Nürburgring auf Schleuderkurs

Skandale, brisante Dokumente, Betreiber-Knatsch: Der Nürburgring gehörte auch 2011 zu den am heißesten diskutierten Themen der Landespolitik.
Skandale, brisante Dokumente, Betreiber-Knatsch: Der Nürburgring gehörte auch 2011 zu den am heißesten diskutierten Themen der Landespolitik. Foto: DPA

Die Eifel-Rennstrecke zieht eine Skandal-Schleife nach der nächsten und wird somit zu einer schweren Hypothek für die rot-grüne Landesregierung. Besserung ist (vorerst) nicht in Sicht.

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Es gibt Albträume, aus denen man einfach nicht aufwacht. Der Nürburgring ist so einer. Seit Jahren hält er die Landesregierung gefangen.

Wann immer die SPD – und neuerdings auch Rot-Grün – glaubt, die Ausfahrt zur Normalität gefunden zu haben, durchkreuzt eine Skandalgeschichte von der Eifel-Rennstrecke das Vorhaben. Auch im zu Ende gehenden Jahr blieb der Ring auf Schleuder- und Schlingerkurs. Und mit Blick auf 2012 stellen sich bange Fragen: Fallen noch mehr Stellen weg? Wandelt sich der Freizeit- weiter zum Teilzeitpark? Müssen gigantische, meist gähnend leere Gebäude eingemottet oder am Ende abgerissen werden? Was werden die erwarteten Prozesse gegen Ex-Finanzminister Ingolf Deubel und Ex-Ring-Boss Walter Kafitz ans Licht bringen? Wichtiger noch: Wird die 330-Millionen-Euro-Investition „Nürburgring 2009“ für den Steuerzahler jemals wieder hereinkommen?

Am Ring brennt es an allen Kurven und Enden. Das Verhältnis von privaten Betreibern und Besitzern (dem Land) ist, gelinde gesagt, angespannt. Im Winter 2011 war auch schon mal von „Erpressung“ und „Täuschung“ die Rede. Damals hatte die private Automotive GmbH mit Macht und einer aggressiven, öffentlichen Kampagne auf niedrigere Pachtzahlungen gedrängt. Deren Geschäftsführung führte ins Feld, mit falschen Zahlen und Prognosen in ein unkalkulierbares unternehmerisches Abenteuer gelockt worden zu sein. Doch das Land blieb hart, schickte einen Mahnbescheid an die Ring-Pächter und lotete aus, wie man den unkalkulierbaren Partner loswerden könnte. Das Wort Rosenkrieg machte die Runde. Nur, dass hier keiner aus enttäuschter Liebe handelte, weil es nie einen Funken Zuneigung gab. Am Ring wurde lediglich ein brüchiges Zweckbündnis geschmiedet.

In der Präambel des Pachtvertrags haben sich die Vertragspartner darauf verständigt, auf eine sorgfältige Prüfung und Analyse eines Unternehmens, insbesondere im Hinblick auf seine wirtschaftlichen, rechtlichen, steuerlichen und finanziellen Verhältnisse (Due Diligence) zu verzichten. Stattdessen hat man sich auf eine sogenannte Einschwungphase mit geringeren Pachtzahlungen geeinigt, die dann in den Folgejahren zunehmend steigen sollen. Jetzt kritisiert die Nürburgring Automotive GmbH (NAG), dass den Pachtzahlungen falsche Zahlen zu Grunde liegen.

Der Pachtvertrag legt genau fest, was die NAG gepachtet hat.

Nicht inbegriffen ist ausdrücklich das Formel-1-Rennen. Das Land behält sich vor, selbst mit Formel-1-Boss Bernie Ecclestone über die Konditionen zu verhandeln. Die bisherigen Defizite des Rennzirkus wurden regelmäßig vom Land als Strukturhilfe für die Eifel übernommen. 2011 waren das rund 13,5 Millionen Euro. In der rot-grünen Landesregierung ist man sich aber einig, dass die Defizite sinken müssen. Außerdem ist bis 2016 nur noch ein Formel-1-Rennen auf dem Ring geplant.

Hier macht der Verpächter, die nahezu landeseigene Nürburgring GmbH, noch einmal deutlich, dass es die komplette Hoheit über die Formel 1 am Ring behält.

