen im täglichen Ernährungsplan so gut wie keine Rolle. So verstößt Shastry außerhalb des mütterlichen Anwesens immer wieder gegen die fleischlosen Prinzipien.

Ein ganz anderes Geschäftsmodell sichert Serena Israel das Auskommen. Die Berlinerin, nach einer siebenjährigen Segeltour zu zweit auf Curaçao gelandet und dort geblieben, hat sich von den inseltypischen Familienverhältnissen inspirieren lassen und produziert knuddelige, bunte Gipsfiguren, die es in Curaçao in jedem Souvenirladen zu kaufen gibt.

Auch Touristen dürfen sich als Chichi-Bemaler versuchen.
Auch Touristen dürfen sich als Chichi-Bemaler versuchen.
Foto: Stefan Kieffer

Diese „Chichis“ sind den großen Schwestern nachempfunden, die die Verantwortung für die Erziehung der jüngeren Geschwister tragen und nicht selten die ausladenden runden Körperformen aufweisen, wie sie für die Chichi-Puppen typisch sind. Jede dieser Figuren ist individuell bemalt von einheimischen Frauen (und ganz selten auch Männern), die sich auf diese Weise ein bisschen was dazuverdienen.

Serena Israel führt ihren Betrieb mit einer kuriosen Mischung aus deutscher Ordnungsliebe („Wer unentschuldigt fernbleibt oder das Gartentor nicht ordentlich schließt, der fliegt“) und karibischer Gelassenheit. An eine Ausweitung ihres einträglichen Geschäfts denkt Serena nicht. „Am Markt bin ich nicht interessiert“, sagt sie, „dann müssten wir die Chichis in Fabriken herstellen und machen letztlich nur DHL reich. Darauf habe ich keine Lust.“

In Serenas Garten dürfen sich auch Touristen mit Pinsel und Farben an den bunten Chichis versuchen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. So lächelt jetzt auch von meinem Regal meine selbst bemalte Chichi herunter. Eine schöne Erinnerung an die Tage auf Curaçao. Aber ganz ehrlich: Gekauft hätte ich die nicht.

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Wissenswertes für Reisende

Anreise: Air Berlin fliegt jeden Dienstag in neun Stunden von Düsseldorf nach Curaçao. Tägliche Flüge bietet die niederländische KLM von Amsterdam aus.

Zielgruppe: Curaçao ist geeignet für Sonnen- und Strandhungrige, aber nicht für Vegetarier. 

Beste Reisezeit: Urlaubswetter herrscht das ganze Jahr; auch in der Regenzeit von November bis Februar gibt es höchstens gelegentliche Niederschläge.

Unsere drei Ausflugstipps:

  • 40 Strände säumen die Südküste Curaçaos, von bestens ausgestatteten Badeparadiesen bis zu verschwiegenen Buchten. Wer da nicht den passenden Strand findet, der ist selbst schuld.
  • Was für autistische oder behinderte Kinder Therapie ist, macht anderen einfach nur Spaß: Im Sea Aquarium dürfen Touristen mit Delfinen schwimmen. Die meisten, die es ausprobiert haben, schwärmen in höchsten Tönen.
  • Musik ist stets dabei auf Curaçao: Im Blues-Pavillon des Hotels Avila spielt jeden Donnerstagabend eine Jazz- oder Bluesband.


Unser Autor ist gereist mit Air Berlin und hat übernachtet im Lions Dive and Beach Resort. Diese Reise wurde unterstützt vom Curaçao Tourist Board.