Hallo, hier Robinson, ist heute schon Freitag?

Weiße Strände, türkisblaues Wasser: Nein, das ist keine Fata Morgana, sondern ein Anblick, der sich einem auf den Seychellen quasi an jeder Ecke bietet. Foto: Nicole Mieding
Weiße Strände, türkisblaues Wasser: Nein, das ist keine Fata Morgana, sondern ein Anblick, der sich einem auf den Seychellen quasi an jeder Ecke bietet. Foto: Nicole Mieding

Per Segelschiff durch die Seychellen: Beim Inselhopping im Indischen 
Ozean geht jegliches Zeitgefühl verloren.

Lesezeit: 8 Minuten
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Von unserer Redakteurin Nicole Mieding

Was nimmt man nicht alles auf sich, um sich einmal im Leben wie auf der berühmten einsamen Insel zu fühlen. Für den Eindruck, der einzige – oder gar erste – Mensch auf einem Eiland zu sein, muss man nämlich recht weit fliegen. Zu den Seychellen zum Beispiel. Und spätestens am Check-in-Schalter im Flughafen dämmert es einem dann, dass das mit dem Einsame-Insel-Gefühl nicht ganz hinhauen kann ...

Dennoch, als einen nach einer 90-minütigen Überfahrt von Mahé die Schnellfähre („Jetty“) auf die Kokosnussinsel La Digue im Indischen Ozean spuckt, der Blick über türkisblaues, werbefernsehtaugliches Wasser schweift und sich kurze Zeit später die Zehen in pulverisierte Korallen bohren, die der Indische Ozean in seiner Unermüdlichkeit zu feinstem schneeweißen Sand zermahlen hat, ist es da, dieses Robinson- Gefühl. Obgleich mit der Sehnsuchtsfähre noch ein paar andere angekommen sind. Alle haben den Laufzettel ihres Reiseveranstalters in der Hand, werden von lächelnden Menschen mit strahlend weißen Hemden und Tropenhüten empfangen, wie Päckchen in einer Postfiliale auf verschiedene Busse verteilt und tatsächlich vor der Tür des jeweils richtigen Hotels, Gäste- oder Ferienhauses abgeliefert.

Ausgebremst im Paradies

Da sitzt man nun im Paradies, gut neun Flugstunden vom Büroschreibtisch entfernt und auf einen Schlag ausgebremst von Tempo 120 auf 0. Keiner will was, vom Doppelbett glotzen nur verliebt schnäbelnde Handtuchschwäne. Die überall im Zimmer verteilten Hibiskusblüten sind eingesammelt und entsorgt (wegen der Ameisen!). Durch die Spalten der heruntergelassenen Jalousie zwängt sich der versprochene Blick: weißer Traumstrand mit Kokospalmen, Wasser wie im Swimmingpool gleich hinterm Zebrastreifen. Quatsch, Hotelfenster natürlich.

Also raus. Umgebung erkunden. Busse und Taxis gibt's hier nur, um Touristen die paar Schritte vom Fähranleger zu ihren Betten zu kutschieren. Weil die noch nicht wissen, dass man auf der knapp zehn Quadratkilometer großen Insel alles zu Fuß erreichen kann. Überdies verkehren Ochsenkarren, die Hochzeitspaare über die Insel schaukeln oder gestrandete, halb verdörrte Touristen am Straßenrand einsammeln und für ein paar Seychellen-Rupien zu ihrem Hotel zurückbringen. Die Einheimischen gehen meist zu Fuß oder steigen, wenn sie faul sind, aufs Fahrrad. Die gibt's für Ausländer, die sich die Insel angucken wollen, auch zu mieten. Zur Ausstattung zählt ein Korb (fürs Handtuch), aber kein Schloss: Klauen lohnt sich offenbar nicht. Zudem kennt hier jeder jeden. Und spätestens am Fähranleger ist ja ohnehin Schluss ...

So schön kann Stranden sein...

Nicole Mieding

Koch Haley auf der „Sea Pearl“ auf Dinner-Fang.

