Kommentar: Dienen und Sachverstand statt Dozieren und Stolzieren

Christian Lindner, Chefredakteur der Rhein-Zeitung.
Christian Lindner, Chefredakteur der Rhein-Zeitung. Foto: Jens Weber

Zwei bedeutende Gerichtsverfahren haben am Mittwoch ihr vorläufiges Ende gefunden. Zweimal kam es zu Verurteilungen, mit denen zumindest die Angeklagten wohl nicht gerechnet hatten. Was die beiden Fälle gemeinsam haben, kommentiert Chefredakteur Christian Lindner.

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Chefredakteur Christian Lindner zu den Urteilen

Was für ein Buß-Mittwoch in der Karwoche, was für eine zeitliche Parallelität: Am selben Tag werden von Gerichten in Koblenz der frühere Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz und der frühere Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Koblenz in getrennten Verfahren der Untreue für schuldig befunden.

Gleichsam Schlag auf Schlag werden erst Ingolf Deubel und eine Stunde später Hans-Jürgen Podzun zu harten Strafen verurteilt – das einstige Finanzgenie der SPD zu drei Jahren und sechs Monaten Haft, der einstige Kammer-Herr zu 52.500 Euro Geldstrafe. Zwei unterschiedliche Fälle – und doch birgt der zeitliche Gleichklang mehr als nur zufällige Symbolik.

Zuerst zum Fall Deubel: Diese Teilaufarbeitung des Nürburgring-Dramas war fraglos der wichtigere der beiden Prozesse. Der Ring ist von zentraler Bedeutung für die Wirtschaft der Eifel – und das Mammutverfahren gegen Deubel und den einstigen Hauptgeschäftsführer am Ring, Walter Kafitz, hat deutlich gemacht, wie leichtfertig mit den Interessen der gesamten Ring-Region umgegangen wurde, wie tönern die Finanzierung des Unsinns-Projektes ausgerechnet eines ganzjährigen Freizeitparks ausgerechnet in der hohen Eifel ausgerechnet an der kultigsten Rennstrecke der Welt war und wie fragwürdig unter der von Kurt Beck geführten SPD-Alleinregierung hier über Jahre die Weichen gestellt wurden.

Staatsanwälte und Richter haben akribisch herausgearbeitet, dass Deubel beim Versuch, das politische Prestigeprojekt zu finanzieren, Steuergeld gefährdet und gegen die Gebote von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstoßen hat. Mehr noch: Ausgerechnet ein sozialdemokratischer Finanzminister versuchte, mit trickreichen Konstruktionen zu vertuschen, dass Hotel, Partymeile und Feriendorf am Ring anders als versprochen doch mit Steuermillionen statt mit Privatgeld finanziert wurden. Es wird für die politische Kultur von Entscheidungsfindungen und Verantwortlichkeiten in dieser Republik nachhaltige Wirkung haben, dass das Gericht dies nicht durchgehen ließ und auch nicht davor zurückscheute, einen Minister ins Gefängnis zu schicken.

Die Erkenntnisse des Prozesses hinterlassen aber auch Bitternis. Als Genosse Kafitz noch im Amt war, gerierte er sich als machtvoller Mister Nürburgring, der als Einziger genau weiß, wie dieses Mekka des Motorsports weiterzuentwickeln ist. Vor Gericht wollte er dann glauben machen, dass er am Ring kaum etwas zu sagen hatte. Ein Jahr und sieben Monate auf Bewährung – es hat sich für Kafitz gelohnt, dieses klägliche Bild abzugeben. Für viele Beobachter hat zudem der komplette Aufsichtsrat der Nürburgring-GmbH auf der Anklagebank gefehlt: Diese Herren sind damals ihrer Verantwortung schlicht nicht gerecht geworden. Zornig stimmt auch, wie offenkundig im Prozess wurde, dass Deubels Nachfolger Carsten Kühl und der damalige Wirtschaftsminister Hendrik Hering vor allem bestrebt waren, das Ring-Projekt mit einer windigen Verpachtung an das Duo Richter/Lindner vor den Landtagswahlen scheinbar zu lösen. Letztlich steuerten sie den landeseigenen Nürburgring damit in die Insolvenz. Beide sind noch in hohen Ämtern. Hunderte Millionen an Steuergeld hingegen sind weg – und der Ring gehört nicht mehr den Bürgern.

Und der Fall Podzun? Das Amtsgericht Koblenz gab dem einst so einflussreichen Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Koblenz nicht, wie von ihm appellierend erhofft, „seine Ehre zurück“. Vielmehr urteilte das Gericht, dass der zu Amtszeiten von vielen als selbstherrlich empfundene Kammerboss bei Fahrten und Flügen Geld der Kammer veruntreut hat. Das Urteil stützt damit den Kurs der neuen Führung der IHK, dass diese der Wirtschaft zu dienen hat – und nicht umgekehrt. Es bleibt zu hoffen, dass die Staatsanwaltschaft Koblenz nun auch endlich entscheidet, ob sie wegen der offenkundigen Fälschung der Kammerwahlen gegen Ende der Ära Podzun Anklage erhebt.

Was eint beide Verfahren? Der Fall Deubel wie der Fall Podzun zeigen zum einen, dass in dieser Republik die Aufarbeitung des Fehlverhaltens auch einflussreicher Persönlichkeiten funktioniert – anders als oft behauptet. Freie Presse, unabhängige Staatsanwälte, souveräne Richter: Unterm Strich sorgt deren Arbeit halt doch oft dafür, dass Fehler Folgen haben – auch für „die Großen“. Beide Fälle zeigen aber auch, dass an den entscheidenden Stellen von Politik und Wirtschaft mittlerweile ein anderer Typus als die Deubels und Podzuns der Vergangenheit gefragt ist. Wir brauchen kein Dozieren und Stolzieren, wir benötigen Dienen und Sachverstand. Wir brauchen uneitle, ja bewusst unstolze Führungskräfte – mit der Fähigkeit zum Zuhören, zu Selbstkritik, Abwägen und Ausstieg aus Unsinnsprojekten. Aber auch solche Persönlichkeiten müssen geführt und beaufsichtigt werden – etwa von Ministerpräsidenten oder Kammer-Präsidenten, von Aufsichtsräten oder einer wachen Parteibasis, stets geleitet von Kompetenz, gesundem Menschenverstand und Courage. Hätte das im Kabinett Beck und bei der IHK Koblenz eher gegriffen, wäre es gar nicht erst zu den Fällen Deubel(s) und Podzun(s) gekommen.