Interview: Homöopathie ist im schlimmsten Fall unterlassene Hilfeleistung

Umstrittene Wirkung von Globuli
Manch einer schwört darauf: Globuli sind kleine Kügelchen, die von Homöopathen verordnet werden. Foto:  Andrea Warnecke

Die Zahl der Ärzte mit homöopathischer Zusatzausbildung nimmt stetig zu. Sie ist in den letzten zehn Jahren um rund 200 Prozent gewachsen, aktuell wenden über 7000 Ärzte in Deutschland Homöopathie in der ärztlichen Praxis an. Die Ärztin Natalie Grams (38) ist den umgekehrten Weg gegangen. Im Interview erklärt sie, wie es dazu kam – und wieso Homöopathie in ihren Augen zwar helfen, aber nicht heilen kann.

Lesezeit: 5 Minuten
Anzeige

Sie haben das Netzwerk Homöopathie mitgegründet und werben für einen kritischen Umgang mit Globuli & Co. Unter anderem transportieren Sie Ihre Botschaft über Susannchen, ein kleines Mädchen. Wieso würden Sie ihr heute keine Globuli mehr geben?

Susannchen ist unser Maskottchen, um junge Eltern anzusprechen. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass Homöopathie bei Kindern einfach unangebracht ist. Kinder können sich noch nicht frei entscheiden. Sie sind von den Entscheidungen ihrer Eltern abhängig. Wir sehen die Gefahr, dass Kinder daran gewöhnt werden, dass man immer irgendetwas einnehmen muss, damit es einem besser geht. Zum anderen wollen wir Eltern dafür sensibilisieren, Kinder nicht unnötig leiden zu lassen. Wenn man bei einer akuten Mittelohrentzündung mit starken Schmerzen keine für Kinder geeigneten Schmerzmittel oder Fiebersenker gibt, leidet das Kind unnötig. Wenn es dann mit Globuli hingehalten wird, ist das einfach nicht in Ordnung. Im schlimmsten Fall ist Homöopathie sogar unterlassene Hilfeleistung, weil eine richtige Therapie hinausgezögert wird.

Das sagen Sie, obwohl Sie selbst einmal überzeugte Homöopathin waren. Wie sind Sie zur Homöopathie gekommen?

Ich bin selbst zur Homöopathie gekommen, wie wahrscheinlich die meisten Menschen zu ihr kommen: durch eine positive Erfahrung. Eine Kollegin hat mich dann überredet, zu einer Heilpraktikerin zu gehen. Nach dem Gespräch mit ihr und den Kügelchen, die sie mir gegeben hatte, ging es mir besser. Ich würde das heute allerdings nicht mehr auf die Inhaltsstoffe in den Globuli zurückführen, sondern auf die Art, wie die Heilpraktikerin mir begegnet ist. Trotzdem dachte ich damals: „Wow, die Homöopathie ist ein ganz tolles Verfahren.“ Ich meinte ja erfahren zu haben, dass sie wirkt. Ich glaube, das ist der Fehlschluss, den sehr viele Menschen machen. Denn weil es einem nach einer homöopathischen Behandlung besser geht, heißt das noch lange nicht, dass es einem dadurch besser geht. Das war einer der Punkte, die ich verstanden habe, als ich mich mit der Homöopathie kritisch auseinandergesetzt habe.

Ursprünglich wollten Sie ein Buch schreiben, das alle Kritiker und Zweifler von der Homöopathie überzeugt. Im Laufe der Recherche sind sie selbst zur Kritikerin geworden. Wieso?

Das war ein langer Prozess. Ich habe gemerkt, dass es in der Homöopathie ganz viele Widersprüche gibt. Was wirkt, ist sicherlich diese Zuwendung, wie ich sie ja auch erlebt habe, dieses ganze therapeutische Setting, das die Homöopathie anbietet. Das ist ja auch eine Alternative zu dem sehr zeitknappen medizinischen Alltag, den man als Patient sonst oft kennt. Zum anderen ist eine homöopathische Behandlung immer auch auf Zeit angelegt. Sie hat meistens eine Sequenz von sechs, zehn oder zwölf Wochen. Man wartet lange, bis man sagt, dass etwas gewirkt hat oder nicht. In dieser Zeit kann der Körper durch sein Immunsystem und seine Selbstheilungskräfte viel allein bewältigen. Dann sagt man zwar, das war die Homöopathie. Im Grunde hat sich der Körper aber selbst geheilt. Vieles an der Homöopathie ist sehr wertvoll – aber es ist eben keine spezifische Arzneitherapie.

Die Globuli selbst wirken also nicht?