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Sonnige Gemüter: gut gelaunte Girlie-Clique auf Mahé.

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Wet landing heißt so viel wie „beim Aussteigen gibt's nasse Füße“: An diesen Bilderbuchstrand werden die Passagiere der „Sea Pearl“ mit dem Beiboot gebracht.

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Takamaka, das ist nicht nur der markante Seychellen-Baum und eine malerische Bucht auf Mahé, sondern auch die einheimische Rumsorte, ein typisches Reisemitbringsel.

Nicole Mieding

Verloren im Paradies? Zum nächsten Traumstrand geht's hier lang!

Nicole Mieding

Die Frage nach dem Weg zum Traumstrand erübrigt sich. Er liegt unmittelbar vor der Tür. Ob es vielleicht noch einen besseren gibt? Die Erkundungsfahrt verhilft im tropischen Klima immerhin zu einer leichten Brise. Es ist nämlich ganz schön heiß, die Sonne sticht. Vergisst man ja meist, wenn man daheim im klimatisierten Auto sitzt, im Stau steht und sich auf die einsame Insel sehnt. Vielleicht liegt's tatsächlich am Fahrtwind, dass es die Touristen mit dem Tempo auffällig oft übertreiben. Jedenfalls gucken die Einheimischen beim Überholen immer leicht konsterniert. „Wohin willst du?“, scheinen ihre Blicke zu fragen. „Alles, was du suchst, ist hier.“ Mit dem Fahrrad durchs Paradies. Bis man den Inseltakt draufhat, dauert es eine Weile.

Eintritt fürs Naturspektakel

Ziemlich irre, für einen Strand Eintritt zu zahlen, obwohl hier ein Traumstrand am nächsten liegt. Der Zugang ist für alle frei, selbst wenn der Strand in Hotel- oder gar Privatbesitz ist. Nur in einem Fall nicht: Der Anse d'Argent liegt mitten im Naturpark und heißt vermutlich so, weil die grauen Felsen so schön silbern in der Sonne glitzern – eine gern verschickte Postkartenansicht. Vielleicht aber auch, weil dank aufgestellter Kassenhäuschen das Geld hier auf der Straße – besser: am Strand – liegt. Schon schön: Wie die Brandung ein silberfarbenes Stück Totholz freigibt, sich seitlich ein weit auskragender, vom Wind gebeugter Mangobaum ins Bild schiebt und im Bildmittelgrund der tiefblaue Ozean mit feierlichen Schaumkrönchen heranrollt. Ein Anblick, wie fürs Bild arrangiert.

Überhaupt muss man sagen, dass die Natur auf La Digue in jeder Ecke ihr Bestes gibt. Seltsam also, dass sich gerade hier die Suche nach der Robinson-Stimmung derart konzentriert. Die lokale Tourismusindustrie hat sich darauf eingestellt. Sportliche, kakaobraune Jungs in Shorts und Flipflops köpfen Kokosnüsse an Felskanten und helfen, die weißen Albinokrebse, die hier überall wohnen, mit Handtüchern zu verscheuchen. Ein ostdeutsches Ehepaar beginnt, aus Sneakers und Badelatschen einen kleinen Grenzwall zu bilden und über dem knorrigen Ast eines Takamakabaums, der wie ein dürrer Finger aufs Meer zeigt, Handtuch und Kameratasche zu drapieren. Höchste Zeit, die Fortsetzung des Robinson-Abenteuers woanders hinzuverlegen.

