Der Dompteur am Handgelenk

Der Dompteur am Handgelenk Foto: frei

Gut geschlafen? Zu viel gegessen? Ausreichend bewegt? Ein kleines Armband kennt angeblich die Antwort auf all diese Fragen.

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Von unserer Redakteurin Nicole Mieding

Gut geschlafen? Zu viel gegessen? Ausreichend bewegt? Gewöhnlich beschleicht mich bei solchen Fragen ein Gefühl von Missbehagen in der Magengegend. Mit dem soll es nun mein neuer Freund aufnehmen: ein Fitnesstracker. Das Gummiarmband mit Bewegungssensor misst angeblich zuverlässig Kalorienaufnahme, -verbrauch und Schlafverhalten und sendet die Daten zur Kontrolle an Handy oder PC: Selbstbetrug adé.

Aussehen: Der Fitbit Flex ist eines von unzähligen Modellen zur Selbstvermessung, die der Markt inzwischen offeriert. Inspiriert vom angesagt-minimalistischen Apple-Design, wird er in einer Klarsichtverpackung geliefert, die das Silikonarmband auf einem kleinen Sockel präsentiert, als wär's ein Juwel hinter Panzerglas bei Tiffany's. Im Pappsockel versteckt sind ein zweites Armband (für schmale Handgelenke), das eigentliche Messinstrument und ein USB-Ladekabel, über das der Tracker auch mit dem PC kommuniziert.

Anschließen: Statt Gebrauchsanweisung gibt's einen Internetlink zur App, die durch das Installationsprozedere führt. Sollte mit ein paar Klicks erledigt sein – vorausgesetzt, dass man Mitglied im Fitbit-Klub wird. Klar: Die Selbstvermessung funktioniert nicht, ohne dass man einige persönliche Daten preisgibt. Neben Name und Mailadresse sind das Geschlecht, Gewicht und Geburtstag. Ich bin gespannt, was das Fitnessprogramm damit so alles anstellen wird ...

Leider wird es mit dem Loslegen so schnell nichts: Der Akku ist geladen, die Anmeldemaske im Internet mehrfach ausgefüllt, aber: Der Tracker antwortet nicht. Das versprochene Begrüßungsvibrieren bleibt aus. Freut er sich vielleicht nicht? Ich frage Klubmitglieder auf der Hilfeseite im Internet um Rat. Das Problem scheint der Fitbit-Gemeinde hinlänglich bekannt: Noch Tage später landen Mails von Fremden in meinem Postfach, die Anwendungsfehler abfragen und mir Tricks mit Stecknadeln verraten. Aber selbst Voodoo hilft nicht – ich sende den Tracker zurück und bekomme ein Tauschmodell, das auf Anhieb reagiert. Na also.

Loslegen: Der erste Tag mit Fitbit beginnt erfreulich: Nach dem Aufwachen leuchten zwei von fünf Dioden. Heißt, ich bin schon halb am Ziel! Ist wohl als Anschubhilfe zu verstehen – Kalorien verbrennt man auch im Schlaf. Fortan sind der Tracker und ich unzertrennlich. Laufen, Schwimmen, Schlafen, Duschen: macht er alles ohne Murren mit. Das verstellbare Armband lässt ausreichend Luft an die Haut, sodass man auch bei Sonne und Sport darunter nicht schwitzt. Volle Punktzahl beim Tragekomfort.

Erfolge und Misserfolge: Ja, fünf kleine Lämpchen am Arm können tatsächlich motivieren! Als zum ersten Mal alle Dioden aufblinken und der Schweinehund-Dompteur am Arm anerkennend vibriert, durchzuckt mich ein Freudenschauer. Ich bin angespornt, lege eine zusätzliche Mittagsrunde ein, gehe schwimmen. Zur Belohnung schickt mir Fitbit virtuelle Urkunden („Glückwunsch, du bist heute 10 000 Schritte gegangen!“) und dokumentiert meinen Eifer im wöchentlichen Fortschrittsbericht. Bald habe ich mir das 50-Kilometer-Abzeichen verdient. Fühlt sich an wie damals die Siegerurkunde bei den Bundesjugendspielen.

Leider weiß Fitbit nicht, wie intensiv die Bewegung ist, weil das Armband weder Puls- noch Höhenmesser hat. Ich muss jede sportliche Aktivität einzeln erfassen, auch jede Mahlzeit, damit es Kalorien zählen und meine Energiebilanz berechnen kann. Mein Alltag beschert mir plötzlich eine gehörige Portion Verwaltungsaufwand. Dabei sollte ich doch eigentlich weniger am PC sitzen und mich stattdessen mehr bewegen ... Nun macht mich ein Armband zu meiner eigenen Sekretärin. Das Prinzip gleicht dem guten alten Kalorienzählen, nur dass dafür eigentlich ein Stift und eine Energiewerttabelle genügen.

Fazit: Radfahren auf holpriger Strecke aktiviert den Schlafmodus – angeblich klappt die Schlaf- und Gewichtsüberwachung besser, sobald man den kabellosen Schlaf- und Aktivitätstracker und die intelligente WLAN-Waage von Fitbit erstanden hat. Und ja, vermutlich hätte ich länger durchgehalten, wäre ich wie vorgesehen mit meinen Facebook-Freunden in einen virtuellen Wettbewerb getreten. Aber muss es die interessieren, wie viele Runden ich täglich um den Block jogge?

Als ich merke, dass mein Fitnesscoach mir auch einen Verbrauch von 1322 Kalorien attestiert, wenn er den ganzen Tag auf meinem Nachttisch liegt, kündige ich ihm die Freundschaft und übernehme wieder selbst die Regie über mein Sportprogramm. Knapp 100 Euro sind viel Geld für einen nicht sehr präzisen Schrittzähler, der sonst nicht viel kann. Zu diesem Preis malt mir mein kleiner Neffe gleich ein ganzes Buch voller Siegerurkunden.