Im Pachtvertrag wird darauf verwiesen, dass „bestimmte Baumaßnahmen“ bei Pachtbeginn noch nicht fertig sind. Augenfälligstes Beispiel ist der Ringracer. Die einst als schnellste Achterbahn der Welt angekündigte Anlage sollte die Top-Attraktion des Erlebnisparks werden. Sie fährt aber bis heute nicht. Es gibt nach wie vor Probleme mir der Genehmigung durch die Kreisverwaltung Ahrweiler. Inbetriebnahme: offen. Das ist ein Grund, warum die NAG unrealistische Besucherzahlen als Grundlage für die Pacht moniert.

Für zwingend notwendige Investitionen am Nürburgring hat sich der Verpächter Nürburging GmbH bereit erklärt, noch einmal Geld in die Hand zu nehmen.

Bis zu 7 Millionen Euro könnten das sein, mehr allerdings ist laut Landesregierung nicht drin. Die gesamte Investition in die Eifelrennstrecke beläuft sich bereits auf 330 Millionen Euro.

Der Pächter ist laut Vertrag zum „ordnungsgemäßen Betrieb des Pachtobjekts und seiner sämtlichen Pachtgegenstände verpflichtet“. Klingt zunächst banal, ist es aber nicht. So prüft derzeit die EU, ob das Land den Betrieb des Nürburgrings hätte europaweit ausschreiben müssen, statt ihn einfach an die NAG mit ihren Gesellschaftern Jörg Lindner und Kai Richter zu vergeben. Bei der Antwort auf diese Frage kommt es laut Experten entscheidend darauf an, wie der Vertrag interpretiert wird.

Waren die Verträge zwischen Pächter und Gesellschafter marktüblich? Der Vertrag schreibt es vor.

Hier sind im Detail die Pachtzahlungen aufgeführt, die die NAG ans Land abzuführen hat. Dabei wird berücksichtigt, dass der Betrieb erst eine „Einschwungphase“ mit niedrigeren Pachtzahlungen braucht. In den Folgejahren steigen die Pachtzahlungen. Das Land geht davon aus, dass mit dem Geld der Kapitaldienst für den Ring bedient werden kann. Jetzt aber ist genau wegen dieser Zahlungen ein heftiger Streit entbrannt. Die NAG fordert eine Senkung der Pacht, weil ihr angeblich völlig überzogene Zahlen zugrunde lägen. Geht das Land nicht darauf ein, droht die NAG mit der Entlassung von bis zu 140 Mitarbeitern.

Der Pachtvertrag schließt ein gegenseitiges Aufrechnen von Forderungen aus – es sei denn, es gibt einen rechtskräftigen Titel. In der Wirklichkeit sieht das anders aus: Die NAG verlangt vom Land 10 Millionen Euro, darunter 6,4 Millionen Euro aus einer sogenannten „Tourismusabgabe“, die vom Land zugesagt worden sei. Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne) hat die Forderung zurückgewiesen.Im Gegenzug verlangt das Land 4 Millionen Euro von der NAG, darunter 2,5 Millionen Euro an ausstehenden Pachtzahlungen. Innenminister Roger Lewentz (SPD) hat einen entsprechenden Mahnbescheid an die NAG gesandt.

Im Vertrag ist auch das Recht des Verpächters auf fristlose Kündigung festgelegt, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Dies ist etwa der Fall, wenn der Pächter mit seinen Pachtzahlungen in Höhe von mehr als zwei monatlichen Raten in Verzug ist. Das ist bereits jetzt der Fall.

