Ein erster kleiner Sieg für Victory

Es hat etwas ironisches: Dieses V, das da trotzig auf dem Podest in der Mitte des Dorfes prangt. V wie Victory – Sieg – und drum herum wildes Grün, abgeknickte Bäume, Bretterbuden und unbefestigte Straßen.

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Dorfgemeinschaftshaus
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(Barrangay-
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In Victorys Dorfmitte steht ein V. Im Hintergrund ist das schwer beschädigte Dorfgemeinschaftshaus (Barrangay-Hall) zu sehen.

Ulf Steffenfauseweh

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Von unserem Redakteur Ulf Steffenfauseweh

Victory, so heißt das Dorf, das auf der philippinischen Insel Leyte rund 30 Kilometer südlich von Tacloban liegt. Woher der Name kommt, kann man auf der verwitterten Denkmalbeschreibung nicht mehr lesen, aber der Grund liegt zweifelsfrei in der Vergangenheit: Vor 70 Jahren, im Oktober 1944, tobte im Golf von Leyte die größte Luft- und Seeschlacht der Geschichte. Die Alliierten siegten und befreiten die Philippinen von den japanischen Besatzern. Victory!

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„Das Ende der Welt“

Aber heute? Was ist in Victory geblieben? Seit einem Jahr wenig: Es ist der 8. November 2013, als Taifun Haiyan über das Dorf drischt. Mit einer Geschwindigkeit von fast 300 Kilometern in der Stunde knickt er die Kokosbäume um, mäht Hütten und Häuser nieder. Es gibt Tote. Praktisch nichts lässt der Tropensturm stehen. „Ich dachte, es ist das Ende des Welt“, erinnert sich Dennis Kempis (28), der sich während der Katastrophe mit 100 weiteren Menschen im Haus seiner Großmutter verkrochen hatte, weil das vergleichsweise solide gebaut war.

Die Barangay-Hall – so etwas wie das Dorfgemeinschaftshaus – lässt die Zerstörungskraft des Taifuns noch rund ein Jahr danach erahnen: Das Gebäude neben dem kleinen Kreisverkehr mit dem V ist mit einem Wellblechdach gedeckt, das zwar mit Planen geflickt ist, aber trotzdem noch Löcher hat. Das ganze Haus sieht aus, als würde es jeden Moment zusammenbrechen. Und so nimmt an dem massiven Ratstisch im Erdgeschoss niemand mehr Platz, um über Victorys Zukunft zu sprechen. Diese Entscheidungen werden jetzt in der Dorfschule getroffen. Doch dazu später mehr.

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Unmittelbar nach dem 8. November müssen die Menschen in Victory um ihr Überleben kämpfen. Der Sturm hat die Dächer weggeweht, und was er im Inneren der Hütten gelassen hat, haben die schweren Regenfälle, die parallel niedergegangen sind, durchweicht. Vor allem der Reis, das Grundnahrungsmittel schlechthin in Victory, ist – einmal feucht geworden – nicht mehr lagerbar.

Die Menschen sammeln Früchte und schreiben SOS auf ihre Gebäude. Doch Hilfstransporte kommen keine. Auch in der Kleinstadt Dulag, zu der Victory verwaltungstechnisch gehört, bleiben die Lieferungen aus. Die einzige Hauptstraße, die rund um Leyte führt, ist nach dem Taifun nicht mehr befahrbar: Ungezählte Bäume und weggewehte Teile versperren die Durchfahrt.

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Die Preise für alle möglichen Waren schnellen in die Höhe, weil es fast nichts zu kaufen gibt. Hinzu kommen fast anarchistische Zustände, die sich geflohene Insassen eines nahen Gefängnisses zu nutze machen. Erst nach ein paar Tagen bessert sich die Situation etwas: Als die Straße freigeräumt ist, kommt das Militär, das die Regierung in Manila geschickt hat, um wieder für Ordnung zu sorgen. Und endlich kommen in die Region auch Hilfstransporte aus aller Welt. Nicht jedoch nach Victory.

Die Lage des Dorfes abseits der großen Straße ist fatal, weil sich die internationalen Helfer entlang der Hauptverkehrsader bewegen und dort so viel Bedarf sehen, dass sie gar nicht erst weiter suchen.

Erst nach einigen Wochen ändert sich das: Lou Velasco trifft in Victorys Nachbardorf Rawis ein und übernimmt mit seiner Missionarsorganisation „Youth with a mission“ eine Patenschaft über die Siedlung. Dort trifft der Mann aus Davao – ganz im Süden der Philippinen – auch Dennis Kempis. Der ist zwar eigentlich Friseur und Eventorganisator, kümmert sich nun aber vor allem um die gerechte Verteilung der Hilfen in Rawis. Und Kempis ist es auch, der Velasco Victory zeigt, als der eine weitere Hilfsquelle auftut, die nach einem sinnvollen Projekt sucht. Dort, so sagt der junge Mann uneigennützig, sei die Not ebenso groß.

