Daniel Oesterle hat es im Urlaub mit seiner Frau erfahren. Als Rucksacktourist. Auf den Philippinen. „Und dann haben wir erst mal gefeiert.“ Das ist wenig verwunderlich. Er hatte jahrelang auf diese Botschaft gewartet. Nun war sie da. Oesterle empfand Erleichterung in diesem Moment. Und Freude. Es war ihm auch klar, dass sich in seinem Leben fortan einiges ändern wird. Doch das hatte er ja so gewollt.
Als Daniel Oesterle (37) auf den Philippinen sein Smartphone zückte und in seinem E-Mail-Eingang stöberte, fand er die Zulassungsbestätigung für ein Studium der Humanmedizin an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Jahrelanges Warten hatte sich gelohnt. Und die E-Mail war gerade rechtzeitig eingetrudelt. Schließlich galt für ihn mittlerweile die Devise: jetzt oder gar nicht mehr. „Ich hatte mir diese Deadline gesetzt“, betont Oesterle ein Jahr später. Er sitzt in der Cafeteria des Diakonie-Krankenhauses – als immatrikulierter Medizinstudent im dritten Semester an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. „Wenn es 2016 nicht geklappt hätte, wäre es das gewesen. Dann hätte ich aufgegeben.“
Sieben Jahren hatte er sich geduldet, Wartesemester angesammelt und zig Absagen registriert. Dann die Zusage. Und nun ist Oesterle im Begriff, seinen Traumberuf zu ergreifen. Er hat aber noch einen langen Weg vor sich. Physikum, Famulatur, praktisches Jahr, schriftliche Prüfungen. Doch Oesterle ist guter Dinge. Er kann zielstrebig sein. Das beweist sein Lebenslauf.
Der 37-Jährige arbeitet seit dem Jahr 2002 als Krankenpfleger im Bad Kreuznacher Diakonie-Krankenhaus. Davor standen die Ausbildung, der Zivildienst und der Realschulabschluss, den er an der Bad Kreuznacher Berufsschule gemacht hatte. Eher pflichtbedürftig, wie er zugibt. „Ich war jung, ich hatte keine Lust mehr auf Schule. Es war mir egal.“ Er wusste auch nicht so recht, was er beruflich mal machen wollte. Dann begann er die Ausbildung zum Krankenpfleger. Danach stand für Oesterle relativ schnell fest: „Ich will irgendwann Arzt werden.“
Also machte er, mittlerweile vier Jahre im Krankenhaus berufstätig, ab 2006 seine Hochschulreife am Ketteler-Kolleg in Mainz nach. Arbeiten ging er weiterhin. Er verlagerte den Großteil seiner Tätigkeiten im Krankenhaus auf die Wochenenden, auf die Nächte oder die Ferien. „Im Sommer habe ich auch mal vier Wochen durchgearbeitet“, erinnert er sich. Der Aufwand lohnte sich. Im Jahr 2009 stand das Abitur. Die Grundvoraussetzung für sein Studium.
Warum Daniel Oesterle Arzt werden will? „Mein Ziel war es immer, irgendwann einen weiteren Schritt zu machen.“ Und da bleibt nach der Ausbildung zum Krankenpfleger als größtmöglicher Schritt das Medizinstudium. Bekannt ist, dass die Krankenhäuser in Bad Kreuznach bestrebt sind, Medizinstudenten für sich zu gewinnen, etwa dann, wenn sie dort ihr Pflegejahr vor der Examensprüfung absolvieren. Viele zieht es allerdings in die großen Metropolen. Zwischen Oesterle und dem Diakonie-Krankenhaus könnte das anders sein, wenn sich sein Studium dem Ende zuneigt. Eine Verbindung erscheint sinnvoll. Er kennt dort alles und jeden, hat verschiedene Stationen durchlaufen, lange Zeit in der Inneren Medizin oder der Anästhesie gearbeitet. In der Notaufnahme ist er noch eingesetzt: Er hat neben dem Studium eine 30-Prozent-Stelle. Das sind sechs bis sieben Schichten im Monat.
Doch darüber, ob er den Schritt vom Krankenpfleger zum Arzt in seiner beruflichen Heimat machen will, muss er sich erst noch klar werden. „Hier der Pfleger, dort der Arzt, klar gibt es diese Hierarchie. Das eine ist eine dreijährige Ausbildung, das andere ein sechsjähriges Studium“, weiß Oesterle. Bleibt er, ist er seinen Kollegen von jetzt auf gleich vorgesetzt. Er ist ein lockerer Typ, macht gerne Späße. Ob das dann so einfach funktioniert? Umgehen ließe es sich dadurch, irgendwo anders anzuheuern. Beides ergibt also Sinn.
Doch das ist alles noch Zukunftsmusik. Sein Studium muss er erst mal abschließen. „Das Lernen fällt mir nicht so leicht wie einem Einser-Abiturienten, der frisch von der Schule kommt“, sagt Oesterle. Er hat aber Kommilitonen, denen es ähnlich geht, die seinem Jahrgang entsprechen oder älter sind. „Wir haben einen Piloten, der über 50 ist“, verrät er. Gemeinsam wird gelernt und auch mal gefeiert. „Aber eben nicht bis 5 Uhr.“
Eine Prüfung hat er seit Beginn des Studiums nicht bestanden. „Das war knapp“, betont er. Zweimal kann er sie nachholen. Sobald es von der Theorie in den ersten Semester in den praktischen Teil des Studiums geht, glaubt Oesterle auch, sehr von seiner Berufserfahrung zu profitieren, „gerade im Umgang mit Menschen“. Und wenn er fertig ist, zieht es ihn als Arzt in die Anästhesie. Das ist zumindest der jetzige Stand.
Doch was ist mit dem nächsten Urlaub? Geht's irgendwann wieder mit dem Rucksack los oder bleibt dazu keine Zeit mehr? „Das machen wir weiterhin“, sagt Oesterle. Es hat sich viel für ihn verändert seit dieser Nachricht auf den Philippinen – aber eben nicht alles. ce