Hunsrück

Gemünden: Letzter Personenzug rollte vor 50 Jahren

Rechtzeitig zur Jahrhundertwende wollen die Bürger von Gemünden auf den Zug in Richtung Zukunft aufspringen: Sie fordern einen Bahnanschluss an den Eisenbahnknotenpunkt Simmern. Im Jahr 1888 richten sie ihren Wunsch sogar an den preußischen Verkehrsminister in Berlin. Doch es tut sich nichts. Ist der Zug für die Gemündener etwa schon abgefahren?

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Von unserem Redakteur Maximilian Eckhardt

Bei Tiefenbach lädt der Schienendrehkran die schwergewichtigen Gleisstücke auf einen Waggon. Und so schrumpft die 14 Kilometer lange Eisenbahnstrecke im Jahr 1964 mehr und mehr. Daran erinnert sich Ro

Andrang am Bahnhof in Gemünden: Auch die KdF-Sonderzüge des Dritten Reichs tragen nicht zur Auslastung der Strecke bei.

Eisenbahnfreunde

Der Schienendrehkran hievt die schwergewichtigen Gleise auf einen Waggon – unterstützt von Rottenarbeitern.

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Karl Brandenburger demontierte die Gleise von Gemünden bis Simmern.

Maximilian Eckha

Beim Rückbau werden die Gleisstücke, auch Gleisjoche genannt, auf einem Waggon gestapelt – bis zu sechs Stück übereinander. Anschließend werden sie zum Simmerner Bahnhof gefahren.

Jahre der Ungewissheit vergehen. Im Februar 1913 kommt die Sache doch noch ins Rollen. Die Eisenbahnstrecke zwischen Gemünden und Simmern wird genehmigt. Da ahnen wohl die Wenigsten, dass derselbe Streckenabschnitt bereits 50 Jahre später wieder stillgelegt wird. Unsere Zeitung hat sich mit einem Hunsrücker unterhalten, der bei der Demontage des 14 Kilometer langen Schienennetzes dabei war.

Plötzlich geht alles ganz schnell: Innerhalb weniger Monate demontieren Rottenarbeiter ab März 1964 die Eisenbahngleise zwischen Simmern und Gemünden. Einer von ihnen ist Karl Brandenburger aus Sargenroth. Der 78-Jährige blickt zurück: Für den Rückbau der gesamten Eisenbahnstrecke bedarf es damals nur acht Männer. Von Hand lösen sie an den Gleisstücken sämtliche Laschen, die am Schienensteg angeschraubt sind. Anschließend kommt moderne Technik zum Einsatz: Ab Gemünden lädt der Schienendrehkran die jeweils 15 Meter langen Gleisstücke auf einen Waggon – ein Gleisstück nach dem andern.

Man kann zusehen, wie die 14 Kilometer lange Eisenbahnstrecke von Tag zu Tag schrumpft. „Bis zu sechs Gleisjoche werden auf einem Waggon gestapelt. Bis zu fünf Waggons können pro Tag beladen werden„, verdeutlicht Brandenburger. Anschließend werden die schwergewichtigen Schienen samt Schwellen zum Bahnhof nach Simmern transportiert. Nach wenigen Monaten sind die Arbeiten vollendet und das Schienennetz aus dem Landschaftsbild verschwunden. „Die Strecke war schneller abgebaut als aufgebaut“, betont Karl Brandenburger.

Erster Spatenstich im November 1914

Der Bau der Eisenbahntrasse zwischen Simmern und Gemünden beginnt im November 1914 – und wird mit Unterbrechung knapp acht Jahre dauern. Hunderte Arbeiter werden benötigt. Sie verlegen Schienen, schütten Dämme auf, leisten Vorarbeiten und vieles mehr. Obwohl der Erste Weltkrieg bereits seit Sommer tobt, gehen die Arbeiten weiter. Beim Bau der Eisenbahnstrecke kommen neben italienischen Gastarbeitern und russischen Kriegsgefangenen auch Einheimische zum Einsatz. Zu jener Zeit sind die Arbeitsbedingungen alles andere als human. 16-Stunden-Arbeitstage sind keine Seltenheit. Und das bei einem Stundenlohn von gerade mal 25 Pfennig für Hilfsarbeiter. Den Menschen wird alles abverlangt, mindestens drei kommen ums Leben.

Erst im Jahr 1917 ruht der Baubetrieb entlang der Trasse. Allerdings nur vorübergehend. Kurz nach Kriegsende werden die Arbeiten wieder aufgenommen.Unterdessen nähren Hunger und Entbehrung, aber auch die Enttäuschung über die militärische Niederlage die demokratischen Bestrebungen in der Bevölkerung. Die Novemberrevolution läutet schließlich das Ende des Deutschen Kaiserreiches ein. Am 9. November 1918 beginnt mit der Ausrufung der Republik eine neue Epoche, die sogenannte Weimarer Republik. Nach und nach kehren Millionen deutsche Soldaten in die Heimat, die nun eine andere ist, zurück. Erwartungsgemäß steigt die Zahl der Arbeitslosen stark an. Jede Art von Arbeit ist nun willkommen. Auch im Hunsrück. Schnell werden viele Soldaten beim Bau der Eisenbahnstrecke zwischen Simmern und Gemünden eingesetzt – „eine reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme„, sagt Eisenbahnexperte Tom Eberitsch aus Frankweiler.

Am 1. Juli 1922, knapp acht Jahre nach dem ersten Spatenstich, geht die Eisenbahnstrecke schließlich ans Netz. Die Freude ist groß. Schon im Jahr 1888 sind in und um Gemünden immer mehr Stimmen laut geworden, die einen Bahnanschluss an den Eisenbahnknotenpunkt Simmern fordern. Rechtzeitig wollen sie auf den Zug in Richtung Zukunft aufspringen. Erst am 3. Februar 1913 wird der lang ersehnte Streckenbau genehmigt. Derselbe Abschnitt wird nur 50 Jahre später auch der erste sein, der im Hunsrücker Eisenbahnnetz stillgelegt wird. „Von Anfang an ergab das ganze Projekt wirtschaftlich keinen Sinn“, verdeutlicht Eberitsch. Der letzte Personenzug zwischen Simmern und Gemünden verkehrt am 24. November 1963 – bald 50 Jahre ist es her. Wenig später beginnt die Demontage der knapp 14 Kilometer Eisenbahnstrecke.