Oktober 2011: Staatstrojaner vertrieben

Eine staatliche Schnüffelsoftware sorgt für eine heftige öffentliche Debatte. Wie weit darf der Staat gehen?

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Darf eine Behörde heimlich agierende Spionagesoftware auf den Computern von Tatverdächtigen installieren? Mit einem deutlichen „Nein, aber“ hat dies das Bundesverfassungsgericht bereits 2008 beantwortet.

Umso größer war die Verwunderung im Oktober 2011, als der Chaos Computer Club (CCC) ein solches staatliches Spionageprogramm veröffentlichte – und in der Folge mehrere Ermittlungsbehörden in Deutschland einräumten, die Software genutzt zu haben.

Dabei war das jahrealte Urteil des Bundesverfassungsgerichts eindeutig gewesen: Nicht weniger als Artikel 1 des Grundgesetzes benannte das oberste deutsche Gericht als Hintergrund: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Daraus leiteten die Richter ein „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ ab.

Der Bundestrojaner jedoch, der den Fachleuten vom CCC zugespielt worden war, macht genau das: Das Stück Software fertigt unter Windows heimlich Bildschirmkopien von Chats oder Webseiten an, die der ahnungslose Computerbenutzer besucht, es schneidet Internet-Telefonate mit und kann mithilfe eines sogenannten Keyloggers jegliche Tastatureingaben aufzeichnen. Im Hintergrund werden diese Aufzeichnungen dann an Server in Hessen und Ohio in den USA verschickt – wo sie für den Abruf den Ermittlern zur Verfügung stehen.

Proteste gegen Online-Durchsuchungen
Der „Staatstrojaner“ kam vermutlich aus Bayern.
Foto: DPA
Die Kritik daran entzündet sich nicht nur an den offensichtlich missachteten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, nach der drei wichtige Dinge geklärt sein müssten, bevor die Online-Durchsuchung zulässig wäre: Es braucht eine hinreichend klare gesetzliche Regelung, es muss zur konkreten Gefahrenabwehr ein überragend wichtiges Rechtsgut zu schützen sein, und es muss letztlich ein Richter anordnen. Die Kritik des CCC und vieler anderer Experten richtete sich auch gegen die Details der Software, die gravierende Sicherheitslücken enthielt.

So umfasst das Programm etwa eine Nachladefunktion für den Einbau weiterer Überwachungsmodule (zum Beispiel zur Raumüberwachung per Mikrofon), die zudem nicht nur von Behörden, sondern auch von anderen technisch begabten Kriminellen genutzt werden könnte – beispielsweise um ahnungslosen Nutzern eine digitale Straftat unterzujubeln. Außerdem waren die übermittelten Daten manipulierbar – für den Versand durchs Internet waren sie unverschlüsselt unterwegs.

Die Antivirenhersteller weltweit haben sich im Oktober binnen kürzester Zeit mit dem Spähprogramm vertraut gemacht und dafür gesorgt, dass gängige Virenschutzprogramme die Software unschädlich machen. Politische Konsequenzen hatte der Fund des Bundestrojaners nicht. Ursprünglich war das Bundeskriminalamt bereits 2005 an den damaligen Innenminister Otto Schily (SPD) mit dem Wunsch herangetreten, die Technik von Trojanersoftware für die Zwecke der Behörde zu erforschen, was per geheimer Dienstanweisung genehmigt worden sei, wie kürzlich Peter Altmaier (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, bestätigte.

Inzwischen haben deutsche Ermittlungsbehörden den Einsatz dieser Programme aber ausgesetzt: Laut Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts, findet derzeit „faktisch keine Quellen-Telekommunikationüberwachung“ statt, wie das Ausspähen im Behördendeutsch heißt. Das berichtete kürzlich das „Handelsblatt“. Demnach sei diese Aussage allerdings auch auf große Verärgerung unter Ermittlern gestoßen: „Die beim organisierten Verbrechen müssen uns doch langsam auslachen“, zitierte das Blatt einen Fahnder. Wie lange die Behörden den Einsatz solcher Programme aussetzen, mochten die Behörden nicht sagen – doch angeblich arbeiten beim Bundeskriminalamt bereits Experten in einem Kompetenzzentrum daran, einen eigenen Staatstrojaner zu entwickeln.

Von unserem Online-Chef Marcus Schwarze

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