Robert kommt da gerade recht. Schon den ganzen Tag versucht der junge Seychellois, zu einer Trekkingtour entlang der Küste zu animieren. Zuallererst aber führt er zu einer improvisierten Bar aus Bambus und Palmwedeln, die offenbar Bekannten gehört. Die haben Berge aus Mangos, Melonen, Bananen und Papayas vor sich und mixen Smoothies aus frischen Inselfrüchten. Gut gestärkt machen wir uns auf den Weg, der bald keiner mehr ist. Die Pfade, über die es geht, kann nur Robert sehen. Er führt hindurch zwischen ausgewaschenen Felsspalten, über rundgeschliffene Klippen, watet voran durch hüfthohes Wasser, das glücklicherweise Badewannentemperatur hat. Den Rucksack mit der Kamera zum Schutz hoch über den Kopf gestemmt, klettern wir von Traumstrand zu Traumstrand. „Schau her, das Paradies!“ Ach, schon wieder? Die Tour endet an einem natürlichen Meeresbecken. Badestopp. Gleich nebenan ziehen in einem steingefassten, seichten Naturpool Baby-Riffhaie pfeilschnell ihre Kreise. Ein Anblick, der rührt und zugleich Ehrfurcht gebietet. Bleibt zu hoffen, dass die Mutter sie nicht gleich aus dem Fischkindergarten abholen kommt.

Ab aufs Piratenschiff

Noch mehr Robinson-Erlebnisse gibt's jetzt nur noch per Schiff. Aber machen wir uns nichts vor: Allein ist man auch dort natürlich nicht. Es sei denn, man hat vor, den Indischen Ozean zu durchrudern. Die „Sea Pearl“ jedenfalls ist ein 100 Jahre alter Fischkutter, der, zum Passagiersegler umgebaut, Touristen eine Woche lang täglich zu einer neuen Seychelleninsel bringt. Nach dem Zuweisen der neun Kabinen erntet der Steward von kreuzfahrterfahrenen Passagieren beklommene Blicke: „Wie sollen wir denn da mit unserem Gepäck reinpassen?“, fragt ein Paar mit umfangreicher Kameraausrüstung. „Eine Luke zum Rausschauen wär' schon schön“, raunt ein Schweizer dezent seiner Liebsten zu. Die mitreisenden Segler dagegen freut, dass sie sich hier einmal um nichts kümmern müssen: Morgens werden die Betten aufgeschüttelt, der Kapitän kennt die Route, und auch ein Koch ist an Bord.

Der wird sich bald als eigentlicher Held der Geschichte erweisen. Denn Haley hat den härtesten Job. Ohne in Hektik zu verfallen, steht er bei gleichbleibend gelassener Betriebstemperatur in der Gluthitze seiner Minikombüse und löst mit dem Zubereiten der Mahlzeiten regelmäßig den Rauchmelder aus. Niemals beschwert er sich über die Bruthitze an seinem Arbeitsplatz. Zwischen Frühstück und Mittagessen bäckt Haley Bananenkuchen, während die Passagiere in Badekleidung laut stöhnend nach einem Schattenplätzchen an Deck suchen.

Captain Craig, ein blondgelockter Südafrikaner Anfang zwanzig, ruft in den Salon zu einem ersten knappen Briefing: Essenszeiten, Sicherheitsbestimmungen und den Trick, wie man die stickige Luft aus der Kabine kriegt. Auf standesübliche Ehrenabzeichen scheint Craig zu verzichten. Statt Kapitänsmütze legt er Wert auf seinen Panamahut. Auch die obligatorischen Streifen am Ärmel hat er sich gespart, und die Ärmel gleich mit. Über der bloßen Schulter trägt er stattdessen ein äußerst kleidsames neuseeländisches Stammestattoo. Damit der legere Look nicht missverstanden wird, macht Craig gleich klar, dass hier alles auf sein Kommando hört. Dann wirft er den Motor an (der Wind fehlt) und wir nehmen Kurs auf Aride, die Vogelinsel. Das nur 68 Hektar große Eiland heißt so, weil es 2,5 Millionen Vögeln gehört.

