Die Mängel von Cattenom: Beobachter fällt hartes Urteil über Kernkraftwerk

Kernkraftwerk Cattenom
Das französische AKW Cattenom hat erhebliche Mängel. Foto: Christophe Karaba

Fachleute aus Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Luxemburg haben den Stresstest im Atomkraftwerk Cattenom begleitet – allen voran der gemeinsame wissenschaftliche Beobachter Dieter Majer. Fragen und Antworten zu den Erkenntnissen.

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Welches Ergebnis lieferte der Stresstest?

Im Vorfeld wurden keine Kriterien festgelegt, aus denen sich ein „bestanden“ oder „nicht bestanden“ ergeben hätte. Auch aus einem „bestanden“ könnte aber keineswegs abgeleitet werden, dass das Kernkraftwerk sicher ist, sagt Majer. Der Stresstest beleuchtete nämlich „nur einige Facetten“ der Sicherheit des AKW Cattenom.

Was sollte nicht untersucht werden?

Der Stresstest zielte auf die Folgen schwerer Naturkatastrophen ab. Terroristische Anschläge, Cyber-Attacken und das Restrisiko durch menschliches oder technisches Versagen sowie die Alterung der Technik standen nicht im Fokus. Der Aussagewert mit Blick auf das immer von nuklearen Anlagen ausgehende Risiko ist deshalb begrenzt, resümiert Majer.

Wie arbeitete der gemeinsame Beobachter?

Die Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und des Saarlandes sowie der luxemburgische Premier entsandten den Ministerialdirigenten a. D. Dieter Majer (früher im Bundesumweltministerium), die französische Atomaufsichtsbehörde ASN stimmte dem zu. Majer besuchte Sitzungen der französischen Expertengruppen und begleitete Anfang August 2011 die Vorortkontrolle der ASN im Kraftwerk Cattenom.

Zu welchem Schluss kommt Majer nach der Vorortkontrolle?

Der Beobachter verweist darauf, dass die ASN-Inspektion mit 78 sogenannten Feststellungen endete. In 35 Fällen gab es Abweichungen von der Norm (Konformität), 35 Mal wurde der Betreiber Eléctricité de France (EDF) aufgefordert, zusätzliche Nachweise zu erbringen. Zudem wurden 8 allgemeine Beobachtungen festgehalten. Majer ist der Ansicht, dass „die Vielzahl und die sicherheitstechnische Bedeutung der Mängel auf kein sehr ausgeprägtes Sicherheitsbewusstsein des Betreibers schließen lassen“.

Ist der Bericht des Betreibers zur Inspektion vollständig?

Nein, sagt der Beobachter dazu. EdF hat zwar einen 390-seitigen Bericht zur „zusätzlichen Sicherheitsbewertung“ veröffentlicht – doch darin wird etwa auf die Folgen eines Flugzeugabsturzes gar nicht eingegangen. Die EU wollte dies zwar, die französische Aufsicht ASN übernahm die Vorgabe aber nicht in ihr Pflichtenheft. Majer hält dies für sehr kritisch, da der Flughafen Luxemburg nicht weit von der Anlage in Cattenom entfernt ist.

Was würde bei einem schweren Erdbeben passieren?

Es wurde „nicht spezifisch ermittelt“, ab welcher Erdbebenstärke grundlegende Sicherheitsfunktionen ausfallen, kritisiert Beobachter Majer. EDF räume aber ein, dass einzelne wichtige Einrichtungen wie zum Beispiel Teilsysteme der Kühlwasserversorgung aus der Mosel nicht für das angenommene Erdbebenszenario ausgelegt sind. An anderer Stelle steht, dass bestimmte Einrichtungen zwar das sogenannte Auslegungserdbeben verkraften, die Reserven darüber hinaus aber teilweise sehr gering sind. Dies gilt etwa für die Staumauer des Mirgenbachsees, der in die Kühlwasserversorgung eingebunden ist.

Warum ist dieser See so wichtig?

Die Kühlwasserversorgung aus der Mosel ist nach Einschätzung von Majer problematisch. Bei einem Hochwasserszenario, das schon vor der Katastrophe von Fukushima angenommen werden musste, würden Pumpen und Stromversorgung im Kühlwasserentnahmebauwerk in drei Meter hohem Wasser versinken. Die sichere Wärmeabfuhr kann dann nur der Mirgenbachsee gewährleisten. Doch es gibt nicht nur Zweifel an dessen Staumauer. Beauftragte der Anrainerländer stellten auch an der Verbindung zwischen See und Kraftwerk „erhebliche Defizite“ fest. Aus Ingenieurssicht befinde sich das Bauwerk „in einem allgemein schlechten Zustand“.

Wie gut ist die Stromversorgung gesichert?

Dieter Majer berichtet, dass er bei der Begehung des Kernkraftwerks einen „negativen Allgemeineindruck“ von den elektrischen Einrichtungen gewonnen hat. Dabei habe es nach einem schweren Erdbeben „besondere Bedeutung“, dass sie einwandfrei funktionieren. Der wissenschaftliche Beobachter hält es deshalb für „unbedingt erforderlich“, dass unabhängige Gutachter die elektrischen Einrichtungen und Kabelführungen unter die Lupe nehmen. Dabei sei auch die „qualitätsgerechte Installation“ zu überprüfen.

Was tut EDF jetzt?

Bei der Stromversorgung schlägt der Betreiber vor, in jedem Reaktorblock einen Notstrom-Diesel für Extremfälle aufzustellen. Entscheidend wird aber die Qualität dieser Aggregate sein, sagt Majer: Sie müssen Erdbeben und Überflutung „überleben“, sonst ist alles vergebens. Völlig unverständlich ist aus Sicht des Experten, dass die Notstrom-Aggregate erst bis zum Jahr 2020 installiert werden sollen. Diese Frist – wie auch die für andere vorgeschlagenen Schritte – sei viel zu lang.

Wie lässt sich ein drohender GAU in Cattenom beherrschen?

Bei einem „auslegungsüberschreitenden Störfall“ (Beginn der Kernschmelze) muss Druck abgelassen werden. EDF räumt ein, dass die Mitarbeiter dann die Steuerwarte verlassen sollten. Mit räumlich getrennten Notsteuerstellen ließe sich die Anlage dennoch weiter kontrollieren. In Cattenom gibt es nach Erkenntnissen der Beobachter aber nur ein „panneau de repli“. Es erlaube lediglich das normale Herunterfahren der Reaktoren und sei zudem im selben Gebäude wie die Steuerwarte angesiedelt. Der Druckentlastungsfilter könnte im Ernstfall außerdem nur wenig gefährliches Jod aus der Luft abscheiden – er entspreche nicht dem Stand der Technik. Jörg Hilpert