Niemand weiß so richtig, wie es weitergehen soll. Die Teil-Schließung von Ring-Werk, Boulevard und Veranstaltungsarena ist ein schwerer Schlag für die Landesregierung. Denn bislang waren viele ihrer Versprechungen nicht mehr als schillernde Seifenblasen. Der raue Eifelwind brachte sie zum Platzen. Am Nürburgring liegt längst stärker noch als der Geruch von Motoröl und Verbrennungsmotoren Misstrauen in der Luft. Im zurückliegenden Jahr haben sich die Gräben vertieft. Keiner vertraut mehr. Viele Ortsansässige, darunter Geschäftsleute, die um ihre Pfründe und den Charakter dieser einzigartigen Rennstrecke fürchten, warten nur darauf, dass die Ring-Pächter aufgeben. Rechnungshof und Staatsanwaltschaft haben den Finger am Abzug, sollten neue Unregelmäßigkeiten auftauchen. Im Innenministerium will man nur ja keinen Fehler machen – und bewegt sich mit größter Vorsicht. In der Staatskanzlei hofft man, dass der Nürburgring nicht wie Pech an Ministerpräsident Kurt Beck kleben bleibt. Und SPD-Fraktionschef Hendrik Hering bleibt wachsam, damit ihm am Ende nicht die Schuld in die Schuhe geschoben wird. Er hat die jüngeren Verträge ausgehandelt.
Vörläufig hat die Nürburgring Automotive GmbH keinen Betriebsratsvorsitzenden mehr. Manfred Strack – hier mit Verdi-Chef Frank Bsirske – legt sein Amt nieder.
Vörläufig hat die Nürburgring Automotive GmbH keinen Betriebsratsvorsitzenden mehr. Manfred Strack – hier mit Verdi-Chef Frank Bsirske – legt sein Amt nieder.
Foto: Jan Lindner
Zumindest der Mammut-Untersuchungsausschuss zum Nürburgring ist vom Tisch. Kurz vor der Landtagswahl fand er auf einmal sang- und klanglos ein Ende. Zuvor schafften es CDU und FDP im Laufe unzähliger Sitzungen und Zeugenvernehmungen nicht, die damalige SPD-Alleinregierung ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Das war schon für sich genommen eine Kunst. Vor allem für den jetzigen Finanzminister Carsten Kühl (SPD) hätte es eng werden können. Der Volkswirt saß im Aufsichtsrat der Nürburgring GmbH, als die Weichen in Richtung Sackgasse gestellt wurden. Und auch der heutige Innenminister Roger Lewentz (SPD) geriet in die Kritik, als es um die (wirkungslosen) Warnungen des Landeskriminalamts (LKA) vor dubiosen Finanzvermittlern am Ring ging.

Und natürlich bemühte sich die Opposition nach Kräften, Ministerpräsident Beck (SPD) für das gescheiterte, millionenschwere Finanzgeschäft persönlich verantwortlich zu machen. Es sollte dem Freizeitpark 2009 den Weg ebnen. Die Angriffe von CDU und FDP waren heftig, aber häufig auch unkoordiniert und ohne Durchschlagskraft.

Am Freizeitpark am Nürburgring geht am Mittwoch die Sonne unter. Die Betreiber des Nürburgrings wollen den schlecht laufenden Freizeitpark im Winter meist geschlossen halten.

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Dies geht aus einem Papier hervor, das die Geschäftsführer der Nürburgring Automotive GmbH am Mittwoch der Belegschaft vorstellten.

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Der Freizeitpark „Ringwerk“ verspricht „Abenteuer für die ganze Familie“.

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Der Freizeitpark „Ringwerk“ sollte Besucher zum neuen Nürburgring locken. Doch die Massen blieben aus.

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Jörg Lindner, Geschäftsführer der Nürburgring Automotive GmbH, sprach am Mittwoch in einer Personalversammlung zu seinen Mitarbeitern.

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Auch hier musste die Öffentlichkeit draußen bleiben. Den Fotografen blieb nur der Blick durchs Fenster.

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Mächtig Ärger fing sich indes der Düsseldorfer Geschäftsmann Kai Richter ein. Im Verdacht, dem Land mit allen Tricks und Kniffen das Geld aus der Tasche zu ziehen, nahm ihn der Rechnungshof aufs Korn. Unsere Zeitung veröffentlichte dessen vertrauliche Expertise zur Cash Settlement & Ticketing GmbH (CST), dem bargeldlosen Bezahlsystem am Ring. Die Finanzprüfer warfen Richter, gegen den ermittelt wird, darin vor, über verschachtelte Firmen-Konstruktionen dubiose Geschäfte mit sich selbst gemacht zu haben. Richter bestreitet die Vorwürfe bis heute äußerst hartnäckig.

Ähnlich heikel ist das Thema Formel 1. In der rot-grünen Regierung gibt es keine bekennenden Fans des Grand-Prix-Spektakels. Vor allem die Grünen würden die Landesmittel (2011 rund 13,5 Millionen) am liebsten drastisch herunterfahren. In der SPD will man nicht ganz so hart auf die Bremse treten und beim nächsten Rennen maximal eine einstellige Summe zuschießen. Für Wirbel sorgte dann auch noch der geheime Formel-1-Vertrag, der von unserer Zeitung veröffentlicht wurde. Er könnte für die Ring-Betreiber Millionen wert sein.

Die meisten Menschen in der Eifel sehnen sich indes danach, dass die weltberühmte Rennstrecke endlich wieder Faszination statt Frustration erzeugt. Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) glaubt immer noch, dass der Nürburgring in fünf Jahren in die Erfolgsspur zurückfindet. Da sind Zweifel erlaubt – ein wenig Hoffnung aber auch.

Von unserem Redakteur Dietmar Brück

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