Wie Amazon & Co. dem Handel zusetzen

Ob Amazon, Zalando oder eBay: Die Online-Händler wachsen, während ihre Konkurrenten vor Ort schauen müssen, wie sie mit der neuen Konkurrenz zurechtkommen. Experten empfehlen den klassischen Einzelhändlern, sich auf ihre wahren Stärken zu besinnen: Nur im Laden kann der Kunde die Ware im Wortsinn begreifen. Foto: dpa
Ob Amazon, Zalando oder eBay: Die Online-Händler wachsen, während ihre Konkurrenten vor Ort schauen müssen, wie sie mit der neuen Konkurrenz zurechtkommen. Experten empfehlen den klassischen Einzelhändlern, sich auf ihre wahren Stärken zu besinnen: Nur im Laden kann der Kunde die Ware im Wortsinn begreifen. Foto: dpa

Berlin/Rheinland-Pfalz – Amazon & Co. sind auf der Überholspur. Rund 33 Milliarden Euro werden die Deutschen bis zum Jahresende in Online-Shops ausgegeben haben, schätzt der Handelsverband HDE.

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Von unserem Redakteur Jörg Hilpert

Umgerechnet sind das etwa 3,8 Millionen Euro jede Stunde. Und der Zuwachs ist enorm: Der HDE erwartet 12 Prozent plus für dieses Jahr, der Versandhandelsverband bvh sogar 21 Prozent.

Der klassische Einzelhandel hinkt weit hinterher. In den ersten zehn Jahren nach der Jahrtausendwende stagnierten die Umsätze bundesweit, erst seit 2010 geht es wieder aufwärts. Doch in den zurückliegenden zehn Jahren kamen gerade mal magere 5 Prozent Zuwachs zusammen – real, also unter Berücksichtigung der Inflation, ist das immer noch ein Minus, heißt es in einer Studie des E-Commerce-Experten Matthias Hell.

Was bleibt denn überhaupt noch für die Läden vor Ort? Eine ganze Menge, denn im Vergleich zu den rund 428 Milliarden Euro Umsatz im Einzelhandel ist die Online-Konkurrenz immer noch überschaubar. Aber sie wächst eben rasant. Und der Eindruck, dass sie dominierend ist, hängt auch mit der Werbepräsenz zusammen. „Schrei vor Glück“: Der Zalando-Slogan bleibt einfach im Kopf hängen.

Einige Bereiche stark unter Druck

Zudem sind einige Bereiche tatsächlich schon unter heftigen Druck geraten. Amazon und andere haben tiefe Spuren in den Bilanzen der Buchhändler hinterlassen: Der Online-Marktanteil bei Büchern beträgt schon rund 40 Prozent, schätzt die Hochschule Niederrhein. Zudem verbreiten sich die E-Books rasant. Laut Media Con-trol wurden im vergangenen Jahr etwa 12,3 Millionen der elektronischen Bücher abgesetzt – eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr. Zwar ist der Marktanteil mit 2 Prozent trotzdem noch sehr begrenzt. Doch Thalia-Chef Michael Busch sagt voraus: „Im Jahr 2015 wird rund ein Viertel aller Bücher digital gelesen.“

Bei Mode beträgt der Online-Marktanteil laut Hochschule Niederrhein derzeit gut 20 Prozent – Zalando lässt auch manch einen stationären Händler aufschreien, aber bestimmt nicht vor Glück. Ähnlich hoch ist der Anteil demnach bei Medien (wie Musiktiteln, die früher auf CD gekauft wurden) und Computern, kaum geringer bei der Unterhaltungselektronik. Das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) kommt mit breiter gefassten Produktkategorien zwar zu noch etwas niedrigeren Zahlen – zeigt aber auch den rasanten Zugewinn an Marktanteilen auf (siehe Grafik). Die Unternehmensberatung Roland Berger stellt in einer Studie fest: „Die Geschwindigkeit, mit der der Online-Handel aufholt, wird vielfach sogar unterschätzt.“ Händler dürften nicht gebannt wie Kaninchen vor der Online-Schlange sitzen, sondern müssten handeln. „Es ist fünf vor zwölf für viele konventionelle Einzelhandelskonzepte.“

Noch einigermaßen geschützt erscheinen Bereiche, in denen es um Produkte des täglichen Bedarfs geht: allen voran Lebens- und Körperpflegemittel. Doch auch da vollzieht sich ein grundlegender Wandel, der nur nicht so viel mit dem Internet zu tun hat. Obwohl die Umsatzentwicklung mau ist, wachsen nämlich seit Jahren die Verkaufsflächen.

Wie passt das zusammen? Erklärbar wird der vermeintliche Widerspruch beim Blick auf Verlierer und Gewinner. Massiv abgerutscht sind die Fachhändler, meist kleine oder mittelständische Betriebe. Ihnen wurde das Geschäft abgenommen von großen Fachmärkten oder Filialisten, schreibt Matthias Hell. Ähnlich sieht es bei den Lebensmitteln aus: Der klassische Supermarkt ist bedroht, zugelegt haben vor allem die Discounter der großen Ketten – oft angesiedelt auf der Grünen Wiese. Ob sie den Bogen jetzt mit Preiserhöhungen überspannen (siehe Wirtschaft), bleibt abzuwarten.

Die schnell heranwachsende Online-Konkurrenz trifft den Händler mitten im Ort also in einer ohnehin schon prekären Lage. Wird sie ihm den Garaus machen? Nicht, wenn er sich auf seine Stärken besinnt, sagen Experten: Nur im Laden kann der Kunde die Ware im Wortsinn begreifen, nur dort bekommt er unmittelbar kompetenten Rat. Wichtig ist allerdings, dass er den auch honoriert.

Blick in die Zukunft

Vollständig stoppen lässt sich der Exodus aus den Innenstädten ins Internet allerdings nicht mehr. Wie sieht die Zukunft des Handels aus? Das wollte eBay wissen und ließ Konsumenten befragen. 72 Prozent vermuten beispielsweise, dass in zehn Jahren Tickets aus den Läden verschwunden sein werden. Immerhin zwischen 50 und 60 Prozent erwarten das auch für Reisen, Bücher, Computer und Unterhaltungselektronik.

Bei anderen Dingen glaubt dagegen die große Mehrheit, dass es sie auch in zehn Jahren noch im Laden gibt: Lebensmittel werden da an vorderster Stelle genannt, aber auch Fahrzeuge, Möbel und Sportartikel erzielen hohe Werte. Die Kategorie „Kleidung, Schuhe, Schmuck“ kommt übrigens auf 78 Prozent – so laut muss der Zalando-Aufschrei vielleicht gar nicht ausfallen.