Beyoncé und Lady Gaga konkurrieren im Blitzlichtgewitter

Genau genommen gehört die Insel der Schokoladendynastie Cadbury, die dort ein Naturschutzprojekt unterhält. Wer einen Schokoriegel der Firma kauft, tut also nicht nur was für die Hüften, sondern unterstützt über einen Fonds auch das Inselprojekt, das von der Island Conservation Society verwaltet wird. Davon profitieren vier endemische Vogelarten, fünf Echsenarten, die nur hier leben, zwei einheimische Schlangenarten und ein Riesentausendfüßler samt Nachkommen. Daneben gibt es 998 verschiedene Geranienarten, Meeresschildkröten bevorzugen Arides Strand zur Eiablage und pflanzen sich hier in Zweijahresabständen regelmäßig fort. Die Insel ist derart fruchtbar, dass aus allem, was zu Boden fällt, drei Tage später ein neuer Baum wächst. Überall kreucht und fleucht es, sprießt etwas aus dem Unterholz, hat irgendwer Eier abgelegt oder eine Behausung gebaut. Die Insel, sechs Bootsstunden entfernt von Praslin, versorgt sich selbst mit Solarenergie. Ein autarkes Paradies, das mit großem Aufwand sich selbst überlassen wird und genau deshalb Beobachter anzieht. Sogar Nicholas Cage ließ sich schon per Helikopter einfliegen.

Beyoncé beeindruckt das nicht, weil sie der eigentliche Star der Insel ist. Der Tropenvogel mit dem weißen Schwanz liebt das Blitzlicht der Touristen. Jedem, der vorbeikommt, zeigt Beyoncé stolz ihr Ei. Mit Lady Gaga, ihrer Artgenossin, konkurriert sie um Aufmerksamkeit und den Schönheitspreis beim Publikum. Sobald sie eine Kamera erspäht, reckt sie den Hals, spreizt ihr Gefieder und stimmt ihr übertrieben lautes Gelächter an. Ziemlich affektiert, findet Hans, während seine Gattin Heike über einen Minzbusch strauchelt und leise jauchzt. Ein Glücksfund. Die „Sea Pearl“ hat zwar drei Sorten des einheimischen Rums „Takamaka“ an Bord, Soda und Rohrzucker allemal. Allein, zum nachmitttäglichen Mojito fehlt es an frischer Minze. Auf etwaige andere Versorgungsmängel sind Hans und Heike bestens vorbereitet. In ihrer Kabine lagert Hartkäse, ein halber Laib Brot, am Spiegel baumeln ein paar luftgetrocknete Würste („Ha, mer woiß halt nie!“). Nur wenig hassen Schwaben unterwegs mehr als schlechte Verpflegung.

Passagiere im Dämmermodus

Smutje Haley aber weiß genau, dass nur satte Passagiere zufriedene Passagiere sind, er hat zu unserer Rückkunft ein kleines Büfett vorbereitet. Es gibt Kaffee, Tee und frisch gebackenen Bananenkuchen. Nach dem Landausflug verkrümeln sich alle faul aufs Sonnendeck. Windstille, ein Segel ist gespannt, um Schatten zu spenden. Hier lässt sich der Tag verdösen, die Lider auf Halbmast, eigentlich ist es auch viel zu heiß zum Lesen. Der Tablet-PC, auf dem die elektronische Urlaubslektüre gespeichert ist, schaltet jedenfalls binnen Minuten wegen Überhitzung eigenständig ab.

Genau. Abschalten funktioniert bestens. Weshalb sich die Tauchlehrer beim zweiten Tauchgang des Tages oft mit sich selbst begnügen müssen. Was, schon wieder schnorcheln? Och nö. Die Mantas, Muränen und Meeresschildkröten sind morgen auch noch da. Welcher Tag ist heute überhaupt? Die Uhr muss irgendwo ganz unten im Koffer liegen ... Macht nichts: Abend ist, wenn Haley das Essen serviert. Oder wenn Hans und Heike den Sonnenuntergang an Deck mit einem Sundowner begrüßen. Nur die Bananenstaude am Mast zeigt, dass auch hier die Zeit nicht steht. Tag für Tag wird sie gefleddert, die Früchte färben sich von Grasgrün nach Honiggelb, dann Goldbraun. Zum Schluss hängt nur noch ein Strunk da und mahnt: Das Ende des Abenteuers naht.