Hoffnung statt Flucht: Kinderambulanz aufgebaut

Lahnstein und das französische Vence helfen in einer Dreieckspartnerschaft der Stadt 
Ouahigouya. Mit dem „Hammer Forum“ und HELFT UNS LEBEN (Initiative der Rhein-Zeitung) sind jetzt weitere Partner hinzugekommen, die eine Kinderambulanz aufgebaut haben.

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Von unserem Redakteur Ulf Steffenfauseweh

Gründe abzuhauen, hätte es genug gegeben. Ein Präsident, der sich vor 27 Jahren ins Amt geputscht hat und die Verfassung biegen will, um nicht abdanken zu müssen. Massenproteste, ein neuerlicher Putsch, das Militär (wieder) an der Macht. Politische Ungewissheit. Dazu Platz 181 von 187 auf dem Index für humane Entwicklung (Human Developement Index). Burkina Faso ist bitterarm. Doch teilen die Menschen noch das Wenige, das sie haben. Aus dem benachbarten Mali fliehen Tausende vor islamischen Extremisten, vor allem im Norden des Landes bilden sich Flüchtlingslager. „Die Burkiner sind für ihre Gastfreundschaft bekannt und teilen ihr Weideland mit denen, die sie als ihre Gäste ansehen“, sagt Kristina Rauland-Yambré, die seit 2005 für die Bonner Hilfsorganisation „Help“ im Sahel arbeitet. Dann kommen Anfang 2013 die Franzosen und stoppen den militärischen Vormarsch der Fundamentalisten, die Camps jedoch leeren sich nur langsam.

Gründe abzuhauen, hätte es genug gegeben. Es gibt sie noch. Doch in einer Welt, in der fast 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind, bleiben die Burkiner zu Hause. Gerade einmal 1182 Menschen verlassen ihr Land. 0,006 Prozent der Bevölkerung. Warum, das ist schwer zu erklären. Den einen Grund gibt es nicht. Aber einen Grund findet man im Norden: 60 Kilometer von der Grenze zum unruhigen Mali entfernt liegt Ouahigouya (sprich: Wa-hi-gu-ja). Knapp 130 000 Einwohner hat die Stadt, die meisten von ihnen gehören der Volksgruppe der Mossi an. Es gibt ein eigenes Bistum. Und vor allem gibt es eine einzigartige Partnerschaft: Seit 37 Jahren versuchen Menschen aus dem französischen Vence und aus Lahnstein, ihren afrikanischen Freunden zu helfen.

„Wir haben die Stadt verändert“, ist sich Wolfgang Blüm sicher, und ein wenig Stolz schwingt mit in seiner Stimme. „Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass die Menschen nicht fliehen“, meint er. Und auch wenn er weiß, dass das erst einmal ein wenig vermessen klingt, ist er sicher: Die trilaterale Kooperation gibt den Menschen Hoffnung.

1978 wird die Dreier-Städtepartnerschaft Lahnstein-Vence-Ouahigouya offiziell gegründet, Blüm ist damals schon die treibende Kraft auf deutscher Seite. Nur zwei Jahre später schwärmt die „Zeit“ vom außergewöhnlichen Konstrukt: „Brillen für Ouahigouya“ lautet die Überschrift eines Artikels, in dem der Autor auch beschreibt, dass sich die Lokalredaktion der RZ als Sammelstelle für Babykleidung zur Verfügung stellt.

Knapp 40 Jahre und 100 Projekte später ist unsere Zeitung wieder mit im Boot, genauer ihre Leser-Spendeninitiative HELFT UNS LEBEN. Die stellt 80 000 Euro zur Verfügung, um den Bau einer Kinderambulanz am örtlichen Klinikum zu realisieren und sie auszustatten. Vor wenigen Wochen ist das Gebäude eingeweiht worden. „Wir haben in all den Jahren über 100 Projekte verwirklicht, aber das setzt dem Ganzen wirklich die Krone auf“, freut sich Blüm über das Engagement seiner Zeitung.

Damit es dazu kommen kann, braucht es aber eines weiteren Partners, an dessen Spitze ebenfalls ein Mann steht, der seit Jahrzehnten mit großem Engagement gegen das Elend der Welt kämpft: Dr. Theophylaktos Emmanouilidis ist der Vorsitzende des „Hammer Forums“, einer Ärzteorganisation aus der gleichnamigen Stadt in Westfalen. Praktisch permanent reist der 76-jährige Chirurg mit griechischen Wurzeln in Kriegs- und Krisengebiete, um Kindern zu helfen. Er baut mit seinen Mitstreitern Ambulanzen auf, schult einheimische Ärzte und operiert immer wieder selbst. Besonders schwere Fälle nimmt er mit nach Deutschland, um sie hier zu behandeln.