Das Grundproblem der Homöopathie ist, dass Hahnemann, ihr Begründer, vor 200 Jahren das Prinzip der Potenzierung postuliert hat. Es besagt, dass bei der Herstellung von Homöopathika nicht nur unendlich verdünnt wird. Wenn man das Gemisch kräftig schüttelt, soll eine neue Qualität entstehen, eine energetisch-informative. Das soll das eigentlich Wirksame sein. Weil sich die Wissenschaft in den letzten 200 Jahren aber weiterentwickelt hat, wissen wir heute, dass das nicht stimmt. Das war eine Fehlannahme. Das ist der blinde Fleck, den alle Homöopathen haben.

Sie kritisieren also heute, dass die Homöopathie allen bekannten Naturgesetzen widerspricht. Sie sind ausgebildete Ärztin, also auch Wissenschaftlerin. Hatten Sie diese Zweifel denn vorher nie?

Ich bin mir sicher, dass jeder Homöopath irgendwo zweifelt. Wir – in dem Fall identifiziere ich mich noch mit den Homöopathen – können die Wirkung der Homöopathie nicht erklären. Aber man setzt als Homöopath einfach drauf, dass sie noch nicht erklärbar ist. Dass es einfach noch mehr Forschung braucht. Viele Homöopathen argumentieren auch mit ihrer Erfahrung: „Wir sehen ja, dass es wirkt. Unsere Patienten sind zufrieden.“ Dass die Wissenschaft sehr wohl schon heute soweit ist, zu sagen, dass das, was Hahnemann postuliert hat, unplausibel ist, habe ich erst bei den Recherchen für mein Buch begriffen. Jeder Wissenschaftler, den ich befragt habe, hat mir versichert, dass Wirkstoffe beim Verdünnen verloren gehen, auch wenn wir sie dabei schütteln.

Auch wenn in homöopathischen Mitteln keine Wirkstoffe enthalten sind, könnte man ja auch anders herum argumentieren und sagen: Wer heilt, hat recht. Am Ende geht es vielen Menschen durch die Homöopathie besser …

Aber in allen gutgemachten Studien zeigt sich, dass es den Patienten nach einer homöopathischen Behandlung nicht besser geht als nach einer Scheinbehandlung. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Homöopathika letztlich suggestiv gegebene Zuckerkugeln sind. Deswegen trifft dieser Satz auf die Homöopathie nicht zu. Sie heilt nicht. Und nur weil Patienten nach sechs oder zwölf Wochen eine Besserung spüren oder ein Schnupfen nach einer Woche besser ist, ist das nicht der Homöopathie zuzurechnen. Das ist einfach der natürliche Verlauf. Wir könnten durch die Homöopathie lernen, was unser Körper allein schafft und welche Selbstheilungsfähigkeiten wir haben. Und natürlich gibt es positive Effekte. Wenn man zum Beispiel einen viralen Infekt hat, dann fühlt man sich besser, wenn man dabei etwas tun kann. Zum Beispiel, indem man Globuli nimmt. Die Zeit, bis die Krankheit vergeht, fühlt sich einfach leichter an. Aber dafür braucht es nicht den ganzen Überbau der Homöopathie. Dafür braucht es auch keine Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

Mehr als 90 der 130 gesetzlichen Kassen in Deutschland zahlen Homöopathika und auch Behandlungen bei Ärzten mit homöopathischer Zusatzausbildung. Wieso ist das so problematisch?

Die Krankenkassen funktionieren nach dem Solidarprinzip: Alle zahlen ein und alle bekommen, was sie brauchen. Deswegen haben sich die Kassen eigentlich zum Grundsatz gemacht, nur für nachweislich wirksame oder sinnvolle Therapien zu bezahlen. Homöopathie ist eine Scheintherapie, hat aber eine Sonderstellung als besondere Therapierichtung. Die ermöglicht es den Kassen, Homöopathika zu erstatten, obwohl die Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist. Das ist ein Trick, den die Kassen auch nutzen, weil sie damit junge, gesunde Patienten anziehen, die sonst nicht viel kosten.

Bei aller Kritik: Was kann die Schulmedizin oder das Gesundheitssystem an sich von der Homöopathie lernen?

Erstens, dass es sehr häufig keine Medikamente braucht und dass wir sehr viel mehr auf die Selbstheilungskräfte unseres Körpers vertrauen können. Natürlich darf man nicht den Punkt verpassen, wo es gefährlich wird und eine Behandlung zu sehr hinauszögern. Das Zweite ist der Umgang mit Patienten. Das, was man als Homöopath anbieten kann, ist einfach so viel schöner, menschlicher und humaner als das im Klinikbetrieb oder in einer Facharztpraxis. Solange wir das nicht häufiger in der normalen Medizin anbieten und Ärzte das auch abrechnen können, kann ich es verstehen, dass sich Patienten die Alternative woanders suchen.

Das Gespräch führte Angela Kauer