RZ-Serie: Die Eroberung der Wand

Im Arp Museum haben Kunstwerke aus dem 19. und 21. Jahrhundert zu  einer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft zusammengefunden: Von den Wänden  strahlen Nazarenerfresken aus dem Speyrer Dom, die ein halbes  Jahrhundert lang im Verborgenen schlummerten. Jugendliche Gesellschaft  bekamen die zwölf Apostel durch die eigens angefertigten Arbeiten von  zwölf zeitgenössischen Künstlerinnen. 
Im Arp Museum haben Kunstwerke aus dem 19. und 21. Jahrhundert zu einer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft zusammengefunden: Von den Wänden strahlen Nazarenerfresken aus dem Speyrer Dom, die ein halbes Jahrhundert lang im Verborgenen schlummerten. Jugendliche Gesellschaft bekamen die zwölf Apostel durch die eigens angefertigten Arbeiten von zwölf zeitgenössischen Künstlerinnen.  Foto: Jürgen Vollrath

Rolandseck – Derartige Kunst hat das Arp Museum noch nicht gesehen. Und nicht nur für Rolandseck sind die Exponate neu: Die zwölf Apostelfresken, Zentrum der aktuellen Schau „Die Eroberung der Wand – Nazarenerfresken im Blick der Gegenwart“, stammen aus dem Speyrer Dom.

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RolandseckDerartige Kunst hat das Arp Museum noch nicht gesehen. Und nicht nur für Rolandseck sind die Exponate neu: Die zwölf Apostelfresken, Zentrum der aktuellen Schau „Die Eroberung der Wand – Nazarenerfresken im Blick der Gegenwart“, stammen aus dem Speyrer Dom.

Der Allgäuer Maler Johann von Schraudolph (1808– 1879) hat sie von 1846 an im Auftrag König Ludwigs I. von Bayern dort hineingemalt, um das Volk zum Sinn für das Schöne und Gute zu erziehen. 1960 wurden sie mit Hämmern und Pickeln aus dem Gewölbe der Apsis geschlagen. Die Zeiten hatten sich geändert, und mit ihnen auch der Kunstgeschmack.

Mit Spott und Naserümpfen wurden fortan die Werke der Nazarener betrachtet, jener romantisch-religiösen Kunstrichtung, die deutsche Künstler zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Wien und Rom begründeten. Die Ausmalung des Speyrer Doms galt als nicht mehr zeitgemäß, und die Wandmalereien wurden entfernt, um den Originalzustand des romanischen Doms, die Krönungskirche der salischen Kaiser, wiederherzustellen. Ein fataler Irrtum.

Längst haben Kunsthistoriker die These von der Kargheit und Farblosigkeit romanischer Bauten widerlegt. Im Gegenteil: „Der mittelalterlichen Vorstellung der Salischen Kaiser kam der ausgemalte Dom mit seinem Gold und dem Sternenhimmel am nächsten“, sagt Vitus Wurmdobler (67), der die Schraudolph'schen Fresken seit den 1980er-Jahren Zug um Zug in seinem Atelier in Erbes-Büdesheim restauriert. Was einst als billiger Kitsch abgeurteilt wurde, gilt inzwischen wieder als Kunst von herausragender Qualität. Wären die Fresken im Dom geblieben, Speyer hätte heute das größte Denkmal von Nazarenerkunst weltweit.

Die Spuren der Nazarener in Rheinland-Pfalz will das Land nun mit einer Reihe von Ausstellungen zurückverfolgen, deren Auftakt die Schau im Arp Museum bildet. Schraudolphs zwölf Apostel, die im Gegensatz zum überwiegenden Teil der Domfresken nicht komplett zerstört, sondern mittels Leinwandstreifen von der Wand abgelöst worden waren, sind erstmals seit ihrer Verbannung aus dem Kaiserdom wieder zu besichtigen. Dazu hat das Museum zwölf zeitgenössische Künstlerinnen eingeladen, der Speyrer Apostel mit eigenen künstlerischen Ansichten zu begegnen. In ihren Arbeiten nehmen sie Farben, Themen und Motive der Fresken auf, interpretieren das Thema Wandmalerei neu oder beziehen die Architektur des Museumbaus auf andere Weise in ihre Werke mit ein.