In Eritrea und Guinea, dem Jemen und dem Kongo, in Sierra Leone, Südsudan und Syrien unterhält das „Hammer Forum“ funktionierende Stützpunkte, als „Dr. Theo“ 2013 mit ungebrochener Energie nach einem nächsten Projekt sucht. Als er in Burkina Faso ankommt, erkennt er sofort die Notwendigkeit. Er fährt durch das Land, besichtigt Kliniken, die als Basis für eine Kinderambulanz benötigt werden, und entscheidet sich schließlich für Lahnsteins Partnerstadt.

Dank eines persönlichen Kontakts zu HELFT UNS LEBEN wird er wenig später in Koblenz vorstellig und schildert dort sein ehrgeiziges Vorhaben. Er will eine Kinderambulanz bauen lassen – von einheimischen Arbeitern unter Federführung eines Projektleiters der Hammer Organisation. Forums-Ärzte sollen dort jährlich 8000 bis 10 000 Kinder behandeln und zwischen 150 und 200 Operationen durchführen.

Nach zehn Jahren, so der Plan, sollen Infrastruktur und Know-how des dortigen Personals so weit sein, dass die Station an das Gesundheitsministerium übergeben werden kann. Die HUL-Vorstandsmitglieder sind beeindruckt. Und als auch Blüm Feuer und Flamme ist und signalisiert, dass der Lahnsteiner Freundeskreis gern einsteigt (zunächst beratend, später zur Verbesserung der Ausstattung), fällt der Beschluss einstimmig.

Wie so oft in Afrika dauert es dann ein wenig, bis das Projekt fertig ist. Hätte er in der Hauptstadt die richtigen Stellen geschmiert, wäre es wohl schneller gegangen. Doch das lehnt Dr. Theo so prinzipiell wie entschieden ab. „Keinen Cent“, unterstreicht er. Und es funktioniert ja auch so. Im Frühjahr wird die Kinderambulanz feierlich eingeweiht.

Einheimische Ärzte behandeln seither dort die ärmsten Kinder auf Rechnung des Hammer Forums. Und Dr. Theo selbst ist im November zum zweiten Mal nach der Fertigstellung am Ort, um fortzubilden und zu operieren. Einem zweijährigen Jungen, der abgemagert, ausgetrocknet und ziemlich apathisch in die Klinik kam, holt er Zysten und einen Dreiviertelliter Eiter aus dem Körper, bei einem jungen Mann, dessen Arm schwere Verletzungen durch eine Machete aufwies, versorgt er die Brüche mit einem Hausbohrer. Insgesamt führt er in 14 Tagen 101 Untersuchungen und 34 Operationen durch.

Perfekt, so erzählt er im Gespräch mit unserer Zeitung, ist alles noch nicht. Vor allem macht er sich Gedanken über ein Transportsystem. Denn wenn die neue Station morgens öffnet, sitzen zwar zahlreiche Burkiner vor der Tür, um behandelt zu werden. Dr. Theo weiß aber, dass die rund acht Kilometer Entfernung vom Stadtzentrum vielen Kranken den Besuch noch unmöglich machen. Doch er ist zuversichtlich, das hinzubekommen. „Gerade im afrikanischen Vergleich sind die Burkiner sehr gut organisiert“, hat er festgestellt – und er kennt viele Beispiele.

Dazu passt, dass nicht nur in Ouahigouya, sondern im ganzen Land die Zukunft derzeit etwas besser aussieht. Am 29. November finden die ersten freien Wahlen seit 55 Jahren statt. Roch Marc Christian Kaboré, der sich selbst als sozialdemokratisch begreift, gewinnt. Und sein stärkster Rivale, Zéphirin Diabré, erkennt den Wahlsieg sogar an, gratuliert ihm persönlich. Kommentatoren wie Wolfgang Blüm schwärmen schon von einem „afrikanischen Frühling“, in jedem Fall ist es ein Schritt in Richtung Demokratie. So gibt es im Kleinen wie im Großen mehr Hoffnung. Hoffnung, die abhält abzuhauen.

Die Leser-Aktion der Rhein-Zeitung

HELFT UNS LEBEN ist nicht nur eine Advents- und Weihnachtsaktion, sondern engagiert sich das ganze Jahr über für Menschen, vor allem Kinder, in Not. Dem Verein sitzen Fred Pretz und Manuela Lewentz-Twer vor. Geschäftsführer sind Hans Kary und Peter Burger.

Schwerpunkt in der Region Seit mehr als 25 Jahren unterstützt HUL Projekte auf der ganzen Welt. Der Schwerpunkt der Hilfe liegt dabei allerdings ganz klar im Verbreitungsgebiet der Rhein-Zeitung. „Not gibt es auch vor unserer Haustür“, weiß Lewentz-Twer.

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