August 2011: Unbesiegbarer ist besiegt

Siegerpose: Muammar el Gaddafi war vier Jahrzehnte lang unantastbar.
Siegerpose: Muammar el Gaddafi war vier Jahrzehnte lang unantastbar. Foto: dpa

Muammar el Gaddafi herrschte vier Jahrzehnte lang über das libysche Volk. Der Arabische Frühling brachte ihn zum Sturz und sorgte auch in anderen Ländern für ein Umdenken – das Volk begann zu rebellieren. Gaddafis Tod ist ein Symbol.

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Ende August dieses Jahres titelte unsere Zeitung knapp „Gaddafi ist am Ende“. Das Hauptquartier des jahrzehntelangen Diktators war zuvor von den Rebellen gestürmt worden, die Übergangsregierung hatte bereits einen Zeitplan für das Libyen nach Muammar el Gaddafi vorgelegt und Wahlen binnen acht Monaten angekündigt.

Gaddafi war abgetaucht und kündigte aus seinem Versteck per Audiobotschaft einen Kampf „bis zum Märtyrertod oder Sieg“ an. Es war der Anfang vom Ende für den libyschen Diktator. Er wurde am 20. Oktober von Rebellen auf der Flucht gefangen und getötet.

Mehr als vier Jahrzehnte lang war Gaddafi als Despot an der Macht. 1969 ließ er sich vom „Bund der freien Offiziere“ an die Macht putschen und nach 1979 von seinem Volk als „Revolutionsführer“ feiern wie ein Messias. Nur etwa ein Fünftel der Bevölkerung seines Landes hatte je einen anderen Herrscher erlebt als ihn – Libyen war Gaddafi. Wie sehr der Diktator das libysche Volk ausbeutete, zeigte sich, als die Existenz eines gigantischen Milliardenvermögens nach seinem Sturz bekannt wurde.

Gaddafi war ein in der Welt verabscheuter und doch willkommener Vertreter Libyens. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy hieß ihn ebenso willkommen wie Italiens Silvio Berlusconi, und damit traten diese beiden Staatschefs jüngerer Historie nur in die Fußstapfen vieler anderer Regierungsvertreter. Überall in der Welt wurden gern (Militär-)Geschäfte mit Gaddafi gemacht – und gleichzeitig galt er als einer der kaltblütigsten Despoten der Moderne. Man empfing jenen als Staatsmann, dem längst allein innerhalb Libyens der Tod Hunderter Menschen angelastet wurde. Sein Regime verantwortete in Libyen eine unbekannte Zahl an Opfern, aber genauso wurde er nicht nur von den USA für den Anschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ im Jahr 1986 und für die Explosion eines US-Jumbos über dem schottischen Lockerbie zwei Jahre danach verantwortlich gemacht. Im Jahr 2003 gestand Libyen die Schuld an dem Anschlag von Lockerbie indirekt ein, bei dem 270 Menschen ums Leben gekommen waren: Es sagte die Zahlung von Entschädigungen zu.

Je nach politischer Lesart steckte hinter den beständig wechselnden Sonnenbrillen Gaddafis das Gesicht eines Freundes oder die hässliche Fratze eines Diktators. Damit passte der Libyer gut in eine Reihe mit anderen arabischen Herrschern. Noch im Frühjahr 2010 stellten sich in Gaddafis Geburtsstadt Sirte der ägyptische Präsident Husni Mubarak, Jemens Präsident Ali Abdullah Salih und der tunesische Staatschef Zine el Abidine Ben Ali nebeneinander auf. Es war das letzte gemeinsame Lächeln für ein Gruppenfoto – sie wurden alle vom Arabischen Frühling hinweggerissen. Gaddafi starb durch die Hand libyscher Rebellen, Mubarak sitzt im Gefängnis, Ben Ali ist im saudischen Exil. Der Jemenit Salih musste unter Zwang seine Rücktrittserklärung unterschreiben. Zudem wird seit diesem Frühjahr auch der syrische Präsident Baschar el Assad von Oppositionellen bedrängt – vorübergehend scheint seine als Folterregime verschriene Herrschaft noch stabil zu sein.

In der arabischen Welt ging wie mehr als 20 Jahre zuvor in Osteuropa ein Tor auf – 2011 war ein Jahr der Wende. Menschen, die sich jahrzehntelang in der Untergrund-Opposition fürchten mussten, gingen mit vielen anderen auf die Straße und erzwangen den politischen Wechsel. So brutale Gewalt ihnen auch entgegenschlug, sie hielten stand und sorgten für den Sturz der Despoten – es scheint auch in Syrien eine Frage der Zeit zu sein, wann Assad fällt. Es mag eine positive Auswirkung der Internetzeitalters sein, dass sich viele Menschen in neuzeitlichen Netzwerken besser verbinden konnten als je zuvor.

Der Sturz der Despoten wurde vom Rest der politischen Welt wohlwollend, aber zugleich kritisch begleitet. Lange genug hatten die Diktatoren von einst davor gewarnt, dass nach einem möglichen Sturz militante Islamisten an die Macht kommen würden. Sie haben Ängste geschürt, um ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit zu wahren. Sie sind an der Kraft der bürgerlichen arabischen Bewegung gescheitert.

Von unserem Redakteur Volker Boch

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