So fällt auf die Fresken aus dem 19. Jahrhundert nun endlich wieder Licht. Und durch die neu geschaffenen Gegenüber entstehen spannungsreiche Konstellationen. Das freut auch Vitus Wurmdobler. Am liebsten sähe es der Restaurator allerdings, wenn die Apostel wieder dauerhaft in den „nackten“ Speyrer Dom einzögen.

Seit den 60er-Jahren haben die zwölf Apostel im Dornröschenschlaf gelegen. Wo hat der stattgefunden, und warum blieben die Fresken so lange unbeachtet?

Die Apostel schlummerten zusammengerollt mit anderen abgenommenen Fresken im Kaisersaal des Speyrer Doms. Das war all die Jahre bekannt, aber keiner wusste so recht, wohin mit ihnen.

In welchem Zustand haben Sie die Herren vorgefunden: deutlich gealtert, oder sind sie seit ihrer Abnahme von der Wand frisch geblieben?

Gealtert waren sie wunderbarerweise gar nicht. Man hat die hauchdünne Malschicht ja mittels Leinwandstreifen wie einen Film von der Wand abgezogen. Sie war so „frisch“ wie zu der Zeit, zu der sie abgenommen worden ist. Natürlich zeigten die Herren ein paar Knitterfalten, weil sie jahrzehntelang aufgerollt dagelegen hatten.

Aus konservatorischer Sicht war die Vertreibung aus dem Dom also das Beste, was ihnen passieren konnte?

Das Allerbeste wäre gewesen, sie auf ihrer Wand zu lassen. Immerhin wurden die Fresken nicht wie viele andere Wandmalereien des 19. Jahrhunderts aus dem Zeitgeschmack heraus zerstört. Insofern war es wohl das Beste, was damals vorstellbar war.

An welchem Jünger Jesu hat der Zahn der Zeit am ärgsten genagt?

Die Farbigkeit war bei allen sehr frisch. Das ist dem Künstler Johann von Schraudolph zu verdanken, der 1846 licht- und kalkechte Farben verwendete – sehr teure Pigmente, die ihre Leuchtkraft behalten haben. Der schöne Apostel Thomas zeigte leichte Schäden am Gewand, aber das ließ sich gut retuschieren. Insgesamt beschränkte sich mein Eingreifen also auf kleine Schönheitskorrekturen.

Was war die größte Herausforderung bei der Restaurierung?

Die Übertragung auf einen Untergrund, der die Fresken mobil hält und der es gleichzeitig ermöglicht, dass sie vielleicht irgendwann wieder an ihren alten Platz im Dom zurückkehren können. Das ist mit dem Auftrag einer dünnen Schicht aus Glasfaserseide sehr gut gelungen, die nun als Trägermaterial dient.

Mit welchem Gefühl haben Sie die wiederhergestellten Fresken auf die Reise nach Rolandseck geschickt? Wie ein ängstlicher Vater, der bangt, dass ihnen bloß nichts passiert?

Ein bisschen schon. Ob man will oder nicht, man hat Verantwortung.

Richard Meiers Bau gilt als „Kathedrale des Lichts“: Wie werden die Apostel vor schädlichen UV-Strahlen geschützt?

Also, ohne natürliches Licht bräuchte man gar kein Fresko zu malen. Im Galeriebereich des Speyrer Doms gibt es ja noch immer Fresken, die bekommen seit 130 Jahren Tageslicht durchs Fenster ab. Im Gegenteil: Das Licht im Arp Museum ist grandios und tut den Fresken optisch sehr gut.

Und wie fühlen sich die betagten Herren – sie sind immerhin gut 150 Jahre alt – in dem modernen Bau: Fremdeln sie, oder fühlen sie sich in der luftigen Umgebung und mit den neuen Nachbarn wohl?

Die sind ja zu zwölft, und in der Gruppe können sie sich ganz gut behaupten. Man staunt, wie gut die alten Herren durch ihre Farbigkeit und Strahlkraft dem hellen Bau gewachsen sind. Und ich würde auch sagen, sie sind durchaus kompatibel mit ihrer jungen Nachbarschaft. Sozusagen WG-tauglich.

Wir stellen die zwölf Arbeiten zu den Aposteln in einer Serie vor. Die Schau „Die Eroberung der Wand – Nazarenerfresken im Blick der Gegenwart“ öffnet am Sonntag um 11 Uhr und ist bis zum 9. September zu sehen, Di. bis So. 11–18 Uhr. Infos: www.arpmuseum.org

Von unserer Redakteurin Nicole Mieding