Ulf Steffenfauseweh

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Kleinmaischeiderin will helfen

Auf diesem Weg kommt Esther Wittstock in das kleine Dorf. Die 23-jährige Studentin aus Kleinmaischeid (Kreis Neuwied) kennt Lou Velasco aus Davao, weil sie dort mehrfach und monatelang in einem SOS-Kinderdorf geholfen und sich in das Land und seine Leute verliebt hat. Nach der Katastrophe will sie auch im Taifungebiet helfen und wendet sich auf der Suche nach einem geeigneten Projekt an den Missionar. Dazu passt, dass Wittstock Mitglied bei „Charity Event“ ist. Der Verein Westerwälder Studenten stellt Veranstaltungen auf die Beine und finanziert vom Erlös Hilfsprojekte.

Schnell hat sie ihre Vereinsmitstreiter überzeugt, in die Schule von Victory zu „investieren“. Denn hier ist kaum ein Gebäude heil geblieben. Vor allem die Dächer fehlen, sodass die Kinder in provisorischen Zeltverhauen unterrichtet werden müssen. Dort staut sich die drückende Hitze fast unerträglich, und wenn mal wieder ein Monsunregen niedergeht, fließen Bäche durch das Klassenzimmer, wird der Boden zu Matsch.

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Charity Event plündert sein Konto, stellt 2500 Euro zur Verfügung. Ein Anfang. Koordiniert von Lou Velasco bekommen von diesem Geld zwei insgesamt noch solide stehende Gebäude neue Dächer, ein weiters kann repariert werden.

Doch es bleibt viel zu tun. Da passt es, dass in Deutschland RZ-Volontär Stefan Hantzschmann vom Engagement Esther Wittstocks erfährt. Er schreibt nicht nur einen Artikel über sie, sondern vermittelt die Studentin auch an HELFT UNS LEBEN. Und bei der Leser-Spendeninitiative unserer Zeitung trifft sie mit ihrer Anfrage auf offene Ohren. Ein sinnvolles Projekt für Kinder in Not, verbunden mit der Unterstützung einer engagierten Frau aus dem Norden von Rheinland-Pfalz: Für den HUL-Vorstand ist das die ideale Konstellation, um einen Teil der für die Taifunüberlebenden gespendeten Gelder zu investieren.

Als Esther Wittstock dann Anfang Mai einen plausiblen Kostenvoranschlag einreicht, herrscht in Koblenz schnell Einigkeit, das Projekt zu finanzieren. Für 8300 Euro sollen ein Ein-Raum-Gebäude, von dem nur noch die Grundmauern stehen geblieben sind, das Lehrerzimmer und sanitäre Anlagen wieder aufgebaut werden. Anstriche, Regale sowie Bücher und Schulzubehör sind in der Kalkulation ebenfalls enthalten.

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Das Dorf packt mit an

Sobald die Mittel freigegeben sind, wird das Material gekauft, und das Dorf packt beim Wiederaufbau mit an. Als Esther Wittstock Ende August wieder in Victory ist, sind diese Arbeiten bereits abgeschlossen. Und auch wenn insgesamt noch einiges fehlt: Das Dorf feiert zu diesem Anlass für und mit seinen Unterstützern ein großes Dankesfest. Alles ein wenig improvisiert, aber unbeschwert. Dass aus dem Lautsprecher die deutsche Hymne, die mit dem Smartphone aus dem Internet heruntergeladen und via Telefon ans Mikrofon gehalten wird, mit allen drei Strophen durch die Tropenluft scheppert, lässt auch die deutschen Gästen in diesem Moment bloß schmunzeln: Die Herzlichkeit der Philippinos überdeckt diese Unwissenheit problemlos. Und als Schüler, Lehrer und Eltern nach Reden und Vorführungen zu Ehren der Helfer aus dem fernen Land ausgelassen zu den Klängen aus der alten Musikanlage tanzen, sitzt Esther Wittstock einen Moment etwas abseits, schüttelt kurz den Kopf und flüstert: „Unglaublich – als ob nichts gewesen wäre.“

„Danke Welt“ steht auf dem T-Shirt von Dennis Kempis.
Foto: Ulf Steffenfauseweh

Dennis Kempis erzählt wenig später, dass die Schule nicht nur der einzig schöne Ort für die Kinder ist, sondern der Stolz des ganzes Dorfes: So ist der Wiederaufbau, der noch lange nicht gänzlich abgeschlossen ist, immerhin ein erster kleiner Sieg für Victory nach dem Taifun.